Im Gegensatz zur Rechtsfähigkeit, die lediglich einen statischen, eher passiven, Zustand beschreibt („Träger von Rechten und Pflichten zu sein“), beschreibt die Geschäftsfähigkeit die Möglichkeit, selbst eine Änderung der Rechtslage vorzunehmen. Ist jemand geschäftsfähig, also in der Lage, Rechtsgeschäfte wirksam vorzunehmen, so kann er eben durch deren Abschluss eine bestehende Rechtslage ändern.
Können also Max und Moritz, die durch ihre Geburt die Rechtsfähigkeit erlangt haben, auch rechtlich bedeutsame Handlungen vornehmen? Können sie Vertragsangebot und Vertragsannahme wirksam abgeben und empfangen? Können sie für Rechtshandlungen verantwortlich gemacht werden, wenn z.B. Max auf seiner Nachhausefahrt gleich einen Unfall „baut“? – Ja! Wenn sie denn „geschäftsfähig“ bzw. „delikts-fähig“ sind.
Die Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam vorzunehmen.
Auch bei der Geschäftsfähigkeit ist zwischen natürlichen und juristischen Personen zu unterscheiden. Nichtrechtsfähige Personenvereinigungen kommen demgegenüber nicht in Betracht, weil ihnen schon die vorrangig notwendige Fähigkeit fehlt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.
Die juristischen Personen sind ausnahmslos geschäftsunfähig.
Dies erklärt sich ohne weiteres daraus, dass sie als lediglich rechtstheoretische Gebilde (e.V., Aktiengesellschaft oder GmbH) selbst keine Handlungen vornehmen oder Erklärungen abgeben können. Alle juristischen Personen müssen vielmehr, um am Rechtsleben teilnehmen zu können, vertreten werden, und zwar regelmäßig durch eine oder mehrere natürliche Personen, ihre Organe. Wie das geschieht, wird in dem Kapitel über die Vertretung darzulegen sein. Wenn die juristische Person wirksam vertreten ist, spielt die Frage der Geschäftsfähigkeit keine Rolle mehr. Das Gesetz verleiht der betreffenden Personenvereinigung nämlich gerade mit dem Ziel Rechtsfähigkeit, dass sie am Rechtsleben teilnehmen kann. Die juristischen Personen können daher – immer ihre wirksame Vertretung durch ihre Vertretungsorgane vorausgesetzt – unbeschränkt am Rechtsleben teilnehmen.
Unsere folgenden Erläuterungen befassen sich aus diesem Grunde ausschließlich mit den natürlichen Personen.
Auch die natürlichen Personen sind nicht etwa alle unbeschränkt geschäftsfähig.
Dies bedarf keiner näheren Begründung, wäre doch sonst z.B. jeder Vierjährige in der Lage, sein Dreirad einem Freund zu schenken, und könnte jeder Geisteskranke für ihn völlig nutzlose Geschäfte tätigen und so sein Vermögen verschleudern.
Das Gesetz macht die Geschäftsfähigkeit des Menschen zu seinem Schutz in erster Linie von dem Erreichen eines bestimmten Alters abhängig.
Auch wenn der Betreffende das für die Geschäftsfähigkeit notwendige Alter erreicht hat, ist er dennoch – auch hier zu seinem Schutz – nicht geschäftsfähig, wenn er an einer bestimmten krankhaften Beeinträchtigung seiner Geistestätigkeit leidet.
Im Überblick: Das BGB unterscheidet bei einer stillschweigend zugrunde gelegten Handlungsfähigkeit zwischen Geschäftsfähigkeit und Deliktsfähig-keit.
Nimmt man die Verästelungen feiner vor, so gelangt man zu folgender Übersicht:
Liest man die aufgewiesenen Paragraphen nach, so stellt man schon eine Korrespondenz zwischen beiden Spielarten der Handlungsfähigkeit fest.
Das Erreichen der Geschäftsfähigkeit
Der Mensch erlangt die uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit erst mit der Volljährigkeit. Dies ergibt sich allerdings nicht ausdrücklich aus dem Gesetz. Das Gesetz geht vielmehr stillschweigend von der Geschäftsfähigkeit des Volljährigen aus und regelt umgekehrt nur die Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen. Die Volljährigkeit tritt gem. § 2 mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.
Juristisch interessanter ist der vorhergehende Zeitraum, in dem der Heranwachsende noch minderjährig ist. Außer der Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 1) sieht das Gesetz in § 106 für eine bestimmte Altersstufe des Minderjährigen nämlich noch die beschränkte Geschäftsfähigkeit vor, die deshalb einen Schwerpunkt der nachfolgenden Erörterungen bildet, weil sie juristisch der einzige wirklich schwierige Altersabschnitt ist und vom Gesetzgeber mit einer genialen Idee ausgestattet worden ist.
Die sich auf diese Weise ergebende Dreiteilung der „Geschäftsfähigkeit“ stellt sich wie folgt dar:
● Bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres ist das Kind geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 1).
● Nach der Vollendung des 7. Lebensjahres ist der Minderjährige beschränkt geschäftsfähig (§ 106).
● Mit der Erreichung der Volljährigkeit ist der dann Erwachsene (voll) geschäftsfähig (§ 2).
Diese Abstufung verfolgt den Zweck, dem Minderjährigen entsprechend seiner reifemäßigen Entwicklung ein langsames Hereinwachsen in die Fähigkeit zu ermöglichen, alleinverantwortlich am Rechtsleben teilzunehmen. Das ist ohne Zweifel nur in einer sehr groben Einteilung gelungen, wie schon der unterschiedliche Reifegrad eines gerade 7-jährigen gegenüber einem gerade noch 17-jährigen zeigt. Eine noch weitere Unterteilung wäre jedoch, wie die nachfolgenden Ausführungen deutlich machen dürften, nicht mehr praktikabel.
Der nachfolgende Eingangsfall „Tante Lydia“ soll im aufziehenden Paragraphensturm über der Geschäftsfähigkeit Navigationshilfe leisten.
„Tante Lydia“
Das Ehepaar Jupp und Emma Schmitz hat drei Kinder, nämlich den 6-jährigen Fritz, die 14-jährige Ottilie und den am 24.08.10 geborenen und am heutigen Tage, 24.08.28, seinen 18. Geburtstag feiernden Karl. Zu diesem Fest ist auch die reiche, aber äußerst geizige Tante Lydia, eine Schwester des Jupp, zum Kaffeetrinken eingeladen. Als die Kaffeetafel zu Ende ist, ruft Tante Lydia die drei Kinder zu sich und erklärt: „Ich will Euch etwas schenken und zwar jedem 2 €. Bin ich nicht großzügig?“ Obwohl die Eltern ihren Kindern ausdrücklich verboten hatten, von Tante Lydia irgendein Geschenk anzunehmen, greifen die Kinder zu. Bei der Verabschiedungszeremonie erfährt Tante Lydia von dem vorlauten Fritz, dass die Eltern sie als „geizige alte Schachtel“ bezeichnet und den Kindern jedwede Geschenkannahme streng untersagt hatten. Sie ist darüber so erbost, dass sie auf der Stelle von Fritz, Ottilie und Karl das jeweilige Geldstück herausverlangt, das diese noch in den Händen halten. Die drei Kinder weigern sich mit dem Bemerken: „Geschenkt ist geschenkt! Wiederholen ist gestohlen!“
Wir werden in den nachfolgenden Darstellungen begutachten, ob Tante Lydia jeweils von Karl, von Fritz und von Ottilie das 2-€-Stück zu Recht herausverlangen kann.
1. Die Geschäftsfähigkeit eines volljährigen Menschen
Hat jemand, wie Karl, die Volljährigkeit erreicht, ist er also mindestens 18 Jahre alt (§ 2), so geht das Gesetz – ohne dies ausdrücklich zu regeln – davon aus, dass der Betreffende uneingeschränkt geschäftsfähig ist. Checken wir das mit dem „Tante-Lydia-Fall“ gegen.
