Beispiel 1: Hektor und Alexander geraten um die schöne Helena in einer Gaststätte in Streit. Hektor meint, eine körperliche Auseinandersetzung sei schon länger fällig. Er fordert Alexander auf herauszukommen, draußen werde er ihn zusammenschlagen. A ist gerne bereit und erklärt, wenn H Prügel haben wolle, könne er sie bekommen. Draußen entwickelt sich eine Schlägerei, bei der A eine Gehirnerschütterung erleidet.
Beispiel 2: Die 17-jährige Stefanie leidet unter den Hänseleien der Mitschüler wegen ihrer äußerst stark entwickelten Brüste. Der aufgesuchte Schönheitsoperateur Dr. Schneider ruft die Eltern an, die eine Verkleinerung der Brust mit dem Argument, ein großer Busen sei Familientradition, ablehnen. Dr. S operiert dennoch.
Beispiel 3: Die 16-jährige Inga, die ein Verhältnis mit dem 28-jährigen an Aids erkrankten Erich unterhält, schläft trotz intensiver Aufklärung über das Risiko ohne Verhütungsmittel mit Erich.
Beispiel 4: Raser wird als Unfallopfer ohnmächtig ins Krankenhaus eingeliefert. Der diensthabende Arzt Dr. Schneider führt sofort die dringend notwendige Operation durch und amputiert das Bein. Raser wird gerettet.
Der Rechtfertigungsgrund, der hier in Betracht kommt, ist die Einwilligung.
Sucht man das Gesetz nach diesem Institut ab, so stößt man auf § 228 StGB. Die Vorschrift betrifft systematisch offensichtlich die Einwilligung bei Körperverletzungen, sagt aber nichts über ihre Voraussetzungen, sondern nur, dass eine Tat rechtswidrig bleibt, wenn sie trotz der Einwilligung sittenwidrig ist, d.h. wenn die Tat gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Auf jeden Fall ist der Vorschrift zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine Einwilligung irgendwie kennt und zwar in der Bedeutung als Rechtfertigungsgrund (vgl.: „… handelt nur dann rechtswidrig …“). Es mag dahinstehen, ob in § 228 StGB ein allgemeiner, für alle Fälle der Einwilligung geltender Rechtsgrundsatz gesehen werden kann, der auch auf andere Individualrechtsgüter (Ehre, Eigentum, Vermögen) analog übertragen werden kann, oder ob § 228 StGB nur für die Gruppe der Körperverletzungsdelikte Wirkung entfaltet; jedenfalls ist die Einwilligung als allgemeiner (ungeschriebener) Rechtfertigungsgrund gewohnheitsrechtlich anerkannt.
Die Einwilligung beruht auf dem Grundgedanken des römischen Rechts, dass die Rechtsordnung die Rechtsgüter dessen nicht zu schützen braucht, der sie freiwillig dem Zugriff Dritter preisgibt (lat.: volenti non fit iniuria, dem Freiwilligen geschieht kein Unrecht).
Von der Einwilligung als Rechtfertigungsgrund ist die Einwilligung zu unterscheiden, die bereits den Tatbestand ausschließt, das sog. „Einverständnis“ als Unterschiedsbegriff zur „Einwilligung“.
Eine Handlung ist nämlich schon nicht tatbestandlich, wenn sie ihren verbrecherischen Charakter gerade dadurch erhält, dass sie gegen den Willen des Rechtsgutträgers erfolgt und dieser mit dem fraglichen Geschehen einverstanden ist. Solche Fälle des Einverständnisses sind entweder direkt dem Gesetz zu entnehmen (vgl. § 248 b StGB; § 201 StGB „unbefugt“) oder ergeben sich aus der Natur der Tathandlung, die per definitionem ein Handeln gegen den Willen des Betroffenen erfordert (§ 123 StGB „Eindringen“, d.h. Betreten gegen den Willen des Hausrechtsträgers; § 242 StGB „Wegnehmen“, d.h. Gewahrsamserlangung gegen den Willen des Gewahrsamsträgers; § 239 StGB „Einsperren“, d.h. Beraubung der Freiheit ohne Willen des Opfers; §§ 177, 178, 240, 249, 252, 253, 255).
