Also! Jurastudent trifft auf Juraprofessor, das unbekannte Wesen. Was Sie von diesem Wesen erwarten und was Sie erwartet im Jurastudium, dazwischen liegen Welten. Dem erstsemestrigen Jurastudenten droht irgendwann ein akademischer Schock: Er versteht wenig und versteht vor allem auch nicht, warum er so wenig versteht! Die Schock- und Stoßwellen der Vorlesungen und Lehrbücher erschüttern ihn durch und durch. Er kommt mit bestimmten Erwartungen in die Hochschule: Er hofft auf gute Lehre, verstehbare Studienliteratur, optimale Klausurenvorbereitung, rechtsdidaktische Konzepte, studierbare Curricula, bestmögliche Betreuung in Übungen und Beratung, Mitsprache und eine gute menschliche wie räumliche Studienatmosphäre. Diese Erwartungen bleiben im Wesentlichen unerfüllt? – Die Rechtsdidaktik und die Rechtslehre wohnen in der Juristerei in der Tat leider auf verschiedenen Sternen. Dem rechtsdidaktisch exzellent Lehrenden werden Sie deshalb seltener begegnen als denen, die meinen, die Didaktik ignorieren zu dürfen und die über ihre Studenten hinweg „bulldoz(i)ern“.
Sie werden sehr bald eine beliebte Kommunikationsform in juristischen Hörsälen kennen lernen, den Konjunktiv II, auch „Irrealis professoralis“ genannt:
„Wäre meine Hörerschaft kleiner, würden die Studenten mehr lernen“. – „Stünde mir mehr Zeit zur Verfügung, würde ich mehr an Stoff vermitteln können.“ – „Wären die Studenten studierfähiger, würden sie bessere Noten bekommen.“ – „Gäbe es mehr Geld, wäre alles besser.“ – „Gäbe es den Repetitor nicht, hätte ich auch im dritten Semester noch Zuhörer.“
Leider stimmten diese Wenn-dann-Gleichungen noch nie. Meist liegt es an dem einzelnen Jura-Dozenten selbst! Um das zu belegen, muss man nicht große Studien bemühen. Es reicht, einzelne Professoren miteinander zu vergleichen, deren Studenten unter ähnlichen Bedingungen gelernt haben und einen Blick zu den Fachhochschulen und Repetitoren zu werfen. Man sollte auch von den Studenten ablassen und nicht immer unterstellen, dass diese jedes Jahr schlechter würden. Auch das stimmt nicht.
Der Anspruch vieler juristischer Universitäts-Professoren ist es wieder und wieder, alles Recht abstrakt sehen zu wollen, entfernt von der Alltagsrealität. Aber so etwas wie abstraktes Recht gibt es eigentlich gar nicht. Recht ist immer konkret: am konkreten Fall entstanden, am konkreten Fall evaluiert im Gesetzgebungsverfahren, am konkreten Fall in Gericht und Kanzlei gelebt und praktisch angewendet. Und genau so sollte es auch gelehrt werden! Gerade als „vorlesender“ Professor braucht man ein Gefühl für einprägsame, spannende Fälle und lebendige Sprache. Man müsste auf den Hochschulen mehr Bereitschaft zeigen, die Professorenschaft aufzuteilen. Es wird immer medienattraktive Professoren geben, die entsprechende Fähigkeiten haben, Leute im 1. Semester zu fesseln und Inhalte auch noch im 6. Semester spannend und verstehbar zu vermitteln. Aber bei Leibe nicht alle. Mut wäre gefragt, anzuerkennen, dass es große mediale juristische Lehrer, große juristische Wissenschaftler und juristisch gute Mentoren und Tutoren gibt. Doch fast alle Professoren meinen, Alleskönner zu sein. Ein großer Irrtum!
Gerade die juristischen Dozenten unterliegen leider häufig einer dreifachen Illusion:
Verständnisillusion: „Die haben das alles schon verstanden.“ Sie als Student wissen es besser: „Falsch! Meinem Bedürfnis nach stufengeleiteter Anleitung, fallbasierter Erklärung und vernetzter Orientierung wird nicht nachgekommen.“
Startillusion: „Das Vorwissen für den nächsten Lehr-Lern-Schritt wird schon vorhanden sein.“ Sie als Student wissen es besser: „Falsch! Erteilen Sie Ihrer Selbstlernidylle eine Absage und organisieren Sie bitte meine Verstehens-, Trainings- und Überprüfungsaktivitäten vom Katheder aus.“
Autonomieillusion: „Die wissen selbst am besten, wie man lernt.“ Sie als Student wissen es auch hier besser: „Falsch! Ich weiß es eben nicht!“
Deshalb müssen Sie sich als Student absichern:
Der Verständnisillusion müssen Sie selbst vorbeugen, indem Sie sich immer Rechenschaft ablegen, ob Sie die Vorlesung oder das Kapitel wirklich verstanden haben.
Der Startillusion vorbeugen, indem Sie sich vorbereiten auf die nächste Vorlesung und das letzte Kapitel vor dem neuen rekapitulieren.
Der Autonomieillusion vorbeugen, indem Sie das selbständige autonome Lernen des juristischen Lernens lernen.