Lydia gegen Karl
A. Tante Lydia könnte von Karl gem. § 985 die Herausgabe des 2 €-Stückes verlangen.
Dann müsste Tante Lydia Eigentümerin und Karl Besitzer ohne Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 S. 1 sein.
Ursprüngliche Eigentümerin war Lydia. Sie hat jedoch gem. § 929 S. 1 das Eigentum am Geld durch wirksame Einigung mit Karl, Übergabe an ihn, Einigsein und ihre vorhandene Berechtigung als Eigentümerin verloren, wenn Karl an seinem Geburtstag schon volljährig und damit geschäftsfähig war. Die für das Erreichen der Volljährigkeit maßgebliche Frist von 18 Jahren beginnt mit dem Tag der Geburt, hier am 24.8.10 und zwar gem. § 187 Abs. 2 S. 2 um 0.00 Uhr und endet somit gem. § 188 Abs. 2 2. Alt. am 23.08.28 um 24.00 Uhr. Also war Karl am 24.08.28 fähig, die für die Einigung notwendigen Willenserklärungen von Angebot und Annahme selbst wirksam abzugeben.
Also ist Lydia nicht mehr Eigentümerin. Lydia kann von Karl die Herausgabe des Geldes nicht gem. § 985 verlangen.
B. Tante Lydia könnte von Karl gem. § 812 Abs. 1 1. Alt. die Rückübereignung des 2 €-Stückes verlangen.
Das setzt voraus, dass Karl „etwas“ durch die „Leistung“ der Lydia „ohne Rechtsgrund“ erlangt hat.
Zwar hat Karl das Eigentum und den Besitz als ein Etwas, also vermögensrechtliche Positionen am Geld, durch die Leistung der Lydia erlangt. Diese Vermögensverschiebung erfolgte jedoch mit Rechtsgrund, nämlich aufgrund eines wirksamen Schenkungsvertrages gem. §§ 516 Abs. 1, 518 Abs. 1 S. 1, Abs. 2. Die fehlende Form wurde durch die wirksame Vornahme der Übereignung gem. § 929 S. 1 (s.o.) geheilt (sog. Handschenkung).
Also kann Lydia von Karl gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des Geldes nicht verlangen.
Der Grundsatz, dass man mit 18 Jahren als Volljähriger uneingeschränkt geschäftsfähig ist, erfährt eine Ausnahme durch die Regelung des § 104 Nr. 2, der bestimmte Fälle einer geistigen Erkrankung betrifft.
Geschäftsunfähig ist nach dieser Vorschrift auch der Volljährige unter folgenden Voraussetzungen: Er muss sich gerade bei der Abgabe seiner Willenserklärung in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, der seine freie Willensbestimmung ausschließt und seiner Natur nach nicht nur vorübergehend ist.
Die missverständliche Formulierung des § 104 Nr. 2 stellt also zwei Voraussetzungen auf:
● Der Betroffene muss zum einen an einem dauerhaften Krankheitszustand leiden, und zum anderen muss – was nicht selbstverständlich ist –
● seine Erkenntnisfähigkeit gerade im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung aufgrund dieser Krankheit ausgeschlossen gewesen sein.
Die Unterschiedlichkeit der beiden Anforderungen soll am Beispiel der phasenweisen geistigen Erkrankung deutlich werden:
Ist jemand etwa dauerhaft manisch-depressiv erkrankt, so ist er nur in solchen Phasen der Erkrankung geschäftsunfähig, in denen er krankheitsbedingt die Tragweite seiner Erklärungen nicht erkennen kann. Befindet er sich demgegenüber in einer Phase geistiger Klarheit, sog. lucidum intervallum, d.h. lichter Augenblick, so ist er auch voll geschäftsfähig.
Voraussetzung der Geschäftsunfähigkeit ist in diesen Fällen also immer, dass der Betreffende (wie der manisch-depressive Mensch) auf Dauer erkrankt ist. Handelt es sich bei der krankhaften Beeinträchtigung der Geistestätigkeit demgegenüber lediglich um einen vorübergehenden Zustand, so kommt eine Geschäftsunfähigkeit überhaupt nicht in Betracht § 104 Nr. 2 a.E., auf dessen Fallkonstellation sogleich zurückzukommen sein wird).
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass unter den Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 ein Mensch selbstverständlich auch dann geschäftsunfähig ist, wenn er zwischen sieben und 18 Jahre alt ist, also ohne die Krankheit beschränkt geschäftsfähig wäre.
2. Willenserklärungen von und gegenüber Geschäftsunfähigen
● Gibt ein Geschäftsunfähiger, wie Fritz (§ 104), eine Willenserklärung ab, so ist diese gem. § 105 Abs. 1 nichtig. Der Gesetzgeber gibt diesem Personenkreis mit der Rechtsfolge aus § 105 Abs. 1 den besten juristischen Schutz, den er überhaupt geben kann: Seine Willenserklärungen lösen, egal ob vorteilhaft oder nachteilhaft, keine Rechtsfolgen aus. Punktum!
● Durch diese gesetzliche Regelung wird die Richtigkeit der obigen Definition der Geschäftsfähigkeit („Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam abzuschließen“) bestätigt. Jede andere Rechtsfolge wäre mit ihr nicht vereinbar.
● Wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung nicht von, sondern gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegeben, so greift die Regelung des § 131 Abs. 1 ein: Die Willenserklärung ist nicht etwa auch unwirksam, sie wird aber erst wirksam mit Zugang bei dem „gesetzlichen Vertreter“ des Geschäftsunfähigen.
● Der Geschäftsunfähige wird also mit dem bestmöglichen juristischen „Rundumschutz“ versehen: Von ihm geht nichts ab (§ 105 Abs. 1) und ihm geht nichts zu (§ 131 Abs. 1). Mehr kann der Gesetzgeber für ihn einfach nicht tun.
Wer geschäftsunfähig ist, hat im Regelfall (Ausnahmen sind im Falle des § 104 Nr. 2 denkbar) einen gesetzlichen Vertreter, der an seiner Stelle und mit Wirkung für ihn am Rechtsverkehr teilnimmt. Bei den Minderjährigen sind regelmäßig gem. § 1629 Abs. 1 i.V. mit § 1626 Abs. 1 die Eltern gesetzliche Vertreter und in besonderen Fällen an ihrer Stelle gem. § 1793 ein Vormund. Schauen Sie doch einfach mal nach in diesen familienrechtlichen Vorschriften, es lohnt!
Diese Regelung reicht zum Schutze des Geschäftsunfähigen aus: Wird nämlich die Willenserklärung erst mit Zugang bei seinem gesetzlichen Vertreter wirksam, so kann dieser, wie jeder andere voll Geschäftsfähige, der am Rechtsleben teilnimmt, auch frei entscheiden, ob er – allerdings mit Wirkung für den von ihm vertretenen Geschäftsunfähigen – auf die Willenserklärung eingehen soll oder nicht, also z.B. ein in ihr enthaltenes Vertragsangebot annimmt oder ablehnt. Die einschneidendere Rechtsfolge der völligen Nichtigkeit der Willenserklärung, wie sie § 105 Abs. 1 für die durch den Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung anordnet, gebietet der Schutz des Geschäftsunfähigen beim Wirksamwerden durch Zugang also nicht.
Demonstriert werden soll das „Geschäftsunfähigenprogramm“ wiederum am „Tante-Lydia-Fall“!
Lydia gegen Fritz
A. Tante Lydia könnte von Fritz gem. § 985 die Herausgabe des Geldstückes verlangen.
Das setzt voraus, dass Lydia Eigentümerin ist und Fritz Besitzer ohne Recht zum Besitz i.S. von § 986.
1. Ursprüngliche Eigentümerin war Lydia. Sie könnte ihr Eigentum gem. § 929 S. 1 an Fritz verloren haben.
Dann müsste zwischen ihr und Fritz eine Einigung stattgefunden haben, das Geldstück müsste übergeben worden sein, zum Zeitpunkt der Übergabe müssten sich beide noch einig gewesen sein und Lydia müsste Berechtigte, d.h. verfügungsbefugte Eigentümerin gewesen sein.
a. Die Einigung ist ein dinglicher Vertrag und setzt sich gem. § 151 S. 1 aus wirksamem Angebot und wirksamer Annahme, die inhaltlich und zeitlich deckungsgleich sein müssen, zusammen.
aa. Ein vollständiges, präzises und mit Rechtsbindungswillen abgegebenes Angebot von Lydia zur Übertragung des Eigentums hat vorgelegen.
ab. Das Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Um im Rechtsverkehr wirksam zu werden, müsste es gem. § 130 Abs. 1 Fritz zugegangen sein. Da es sich um eine nicht verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden handelt, geht es wirksam zu mit Vernehmen. Zwar hat Fritz das Angebot vernommen, jedoch könnte § 131 Abs. 1 einem Wirksamwerden des Angebots entgegenstehen. Das setzt voraus, dass Fritz geschäftsunfähig ist und das Angebot nicht seinen Eltern als dessen gesetzliche Vertreter (§§ 1629 Abs. 1, 1626 Abs. 1) wirksam zugegangen ist. Geschäftsunfähig ist gem. § 104 Nr. 1, wer nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat. Fritz ist 6 Jahre alt, also geschäftsunfähig. Auch ist seinen Eltern das Angebot nicht zugegangen. Dazu müsste es von Tante Lydia an diese gerichtet gewesen sein, ein rein zufälliges Mithören genügt nicht.
Also ist das Angebot gem. §§ 131 Abs. 1, 104 Nr. 1 nicht wirksam geworden.
ac. Im Übrigen wäre die Annahmeerklärung des Fritz gem. §§ 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 nichtig gewesen.
Also ist kein wirksamer Einigungsvertrag zwischen Lydia und Fritz zustande gekommen, folglich hat Lydia ihr Eigentum am Geldstück nicht gem. § 929 S. 1 verloren, also ist Lydia Eigentümerin geblieben.
2. Weiterhin müsste Fritz Besitzer sein. Besitzer ist gem. § 854 derjenige, der die tatsächliche Herrschaftsgewalt ausübt. Besitz ist kein Rechts-, sondern ein tatsächliches Verhältnis. Nötig ist die Erlangung der tatsächlichen Gewalt und ein Besitzbegründungswille. Dieser Wille ist kein rechtgeschäftlicher Wille, sondern ein natürlicher Wille, so dass die Geschäftsfähigkeit nicht Voraussetzung für den Besitzerwerb ist. („Ist das Fritzchen noch so klein, kann es doch Besitzer sein“). Fritz übt die tatsächliche Herrschaftsgewalt über das Geldstück aus und sein Wille ist reif genug, um sich auf diese Sachherrschaft richten zu können (natürlicher Wille).
Also ist Fritz Besitzer des Geldstückes gem. § 854.
3. Letztlich dürfte Fritz gegenüber der Eigentümerin Tante Lydia kein Recht zum Besitz i.S. von § 986 Abs. 1 S. 1 zustehen. Ein solches Besitzrecht könnte sich aus einem wirksamen Schenkungsvertrag gem. § 516 ergeben.
Ein Vertrag könnte gem. § 151 durch wirksames Angebot, wirksame Annahme und inhaltliche wie zeitliche Deckungsgleichheit zustande gekommen sein.
a. Ein vollständiges, präzises und mit Rechtsbindungswillen abgegebenes Angebot zum Abschluss eines Schenkungsvertrages ist konkludent (§§ 133, 157) im Darreichen des Geldstückes zu sehen.
b. Dieses Angebot ist jedoch gem. § 131 Abs. 1, 104 Nr. 1 nicht wirksam geworden, da Fritz – wie oben dargelegt – nicht geschäftsfähig ist.
c. Im Übrigen wäre auch die Annahmeerklärung des Fritz gem. § 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 unwirksam.
Also ist zwischen Lydia und Fritz kein wirksamer Schenkungsvertrag gem. § 516 zustande gekommen.
Also hat Fritz gegenüber Lydia kein Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 S. 1.
Also kann Lydia von Fritz die Herausgabe des 2 €-Stückes gem. § 985 verlangen.
B. Tante Lydia könnte von Fritz gem. § 812 Abs. 1 S. 1 die Herausgabe des Geldstückes verlangen.
Das setzt voraus, dass Fritz durch die Leistung der Anspruchstellerin Lydia etwas ohne Rechtsgrund erlangt hat.
1. Ein „Etwas“ ist jede vermögenswerte Rechtsposition. Wie oben angezeigt, hat Fritz (zwar nicht das Eigentum, aber) den Besitz an dem Geldstück erlangt. Der Besitz stellt, wie man den Vorschriften über die Miete unschwer entnehmen kann, eine vermögenswerte Rechtsposition dar.
2. Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens (im Regelfall: Vertrag). Lydia hat zum Zwecke der Erfüllung des vermeintlich wirksamen Schenkungsvertrages Fritz den Besitz am Geldstück verschafft, mithin geleistet.
3. Schließlich müsste diese Vermögensverschiebung am Besitz ohne Rechtsgrund erfolgt sein.
Als Rechtsgrund käme ein wirksamer Schenkungsvertrag gem. § 516 in Betracht.
Wie oben gezeigt, ist ein solcher wegen des Fehlens eines wirksamen (zugegangenen) Angebots seitens der Lydia nicht zustande gekommen, §§ 131 Abs. 1, 104 Nr. 1.
Also hat Lydia Fritz den Besitz am Geldstück ohne Rechtsgrund geleistet.
Also kann Lydia gem. § 812 Abs. 1 S. 1 von Fritz die Herausgabe des Erlangten, nämlich den Besitz, verlangen.
3. Die Wirksamkeit von Verträgen mit beschränkt Geschäftsfähigen
Nachdem soeben die Fragen der Wirksamkeit von Willenserklärungen, die von oder gegenüber einem Geschäftsunfähigen und von oder gegenüber einem Geschäftsfähigen abgegeben wurden, abgehandelt worden sind, soll nunmehr die gleiche Frage für die Gruppe der beschränkt Geschäftsfähigen erörtert werden.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen Willenserklärungen, die Bestandteil eines einseitigen Rechtsgeschäftes (dazu später), und solchen, die Bestandteil eines zweiseitigen Rechtsgeschäftes, also eines Vertrages, sind. Mit diesen haben wir uns zunächst zu beschäftigen.
Schließt ein beschränkt Geschäftsfähiger, also etwa eine Minderjährige wie Ottilie, die mindestens 7 aber noch keine 18 Jahre alt ist, einen Vertrag, so ist dieser gem. §§ 106, 107 nur dann sofort wirksam, wenn
● die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters zur Abgabe der Willenserklärung vorliegt oder
● der beschränkt Geschäftsfähige lediglich einen rechtlichen Vorteil durch seine Willenserklärung erlangt.
Durch diese Regelungen versucht der Gesetzgeber, dem unterschiedlichen Schutzbedürfnis des nur beschränkt Geschäftsfähigen Rechnung zu tragen: In allen Fällen, in denen er eine Verpflichtung eingeht oder für ihn aus sonstigen Gründen das Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, bedarf er der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (der ihn ja rechtlich „beschützt“). Bringt die Willenserklärung des beschränkt Geschäftsfähigen ihm dagegen lediglich einen rechtlichen Vorteil ein, so ist sie sogleich uneingeschränkt wirksam. Er braucht in diesem Fall ja keinen Schutz, da sie ausschließlich (lediglich) vorteilhaft sein muss.
Beispiel: Der 15-jährige Benjamin Blitz erhält die Erlaubnis seiner Eltern, sich von seinem ersparten Geld ein Fahrrad zu kaufen.
a. Benjamin kauft im Geschäft des Fahrradhändlers Siegfried Speich von diesem ein Fahrrad der Marke „Tretmühle“, an dem noch am selben Tage eine Gangschaltung montiert werden soll. Kann Benjamin am nächsten Tag die Auslieferung der „Tretmühle“ verlangen?
b. Im Geschäft des Herrn Speich entschließt sich Benjamin, anstatt des Fahrrades ein Mofa der Marke „Feuerstuhl“ von dem Geld zu erwerben. Beide werden sich auch hier einig, und Benjamin fährt mit dem Feuerstuhl nach Hause. Wer ist Eigentümer des Mofas?