Natürlich gibt es auch exzellente Dozenten, diese Mischung aus tiefem und breitem juristischen Wissen und strahlender Lehrkunst: Didaktische Naturtalente, Persönlichkeiten mit natürlich-naiver und nicht qua Amt „geliehener“ Autorität, die immer eine Aura des Sonnenscheins ausstrahlen, mit Pointen und Witzen aufwarten können, ihr „fundiertes“ Wissen „fundierend“, blendend und locker an die Lernenden bringen. Jeder kann von ihnen nur lernen. Solche „Lichtgestalten“ wären Ihnen zu wünschen.
Welche Professorennaturelle warten nun konkret auf Sie in den Hörsälen Ihrer Hochschulen? Wem werden Sie dort vielleicht begegnen? – Hier eine kleine Auswahl in spöttischer Übertreibung menschlicher Schwächen zum Schmunzeln:
Der Beau
Für ihn ist jede Lehrstunde ein Auftritt vor gefangenem Publikum. „Ich selbst sitze im Hörsaal und höre zu, was ich am Katheder vorlese. Ich bin entzückt von meinem Können!“ Er spricht fremdwortgesättigt, der Lehrsaal ist seine Show-Bühne. Er schart meist eine Anzahl hübscher Studentinnen um sich.
Der Forschertypus
Er schreibt sich die Finger blutig im Drang nach wissenschaftlicher Reputation. Die Studenten stören dabei! Er zählt seine Veröffentlichungen, nicht seine Lehrerfolge.
Der Karrieretypus
Er ist einfach nur arrogant, eingebildet, unnahbar und aalglatt. Er hinterlässt eine Schneise der Kälte. Studentenspruch für solche Professoren: „Leichen pflastern seinen Weg“.
Der Praktikertypus
Er war früher mal Richter, Rechtsanwalt oder Staatsanwalt. Da hat man das in der Praxis immer ganz anders gemacht als nach dem Lehrbuch. Es hat funktioniert, aber kaum einer wusste, warum! Er ist leider unbrauchbar, da nun einmal auch theoretisches Wissen auf dem Lehrplan steht und nicht nur „Praxis! Praxis! Praxis!“.
Der Wissenschaftstypus
Er hat geistig immer den Doktorhut auf und versteigt sich immer höher im Theorienbaum. Er klettert von Ast zu Ästchen, so hoch – kein Lernender kann ihn mehr sehen. Und alles ist untermalt mit den Endlosschleifen aus Wenn und Aber und Einerseits und Andererseits. Er ist derjenige, der seine Studenten bedingungslos überfordert.
Der Repetitortypus
Er ist kein juristischer Löwe, dafür aber ein rechtsdidaktischer Fuchs! Bekränzen sollte man ihn mit dem didaktischen Lorbeerkranz, er bringt seinen Studenten etwas bei! Seine Lehrweisheiten sind von überrumpelnder Plausibilität und meist viel simpler als die sonst übliche Hörsaalwirklichkeit. Und vor allem klausurenkompatibel.
Der stille Teilhaber
Er zieht sich mehr ins Verborgene zurück und schätzt mehr das Private. Er ist kaum zu sehen, er entfaltet keine Präsenz, er betrachtet die Studenten als Statthalter seiner einstigen, aber verblichenen vitalen Bedürfnisse.
Der Engagierte
Er macht sich stark für Studenten. In allen Gremien der Lehrstätte ist er vertreten. Er vertritt die Interessen der Lernenden und Lehrenden ausgewogen. Manchmal ist es für ihn anziehend, sich auf die Seite der Schwachen zu schlagen: Das sind die Studenten.
Der Eroberer
Eine Abart des „Beau“, der allerdings immer noch auf Jagd geht nach Abenteuern und Liebschaften und sich nicht mit seiner Eitelkeit begnügt.
Der Happy-Ender
Er ist inzwischen weit weg von Lehre und Forschung, mehr auf der Suche nach Genuss, Konsum und Reisen. Er sieht gelassen der Pensionierung entgegen und am Mittag dem Ende der Lehrstunden.
Der Narzisst
Er erlebt nur das als real, was in seinem Inneren existiert. Die Erscheinungen in der studentischen Außenwelt besitzen für ihn keine Realität und werden ausschließlich daraufhin erfahren, ob sie für ihn selbst von Nutzen sind. Er ist unfähig, sich in die Studenten einzudenken, er gebraucht seine Gegenüber nur als Echo für sich. Die einzige Realität, die es für ihn gibt, ist er selbst als Dozent. Er interessiert sich ausschließlich für sich selbst, nicht für „die“ Studenten. Der eitle „Beau“ achtet wenigstens noch darauf, wie er bei seinen Gegenüber ankommt, dem narzisstischen ist auch das egal.
Der Schusseltypus
Er vergisst häufig die Unterlagen und ist immer gerade im falschen Raum. Oft muss er gegen sich selbst korrigierend eingreifen.
Der Managertypus
Er hat für die Hochschule eigentlich gar keine Zeit. Sie und die Studenten sind ihm im Grunde lästig. Er gehört zu den Menschen, die oft Erstens, Zweitens, Drittens sagen und dann meist nach Erstens kein Zweitens folgen lassen.
Der Kumpeltypus
Er tut so, als sei er noch Schüler oder Student, hat aber meistens nicht mitbekommen, dass die junge Mode einem Wandel unterliegt. Er hat Mitleid mit den „Studis“ und fühlt sich ein.
Und? Ist das unbekannte Wesen Ihnen etwas bekannter geworden? Im nächsten Beitrag klären wir das Verhältnis zwischen ihm und Ihnen.