● Die Einwilligung
Gibt der gesetzliche Vertreter des beschränkt Geschäftsfähigen (also gem. § 1629 Abs. 1 die Eltern oder gem. § 1793 der Vormund) seine Einwilligung zum Abschluss des Vertrages, so kann der beschränkt Geschäftsfähige anschließend wie ein uneingeschränkt Geschäftsfähiger den betreffenden Vertrag wirksam abschließen. Dieses findet seine Begründung darin, dass der notwendige Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen durch die für den gesetzlichen Vertreter bestehende Möglichkeit gewährleistet ist, vorher eine verantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, ob er durch die Erteilung der Einwilligung den wirksamen Abschluss des Geschäftes durch den beschränkt Geschäftsfähigen ermöglichen will oder nicht.
Unter einer Einwilligung ist die vorherige Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung zu verstehen, unter Genehmigung die nachträgliche Zustimmung. Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch werden im juristischen Sinne die Begriffe „Einwilligung“ und „Genehmigung“ sehr präzise nur für die Fälle der vorherigen oder nachträglichen Zustimmung gebraucht (§§ 183, 184, 185). Eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters im Sinne des § 107 liegt also nur dann vor, wenn der gesetzliche Vertreter vor Abschluss des Geschäftes seine Zustimmung erteilt hat.
Ein Beispiel für das Vorliegen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bildet der obige Fall mit der „Tretmühle“: Die Eltern als gesetzliche Vertreter von Benjamin (§ 1629 Abs. 1) haben diesem vor Abschluss des Vertrages mit Siegfried Speich den Kauf des Fahrrades gestattet, dem Abschluss des Kaufvertrages also zugestimmt.
Benjamin kann die Lieferung (Übergabe und Übereignung) des Fahrrades gem. § 433 Abs. 1 verlangen, weil durch die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen zwischen ihm und Speich ein Kaufvertrag über das Fahrrad zustande gekommen ist.
Benjamin ist zwar als 15-jähriger gem. §§ 2, 106 nur beschränkt geschäftsfähig; seine Vertragserklärung (Angebot oder Annahme) ist jedoch jeweils wirksam, weil die Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter vorlag, §§ 433, 183, 182.
● „Lediglich rechtlich vorteilhaft“
Ebenfalls wirksam sind Willenserklärungen von beschränkt Geschäftsfähigen, denen zwar nicht eine Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters zugrunde liegt, durch die der beschränkt Geschäftsfähige jedoch „lediglich einen rechtlichen Vorteil“ erlangt (§ 107). „Lediglich“ bedeutet: nur, weiter nichts als, ausschließlich.
Durch eine Willenserklärung erlangt der Erklärende einen lediglich rechtlichen Vorteil, wenn er eine für ihn günstige Rechtsposition erwirbt, ohne zugleich eine rechtliche Verpflichtung einzugehen.
Umgekehrt: Rechtlich nachteilig sind Willenserklärungen, durch die der beschränkt Geschäftsfähige eine schuldrechtliche Verpflichtung eingeht oder einen Rechtsverlust aus seinem Vermögen herbeiführt.
In diesem Zusammenhang müssen Sie streng das Abstraktionsprinzip anwenden! Dies bedeutet, dass für die Frage, ob das Rechtsgeschäft dem Erklärenden neben einem rechtlichen Vorteil auch rechtliche Nachteile einbringt, das Verpflichtungs- und das Verfügungsgeschäft streng isoliert zu untersuchen sind.
Dies sei Ihnen am obigen Beispiel „Feuerstuhl“ erläutert:
Nachdem ursprünglich Speich Eigentümer des Mofas gewesen war, ist Benjamin gem. § 929 S. 1 Eigentümer geworden, wenn neben der Übergabe eine wirksame Einigung zwischen beiden vorliegt. Beide waren sich einig, dass das Eigentum an dem Mofa auf Benjamin übergehen solle. Die Einigungserklärung von Benjamin ist jedoch gem. § 107 nur dann wirksam, wenn er durch sie lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, weil die ansonsten notwendige Einwilligung (§ 183) der Eltern von Benjamin nicht vorliegt. Diese waren zwar mit dem Erwerb eines Fahrrades, nicht jedoch eines Mofas einverstanden.
Benjamin erlangt tatsächlich lediglich einen rechtlichen Vorteil, da er durch die (abstrakte) Übereignung nach § 929 Eigentümer des Mofas wird, also einen ausschließlichen Vermögenszuwachs erfährt, ohne dass er unmittelbar und gerade durch die Übereignung auch einen rechtlichen Nachteil in Kauf nehmen müsste.
Ob Benjamin durch seine Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, ist allein bezogen auf die Übereignung und nicht etwa auf das gesamte Geschäft (Kaufvertrag, Übereignung des Geldes etc.) zu prüfen.
Demgegenüber ist der von der Übereignung getrennt zu prüfende Kaufvertrag für Benjamin wegen der schuldrechtlichen Zahlungsverpflichtung aus § 433 Abs. 2 rechtlich nachteilig, also gem. § 107 nicht lediglich rechtlich vorteilhaft; den Kaufvertrag über den „Feuerstuhl“ kann er also nicht alleine (ohne Eltern) bewerkstelligen.
Dies alles ist eine Auswirkung der juristischen Zirkusnummer „Abstraktionsprinzip“! Das Prinzip besagt ja, dass die Eingehung einer schuldrechtlichen Verpflichtung und die Erfüllung dieser Verpflichtung, also insbesondere die Wirksamkeit von Verfügungsgeschäften, im Rahmen juristischer Beurteilungen immer voneinander „getrennt“ behandelt werden müssen und die Wirksamkeit des einen Rechtsgeschäftes nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit des anderen Rechtsgeschäftes ist. Dies gilt auch dann, wenn – was in der täglichen Rechtspraxis überaus häufig ist – die Geschäfte gleichzeitig und durch ein und dieselbe Erklärung vorgenommen werden, also wie bei den sog. Bargeschäften des täglichen Lebens in einem Akt zusammenfallen.
Eine Vielzahl von folgenschweren Fehlern in Klausuren gerade im Zusammenhang mit der Geschäftsfähigkeit beruht auf der Vernachlässigung dieses Grundsatzes.
Noch einmal, ich wiederhole mich hier bewusst: Benjamin erlangt tatsächlich lediglich einen rechtlichen Vorteil durch die Übereignung; er wird nämlich Eigentümer des Mofas, ohne dass er gerade durch die Übereignung auch einen rechtlichen Nachteil in Kauf nehmen müsste. Als nicht lediglich vorteilhaft ist zwar die Verpflichtung von Benjamin anzusehen, den Kaufpreis zu begleichen, diese Verpflichtung ist jedoch Bestandteil des schuldrechtlichen Verpflichtungs-(Kauf-)vertrages und nicht der sachenrechtlichen Übereignung des Mofas. Benjamin ist somit gem. § 929 S. 1 Eigentümer des Mofas geworden.
Demgegenüber kann Speich die Bezahlung des Mofas gem. § 433 Abs. 2 nicht verlangen, weil – wie sich aus dem Vorstehenden ergibt – ein wirksamer Kaufvertrag zwischen ihm und Benjamin nicht zustande gekommen ist. Dieser bringt nämlich mit der Verpflichtung, den Kaufpreis zahlen zu müssen, für Benjamin wegen § 433 Abs. 2 nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil.
Die Erörterung der – naheliegenden – Frage, ob Speich aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des „Feuerstuhls“ verlangen kann, oder welche Rechte ihm sonst zustehen, kennen Sie schon. Sie soll Ihnen zur eigenständigen Arbeit im Anschluss an diesen Beitrag aber zur Wiederholung (Wieder(hervor)holung) überlassen bleiben.
Merken Sie sich bitte: Bei der Beurteilung der Frage, ob der beschränkt Geschäftsfähige durch eine Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, kommt es allein auf rechtliche und nicht etwa auf wirtschaftliche Vorteile an. Dies beruht auf Gründen der Rechtssicherheit und führt z.B. dazu, dass im obigen Fall b. der Kaufvertrag mit Siegfried Speich auch dann nicht wirksam zustande gekommen wäre, wenn etwa das als Sonderangebot für 150 € angebotene Mofa in Wahrheit einen Wert von 700 € hätte.
Bei der Prüfung eventueller rechtlicher Nachteile ist schließlich zu beachten, dass diese nur dann der Wirksamkeit der Willenserklärung entgegenstehen, wenn sie unmittelbar aus dem Abschluss des Rechtsgeschäftes herrühren.
So kann z.B. der Patenonkel dem Benjamin Blitz zu Weihnachten einen Rauhhaardackel schenken, obwohl Benjamin als Hundehalter für diesen Hundesteuer zu zahlen hat und mit der Tierhalter(gefährdungs)haftung des § 833 überzogen werden kann. Der Abschluss des Schenkungsvertrages kommt auch ohne Einwilligung der gesetzlichen Vertreter wirksam zwischen dem Patenonkel und Benjamin zustande, weil Benjamin aus § 516 Abs. 1 lediglich einen Anspruch auf Übereignung des Hundes erlangt, nicht aber eine rechtliche Verpflichtung übernimmt. Die Verpflichtung zur Zahlung der Hundesteuer sowie die Gefährdungshaftung des § 833 folgen erst mittelbar aus seiner späteren Stellung als Hundehalter und bleiben daher in diesem Zusammenhang bei der unmittelbaren rechtlichen Vorteilserlangung in Form des Eigentums am Dackel außer Betracht.
4. Der Fall des § 108 Abs. 1 BGB
Jetzt taucht Neues auf. Es wird kniffelig und zwar deshalb, weil der Gesetzgeber zum einen selbst ein wenig „geschludert“, zum anderen eine „geniale Idee“ geboren hat.
Liegt nun keine der beiden alternativen Voraussetzungen des § 107 vor (Einwilligung oder lediglich rechtlicher Vorteil), so ist die Willenserklärung nicht etwa – wie Sie aus dem Wortlaut der Vorschrift fälschlich ableiten könnten – sogleich unwirksam. Vielmehr räumt das Gesetz jetzt in § 108 Abs. 1 dem gesetzlichen Vertreter bei Verträgen die Möglichkeit ein, die vor Abgabe der vertraglichen Willenserklärung nicht erteilte Zustimmung in Form einer Einwilligung (§ 183) anschließend im Wege einer nachträglichen Zustimmung noch nachzuholen, die das Gesetz in § 184 Abs. 1 als Genehmigung bezeichnet.
Diese gesetzliche Regelung beruht auf der listigen Überlegung, dass es für den in diesem Zusammenhang allein maßgeblichen Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen unerheblich ist, ob sein gesetzlicher Vertreter vor oder nach Abschluss des Rechtsgeschäftes seine Zustimmung erteilt. In beiden Fällen tritt die Wirksamkeit des Vertrages nämlich nicht ohne Erteilung der Zustimmung ein. In beiden Fällen hat daher der gesetzliche Vertreter gleichermaßen die Möglichkeit, im Interesse des beschränkt Geschäftsfähigen zu prüfen, zu wägen und zu entscheiden, ob der Vertrag wirksam werden soll oder nicht. Einmal vor dem beabsichtigten Geschäft, zum anderen danach.
Die Bestimmung des § 184 Abs. 1 enthält noch eine weitere in diesem Zusammenhang bedeutsame Regelung: Die Genehmigung hat nämlich rückwirkende Kraft. Dies bedeutet, dass mit Erteilung der Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter der Vertrag, der bis dahin nicht wirksam war, rückwirkend, also vom Zeitpunkt seines Abschlusses an, voll wirksam wird.
Im obigen Beispielsfall „Feuerstuhl“ ist der Kaufvertrag zwischen Benjamin und Herrn Speich zunächst nicht über § 107 von Anfang an wirksam zustande gekommen, weil er Benjamin nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil verschafft (Benjamin ist verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen) und die deswegen erforderliche Einwilligung seiner Eltern nicht vorlag (diese hatten lediglich den Erwerb eines Fahrrades gestattet). Andererseits ist er auch nicht von Anfang an unwirksam. Gelingt es Benjamin nun z.B. zwei Tage später, von seinen Eltern die Erlaubnis zu ergattern, das Mofa zu behalten, so bewirkt die darin zu sehende Genehmigung der Eltern über § 184 Abs. 1, dass der Kaufvertrag zwischen Benjamin und Herrn Speich vom Zeitpunkt seines Abschlusses an rückwirkend wirksam zustande gekommen ist (§§ 433, 108 Abs. 1).
Die in diesen Fällen erforderliche Genehmigungserklärung kann der gesetzliche Vertreter sowohl gegenüber dem beschränkt Geschäftsfähigen als auch gegenüber dem Vertragspartner abgeben (§ 182 Abs. 1). Diese Wahlmöglichkeit besteht im Übrigen auch für die vor Abschluss des Geschäftes zu erteilende Einwilligung, wie sich aus der Verwendung des Oberbegriffs „Zustimmung“ im § 182 Abs. 1 ergibt.
Wird der beschränkt Geschäftsfähige „Benjamin“ selbst voll geschäftsfähig, bevor sein gesetzlicher Vertreter die Genehmigung erteilt oder verweigert hat, so steht gem. § 108 Abs. 3 nunmehr ihm das Recht selbst zu, durch Genehmigung die rückwirkende Wirksamkeit des Vertrages oder durch Verweigerung der Genehmigung dessen endgültige Unwirksamkeit herbeizuführen.
Die soeben erläuterte Rückwirkung der Genehmigung hat gem. § 184 Abs. 1 zur Folge, dass im Nachhinein gesehen das Rechtsgeschäft des beschränkt Geschäftsfähigen in ein und demselben Zeitpunkt getätigt und wirksam wird. Solange die Genehmigungserklärung allerdings noch nicht abgegeben ist, besteht ein Schwebezustand, der dadurch gekennzeichnet ist, dass einerseits der Vertrag noch nicht wirksam, andererseits der Vertragspartner Speich aber bereits nahezu genauso gebunden ist, als wäre dies schon der Fall. Da die Entscheidung über die Erteilung der Genehmigung oder ihre Verweigerung ohne sein Zutun erfolgt, muss er sich nämlich während der Schwebezeit immer damit rechnen, infolge einer jederzeit möglichen Genehmigung nunmehr uneingeschränkt vertraglich gebunden zu sein.
Man spricht zur Bezeichnung des Zeitraumes zwischen Abschluss und späterer Genehmigung des Vertrages (oder der Verweigerung der Genehmigung) geradezu bildhaft von der „schwebenden Unwirksamkeit“ des Vertrages.
Der Vertrag wird sozusagen dem gesetzlichen Vertreter auf dem „Silbertablett des § 108 Abs. 1“ zur Begutachtung vorgelegt. Er kann jetzt prüfen, ob der Vertrag für den Minderjährigen günstig oder ungünstig ist. Je nachdem erteilt er eine Genehmigung mit der Folge, „Vertrag wird gem. §§ 433, 108 Abs. 1, 184 wirksam“, oder er verweigert die Genehmigung mit der Folge, „Vertrag wird gem. §§ 433, 108 Abs. 1, 184 unwirksam“. Eine wirklich geniale Idee!
Da der Zustand der „schwebenden Unwirksamkeit“ des Vertrages – wie soeben dargestellt – besonders für den Vertragspartner Speich nachteilige Auswirkungen hat, räumt das Gesetz diesem zwei Möglichkeiten ein, den Schwebezustand zu beenden.
● So kann er, solange die Genehmigung nicht erteilt ist, in Abweichung von dem
Grundsatz, dass Vertragserklärungen bindend sind (§ 145 ff.), gem. § 109 Abs. 1 seinerseits seine Vertragserklärung – Angebot oder Annahme – widerrufen und so den Vertrag endgültig zu Fall bringen. Diese Möglichkeit ist allerdings durch § 109 Abs. 2 wegen mangelnder Schutzwürdigkeit des Vertragspartners in den Fällen eingeschränkt, in denen er wusste, dass er den Vertrag mit einem beschränkt Geschäftsfähigen abschloss. Er kann dann nur widerrufen, wenn der beschränkt Geschäftsfähige wahrheitswidrig behauptet hat, es liege die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters vor. Auch in diesem Fall kann der Vertragspartner allerdings nicht widerrufen, wenn er wusste, dass diese Behauptung nicht zutraf.
● Will der Vertragspartner sich nicht durch Widerruf vom Vertrag lösen, aber den inzwischen eingetretenen Schwebezustand beenden, so kann er aufgrund der Regelung des § 108 Abs. 2 eine Entscheidung über die endgültige Wirksamkeit des Vertrages erzwingen. Speich kann dazu den gesetzlichen Vertreter seines beschränkt geschäftsfähigen Vertragspartners zur Erklärung darüber aufzufordern, ob die Genehmigung erteilt werde oder nicht. Diese Aufforderung bewirkt zunächst, dass eine Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung, die der gesetzliche Vertreter in Wahrnehmung seines bereits erwähnten Wahlrechtes aus § 182 Abs. 1 gegenüber dem beschränkt Geschäftsfähigen selbst (!) schon erklärt hat, automatisch unwirksam wird. Weiter bewirkt diese Aufforderung unter Einschränkung des § 182 Abs. 1, dass die Genehmigung der Eltern nunmehr nur noch gegenüber dem auffordernden Vertragspartner und nur noch bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung wirksam erklärt werden kann. Erfolgt bis dahin keine Genehmigung, so gilt sie als verweigert. Schweigen fingiert hier ausnahmsweise eine ablehnende Willenserklärung.
Zusammenfassend können wir schon einmal grob feststellen, dass ein Vertrag, an dem ein beschränkt Geschäftsfähiger beteiligt ist,
● entweder – nämlich unter den Voraussetzungen des § 107 – sofort wirksam
● oder bis zu einer Entscheidung über die Genehmigung des Vertrages gem. § 108 Abs. 1 schwebend unwirksam ist.
Der Schwebezustand kann beendet werden,
● indem der Vertragspartner widerruft (§ 109 Abs. 1),
● der Vertragspartner die 2-Wochen-Frist auslöst
● oder indem die Eltern genehmigen oder die Genehmigung verweigern.
5. Der Vertrag „an sich“
Beide Fälle, § 107 einerseits und §§ 108 Abs. 1, 184 Abs. 1 andererseits, setzen allerdings voraus, dass die allgemeinen Regeln über den Vertragsschluss beachtet sind. Der Vertrag „an sich“, d.h. unter Ausblendung der Beteiligung des beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen, muss ordnungsgemäß zustande gekommen sein.
Dies bedeutet z.B., dass auch bei Einwilligung der Eltern im Fall a. „Tretmühle“ der Vertrag zwischen Benjamin und Speich solange nicht zustande kommt, wie nicht objektiv zwei sich deckende Willenserklärungen nach unserer 6-Säulen-Theorie abgegeben wurden.
Bei der mithin notwendigen Prüfung der Frage, ob überhaupt zwei sich deckende Willenserklärungen vorliegen, taucht ein Paradoxität auf, die in der beschränkten Geschäftsfähigkeit des einen Vertragspartners begründet und zunächst bewusst zurückgestellt worden ist. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass die einzelnen Willenserklärungen, Angebot und Annahme, trotz der beschränkten Geschäftsfähigkeit des einen oder beider Beteiligten ohne weiteres wirksam werden.
Wir müssen jetzt die Frage untersuchen, ob denn die Willenserklärungen Angebot und Annahme, die den Vertrag unter Beteiligung beschränkt Geschäftsfähiger bilden sollen, ihrerseits überhaupt wirksam werden können. Hierzu ist danach zu differenzieren, ob der beschränkt Geschäftsfähige die Willenserklärung abgibt oder sie ihm gegenüber abgegeben wird.
Bei jedem Vertragsschluss ist der beschränkt Geschäftsfähige allerdings in beiden Funktionen beteiligt: Entweder nimmt er zunächst ein ihm gegenüber abgegebenes Angebot als Empfänger entgegen und gibt dann seinerseits die Annahmeerklärung ab oder der beschränkt Geschäftsfähige macht zunächst das Angebot und nimmt sodann die Annahmeerklärung seines Vertragspartners als Empfänger entgegen.
● Die Abgabe der Willenserklärung durch den beschränkt Geschäftsfähigen
Diese ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 107 sogleich wirksam, wenn dessen Voraussetzungen (Einwilligung oder Erlangung eines lediglich rechtlichen Vorteils) vorliegen. Ist dies nicht der Fall und handelt es sich wie bei allen bisher erörterten Fällen um eine Willenserklärung des beschränkt Geschäftsfähigen, die zum Abschluss eines Vertrages führen soll (Vertragserklärung), so wird die Willenserklärung ebenfalls sogleich wirksam, weil sich eine abweichende Regelung im Gesetz nicht findet. Eine derartige Regelung ist auch nicht erforderlich, weil der Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen in diesen Fällen schon durch das bereits erläuterte Genehmigungserfordernis aus § 108 Abs. 1 gewährleistet wird.
● Die Abgabe einer Willenserklärung gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen
Hierzu hat der Gesetzgeber in § 131 Abs. 2, Abs. 1 eine ausdrückliche Regelung getroffen: Danach wird die Willenserklärung grundsätzlich erst dann wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter des beschränkt Geschäftsfähigen zugeht.
Schon mit dem Zugang bei dem beschränkt Geschäftsfähigen wird die Willenserklärung demgegenüber nur in zwei Ausnahmefällen wirksam, nämlich dann, wenn die Erklärung dem beschränkt Geschäftsfähigen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt oder der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilt hat.
Wie wir schon gesehen haben, kann der beschränkt Geschäftsfähige je nach Fallkonstellation entweder das Angebot des Vertragspartners oder dessen Vertragsannahme entgegennehmen.
Geht bei einem beschränkt Geschäftsfähigen ein Vertragsangebot ein, so wird es mit diesem Zugang bei ihm wirksam. Denn die Entgegennahme eines Vertragsangebotes stellt lediglich einen rechtlichen Vorteil dar: Die Rechtslage verbessert sich für den beschränkt Geschäftsfähigen, weil dieser in die Lage versetzt wird, durch die Annahme des Angebotes einen Vertrag zu schließen; er gewinnt an Rechtsmacht. Dem steht ein rechtlicher Nachteil noch nicht gegenüber, weil der beschränkt Geschäftsfähige zur Annahme des Angebotes nicht gezwungen ist.
Anders ist die Situation nun aber für die Entgegennahme der Vertragsannahme. Diese stellt im Regelfall keinen lediglich rechtlichen Vorteil dar, weil durch das Wirksamwerden der Annahmeerklärung nach den allgemeinen Regeln der Vertrag zustande kommt und so (zumeist) auch rechtliche Nachteile für den beschränkt Geschäftsfähigen entstehen, wie z.B. die Zahlungspflicht nach § 433 Abs. 2. Liegt in diesem Fall auch keine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vor, so kann die Willenserklärung nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 erst mit Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter wirksam werden.
Dieses Ergebnis würde allerdings zu der eben als Paradoxität bezeichneten Konsequenz führen, dass für die Anwendung der §§ 108, 184 kein Raum bliebe: Denn die durch diese Vorschriften vorgesehene Genehmigung würde nicht zur Wirksamkeit des Vertrages führen können, weil nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 131 Abs. 2 eine solche Willenserklärung nicht durch Genehmigung nachträglich Wirksamkeit erlangen kann. Aus diesem Grunde ist § 131 Abs. 2 über seinen Wortlaut hinaus erweiternd dahin auszulegen, dass gem. §§ 108 Abs. 1, 184 Abs. 1 auch solche Verträge durch Genehmigung nachträglich rückwirkend wirksam werden, bei denen das sich aus § 131 Abs. 2 S. 1 i.V. mit Abs. 1 ergebende Zugangserfordernis bei dem gesetzlichen Vertreter nicht eingehalten worden ist (vgl. BGHZ 47, 352, 358).
Im Übrigen: Wenn § 108 Abs. 1 das Tatbestandsmerkmal „Vertrag“ voraussetzt und gleichzeitig § 131 Abs. 2 Anwendung fände, so würde sich das Gesetz selbst ad absurdum führen, da ja mit § 131 Abs. 2 gerade kein „Vertrag“ zustande käme. Kann aber das Gesetz etwas Absurdes verlangen? Nein! Deshalb fällt die Prüfung des § 131 Abs. 2 im Rahmen des § 108 Abs. 1 flach! § 131 Abs. 2 gilt ab jetzt nur noch für den Zugang einseitiger Willenserklärungen gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen.
Für die Lösung von Fällen in Klausuren ermöglicht das soeben erarbeitete Ergebnis eine Vereinfachung, die wir gleich bei den Aufbaufragen praktisch-technisch kennen lernen werden: Bei der Untersuchung der Frage, ob die dem beschränkt Geschäftsfähigen gegenüber abgegebene Erklärung der Annahme eines Vertragsangebotes wirksam geworden ist, braucht die Frage des Zuganges der Willenserklärung (auch) bei dem gesetzlichen Vertreter nicht erörtert zu werden, da das Fehlen keine rechtlichen Auswirkungen hat. Es braucht auch nicht etwa in der Klausur erläutert zu werden, warum das nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 2 eigentlich erforderliche Zugangserfordernis bei den Eltern nicht näher erörtert wird. (Das Paradoxe besteht darin, dass § 108 Abs. 1 einen „Vertrag“ voraussetzt, der nach § 131 Abs. 2 niemals zustande kommen könnte!)
Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass in diesen Fällen auf das Zugangserfordernis generell verzichtet werden könnte. Die vorstehenden Ausführungen ändern vielmehr nichts daran, dass unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 eine gegenüber dem beschränkt Geschäftsfähigen abgegebene Willenserklärung erst mit Zugang bei diesem wirksam wird. Lediglich auf den nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 2 daneben notwendigen Zugang der Willenserklärung bei dem gesetzlichen Vertreter des beschränkt Geschäftsfähigen kommt es bei den Vertragserklärungen aus den oben dargelegten Gründen nicht an.
6. Aufbaufragen, Musterbeispiele für juristische Kunst
Die verschiedenen, sich aus der gesetzlichen Regelung der §§ 106, 107, 108 ergebenden Prüfungspunkte sind verwirrend. Dennoch müssen Sie in einer Klausur alles in systematischer Reihenfolge, logisch und vollständig erörtern. Dabei hat sich ein bestimmter „Aufbau“ in der Praxis bewährt. Es handelt sich nicht um ein starres Aufbauschema, das unbedingt eingehalten werden müsste. Auch jede andere Prüfungsreihenfolge, die systematisch alle sich ergebenden Fragen erfasst, können Sie Ihren Klausuren zugrunde legen. Ich finde nachfolgende Darstellung allerdings am besten:
Wenn Sie auf einen Vertrag unter Beteiligung eines beschränkt Geschäftsfähigen stoßen, dann steuern Sie sofort auf die Rechtsfolge der §§ 106, 108 Abs. 1 – schwebende Unwirksamkeit – zu.
Dies geschieht am besten durch eine Formulierung wie: „… Da Benjamin erst 15 Jahre alt ist, könnte der Kaufvertrag gem. §§ 433, 106, 108 Abs. 1 schwebend unwirksam sein.“
Dieser direkte Einstieg hat damit zu tun, dass § 108 Abs. 1 m.E. eine Spezialvorschrift für sämtliche Verträge unter Beteiligung eines beschränkt Geschäftsfähigen ist.
Wählten Sie diesen direkten Einstieg nicht und würden die Grundvoraussetzungen eines Vertragsschlusses, nämlich zwei sich deckende, wirksam gewordene Willenserklärungen prüfen, müssten Sie klar machen, warum Sie die Problematik des § 131 Abs. 2 nicht erwähnen. Prüften Sie losgelöst von der beschränkten Geschäftsfähigkeit des Beteiligten Benjamin die Voraussetzungen der 6 Säulen des Vertrages außerhalb des § 108 Abs. 1, würde jeder Leser Sie fragen: „Ja, warum geht der denn einfach über § 131 Abs. 2 hinweg?“ „Versteh ich nicht!“ Steigen Sie aber direkt über § 108 Abs. 1 ein, weiß jeder Kundige, dass Sie die Spezialnorm des § 108 Abs. 1 anziehen. Diese sieht aber gerade als Tatbestandsmerkmal einen „Vertrag“ des Minderjährigen vor, der zwar zur Schwebe gebracht werden kann, aber in seinen objektiven Bestandteilen vorhanden sein muss (Säule 1-6). Hier muss der Gesetzgeber logischerweise einen „Vertrag an sich“, also einen objektiven Vertragsschluss unter Ausblendung der Minderjährigkeit, vorgesehen haben, anderenfalls der § 108 Abs. 1 keinen Sinn machte. Es drehte sich alles im Kreise wie bei der berühmten Katze, die sich immer in den Schwanz beißt.
Anschließend prüfen Sie, ob die Tatbestandsmerkmale des § 108 Abs. 1 (die Wenn’s) vorliegen oder nicht.
§ 108 Abs. 1 setzt voraus, dass
ein beschränkt Geschäftsfähiger beteiligt ist,
ein „Vertrag an sich“, d.h. unter Ausblendung der beschränkten Geschäftsfähigkeit, zustande gekommen ist,
die Einwilligung gem. § 107 erforderlich ist und
diese Einwilligung nicht vorliegt.
Also: Rechtsfolge „schwebende Unwirksamkeit“ gem. § 108 Abs. 1 immer an die Spitze!
Konkret am Fall „Feuerstuhl“:
Speich könnte von Benjamin gem. § 433 Abs. 2 den Kaufpreis i.H.v. … € verlangen.
Das setzt voraus, dass zwischen ihm und Benjamin ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist.
Da Benjamin als 15-jähriger am Vertragsschluss beteiligt ist, könnte der Kaufvertrag gem. §§ 433, 108 Abs. 1 schwebend unwirksam sein.
Benjamin ist erst 15 Jahre alt und somit gem. §§ 106, 2 beschränkt geschäftsfähig.
Der Vertrag „an sich“, d.h. unter Ausblendung der Minderjährigkeit des Benjamin, ist zwischen ihm und Speich fraglos zustande gekommen.
Die Einwilligung ist gem. §§ 106, 107 erforderlich, wenn der beschränkt Geschäftsfähige nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Durch den Kaufvertrag erlangt Benjamin zwar § 433 Abs. 1, aber § 433 Abs. 2 … (hier folgt die Subsumtion zum rechtlichen Vorteil). Also war die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich.
Die Einwilligung ist gem. § 183 die vorherige Zustimmung. Gesetzliche Vertreter des Benjamin sind gem. §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 dessen Eltern. Diese waren nur mit dem Kauf eines Fahrrades, nicht aber eines Mofas einverstanden; die erforderliche Einwilligung lag daher nicht vor.
Also ist der Kaufvertrag zunächst gem. § 108 Abs. 1 schwebend unwirksam. (Nämlich deshalb, weil alle Tatbestandsmerkmale des § 108 Abs. 1 vorliegen)
Oder: „Also ist der Kaufvertrag von Anfang an wirksam“. (Nämlich deshalb, weil die Einwilligung nicht erforderlich war (§ 107) oder die Einwilligung (§ 183) vorlag (Fall „Tretmühle“))
Taucht also eine Person zwischen 7 und 18 Jahren im Sachverhalt im Zusammenhang mit Verträgen auf: Rein in den § 108 Abs. 1!
Das sollten wir einmal bei Ottilie mit unserer schon verinnerlichten Gutachtentechnik im „Tante-Lydia-Fall“ üben.
Tante Lydia gegen Ottilie
A. Tante Lydia könnte von Ottilie gem. § 985 die Herausgabe des Geldstücks verlangen.
Dann müsste Lydia Eigentümerin und Ottilie Besitzerin ohne Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 S. 1 sein.
Ursprüngliche Eigentümerin war Lydia. Sie könnte ihr Eigentum gem. § 929 S. 1 an die 14-jährigeOttilie verloren haben.
Das setzt voraus, dass zwischen ihr und Ottilie eine Einigung stattgefunden hat, das Geldstück übergeben worden ist, sich beide zum Zeitpunkt der Übergabe noch einig waren und Lydia Berechtigte, d.h. verfügungsbefugte Eigentümerin war.
1. Die Einigung ist ein dinglicher Vertrag. Da an dem Vertragsschluss ein Minderjähriger, der das 7. Lebensjahr vollendet hat (vgl. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 2. Alt.), beteiligt ist, könnte der Vertrag gem. § 108 Abs. 1 schwebend unwirksam sein. (§ 108 Abs. 1 ist eben eine Spezialprüfungseingangsvorschrift für sämtliche Verträge, an denen beschränkt Geschäftsfähige beteiligt sind.) Das setzt voraus, dass Ottilie beschränkt geschäftsfähig ist, ein Einigungsvertrag „an sich“, d.h. unter Ausblendung der Minderjährigkeit, zustande gekommen ist, eine Einwilligung erforderlich war und eine solche nicht vorliegt.
a. Ottilie ist 14 Jahre alt und somit gem. §§ 2, 106 beschränkt geschäftsfähig.
b. Ein Vertrag kommt zustande durch wirksames Angebot und wirksame Annahme gem. § 151. Ein Einigungsvertrag „an sich“ ist zwischen Lydia und Ottilie abgeschossen worden, da beide darüber einig waren, dass das Eigentum an dem 2 €-Stück von Lydia auf Ottilie übergehen sollte. (In diesem Zusammenhang bleibt die beschränkte Geschäftsfähigkeit der Ottilie unberücksichtigt.) Also ist ein Vertrag „an sich“ zustande gekommen.
c. Eine Einwilligung ist gem. § 107 erforderlich, wenn der Minderjährige durch das Rechtsgeschäft nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Rechtlich nachteilig sind alle Geschäfte, durch welche der beschränkt Geschäftsfähige eine schuldrechtliche Verpflichtung eingeht oder einen rechtlichen Vermögensverlust erleidet. Bei dem Eigentumserwerb („Abstraktionsprinzip“) erfährt die Ottilie einen Eigentumszuwachs, also einen lediglich rechtlichen Vorteil. Also war eine Einwilligung der gesetzlichen Vertreter (Eltern) nicht erforderlich, das ausdrückliche Verbot der Eltern ist irrelevant.
Also ist der Einigungsvertrag zwischen Lydia und Ottilie nicht schwebend unwirksam: Er ist von Anfang an wirksam.
Eine wirksame Einigung zwischen Lydia und Ottilie gem. § 929 liegt vor.
2. Weiterhin müsste das Geldstück übergeben worden sein. Da ein tatsächlicher Besitzwechsel stattgefunden hat, liegt eine Übergabe an Ottilie vor.
3. Da ein mehraktiger Tatbestand vorliegt, nämlich Einigung und Übergabe, muss zum Zeitpunkt des Vollzugsmomentes (Übergabe) das Willensmoment Einigung noch andauern. (Allgemeiner Rechtsgedanke aus § 873 Abs. 2.) Zum Zeitpunkt der Übergabe wirkte die Einigung zwischen den Beteiligten noch fort.
Also waren sich beide noch einig.
4. Letztlich müsste Lydia berechtigte Eigentümerin des 2 €-Stücks gewesen sein. Lydia war verfügungsbefugte Rechtsinhaberin, also berechtigte Eigentümerin.
Also ist das Eigentum wirksam von Lydia auf Ottilie gem. § 929 S. 1 übergegangen, Lydia ist nicht mehr Eigentümerin.
Also kann Lydia das 2 €-Stück nicht gem. § 985 von Ottilie herausverlangen.
B. Tante Lydia könnte von Ottilie gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des Geldstückes (Herausgabe des Erlangten) verlangen.
Das setzt voraus, dass Ottilie als Anspruchsgegnerin ein „Etwas“ durch die Leistung der Antragstellerin Lydia ohne Rechtsgrund erlangt hat. (§ 812 Abs. 1 ist ein juristischer Mechanismus zum Ausgleich der Härten, die durch das Abstraktionsprinzip eintreten. Ist das Verpflichtungsgeschäft aus irgendeinem Grund unwirksam, das Verfügungsgeschäft aber wirksam – liegt also eine ungerechtfertigte (durch keinen Schuldgrund gedeckte) Bereicherung (auf Verfügungsebene) vor – so muss rückabgewickelt werden.)
1. Ein „Etwas“ ist jede vermögensrechtliche Position. Wie oben gezeigt, hat Ottilie Eigentum und Besitz am Geld erlangt, mithin ein „Etwas“.
2. Eine Leistung ist jede bewusste zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens in Erfüllung einer bestehenden oder vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit (Verpflichtung, schuldrechtlicher Vertrag). Lydia hat Ottilie das Eigentum und den Besitz verschafft in der Meinung, aufgrund eines Schenkungsvertrages dazu verpflichtet zu sein.
3. Letztlich müsste diese Vermögensverschiebung ohne Rechtsgrund erfolgt sein. Als Rechtsgrund kommt ein wirksamer Schenkungsvertrag gem. § 516 in Betracht. Ein Vertrag kommt gem. § 151 durch wirksames Angebot und wirksame Annahme zustande. Da Ottilie erst 14 Jahre alt ist, könnte der Schenkungsvertrag gem. § 108 Abs. 1 schwebend unwirksam sein. Das setzt voraus, dass ein beschränkt Geschäftsfähiger am Vertrag beteiligt ist, der Vertrag „an sich“ zustande gekommen ist, die Einwilligung erforderlich ist und eine solche nicht vorliegt.
a. Ottilie ist gem. §§ 2, 106 beschränkt geschäftsfähig.
b. Der durch wirksames Angebot und wirksame Annahme geschlossene Schenkungsvertrag könnte aber gem. § 125 S. 1 nichtig sein. Das setzt voraus, dass gegen eine gesetzlich vorgeschriebene Form verstoßen worden ist. Gem. § 518 Abs. 1 bedarf das Schenkungsversprechen der Lydia der notariellen Beurkundung. Diese Form ist nicht eingehalten worden. Gem. § 518 Abs. 2 wird aber der Mangel der Form durch die (wirksame!!) Bewirkung der Leistung geheilt (Handschenkung). Da – wie oben dargelegt – Lydia das Geldstück wirksam gem. § 929 S. 1 an Ottilie übereignet hat, ist der Mangel der Form gem. § 518 Abs. 2 geheilt.
Also ist ein Vertrag „an sich“ zwischen Lydia und Ottilie zustande gekommen.
c. Eine Einwilligung ist gem. § 107 erforderlich, wenn der beschränkt Geschäftsfähige nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Rechtlich vorteilhaft sind alle Rechtsgeschäfte, durch die der beschränkt Geschäftsfähige keine schuldrechtliche Verpflichtung eingeht und keinen Rechtsverlust aus seinem Vermögen erleidet. Durch einen Schenkungsvertrag als einseitig verpflichtender Vertrag entsteht keine Verpflichtung der Ottilie; also ist die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter nicht erforderlich.
Der Schenkungsvertrag ist also nicht schwebend unwirksam gem. § 108 Abs. 1, sondern wirksam; er ist damit Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung.
Somit kann Lydia von Ottilie nicht gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des Geldstückes verlangen.
Hoffentlich vergessen Sie Tante Lydia und ihre Neffen und Nichte nie mehr!