Beispiel: Zimmermädchen Emma entwendet aus dem Zimmer des reichen Hotelgastes Reiner dessen wertvolle Uhr. Reiner wollte Emma die Uhr ohnehin zukommen lassen, um mit ihr anzubandeln.
Emma hat die fremde bewegliche Sache nicht weggenommen. Da es beim Einverständnis im Vergleich zur Einwilligung nur auf dessen faktisches Vorhandensein ankommt, unabhängig von der Kenntnis der Emma, scheitert der vollendete Diebstahl bereits auf der Tatbestandsebene. (In Frage kommt nur ein untauglicher Diebstahlsversuch)
Sie sehen, dass bei vorhandenem Einverständnis die Stufe der Rechtswidrigkeit gar nicht erst erreicht wird, sondern bereits der objektive Tatbestand entfällt, ob mit oder ohne Kenntnis vom Einverständnis.
Im Beispielsfall 1 der Schlägerei hat Hektor tatbestandsmäßig eine Körperverletzung i.S. des § 223 StGB begangen.
Notwehr (§ 32 StGB) scheidet als Rechtfertigungsgrund jedenfalls deshalb aus, weil Hektor nicht mit Verteidigungswillen handelte. Er wollte nicht nur Angriffe abwehren, sondern suchte die Auseinandersetzung, um seine Kräfte mit Alexander zu messen.
Gleichwohl wäre es unbillig, den Hektor zu bestrafen. Als Alex der Aufforderung zur Schlägerei folgte, war ihm klar, dass er auch Schläge würde einstecken müssen.
Hier könnte der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung ansetzen.
Voraussetzungen der Einwilligung:
1. Eine wirksame Einwilligung setzt zunächst voraus, dass sie vom Rechtsgutträger vor der Tat ausdrücklich oder konkludent erteilt worden ist und zur Tatzeit noch vorliegt. Nachträgliche Zustimmungen (Genehmigungen vgl. etwa §§ 184, 185 BGB) sind im Strafrecht irrelevant.
2. Die Einwilligung muss rechtlich zulässig sein, was nur bei solchen Rechtsgütern der Fall ist, über die der Inhaber disponieren kann (Individualrechtsgüter). Das bedeutet, dass bei Rechtsgütern der Allgemeinheit (Universalrechtsgüter) die Einwilligung niemals rechtfertigen kann (§ 153 ff. StGB etwa oder § 267 StGB), da diese der Verfügbarkeit durch den Einzelnen entzogen sind. Auch bei den Individualrechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit gibt es zwei Einschränkungen. Der Schutz des Lebens ist gem. § 216 StGB unverzichtbar (Euthanasieverbot), und bei Körperverletzungen darf die Tat gem. § 228 StGB trotz der Einwilligung nicht gegen die guten Sitten verstoßen (Schönheitschirurg nimmt eine Gesichtsoperation vor, um den steckbrieflich gesuchten Patienten der Strafverfolgung zu entziehen; schwere Auspeitschungen bei masochistischen Opfern; Einspritzen von Seifenlauge zwecks Abtreibung).
3. Der Einwilligende muss einwilligungsfähig gewesen sein. Hier gelten nicht die im Interesse des Rechtsverkehrs erlassenen starren Altersgrenzen der §§ 104 ff., 2 BGB, sondern es kommt auf die individuelle, natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit an. Es ist jeweils zu fragen, ob der Einwilligende selbst die Bedeutung und Tragweite des gegen ihn gerichteten Eingriffs erkennen kann und die Fähigkeit zur Würdigung des Rechtsgutverzichtes besitzt. Streit besteht bei Einwilligungen in den Eigentumsschutzverzicht (§§ 303, 242 StGB), da ein unlösbarer Wertungskonflikt mit §§ 107, 106, 108 Abs. 1 BGB auftritt: Der Minderjährige kann rechtlich nachteilig nicht über sein Eigentum frei verfügen, soll aber in dessen Zerstörung oder Wegnahme einwilligen können? Schauen Sie doch einmal im „Schönke/Schröder“ unter dem Stichwort „Einwilligung“ nach!
4. Die Einwilligung muss frei von Willensmängeln erklärt worden sein. Jede durch Drohung oder Täuschung oder Gewalt erschlichene oder erwirkte Einwilligung ist unwirksam (nicht etwa nach § 119 ff. BGB anfechtbar; der im BGB notwendige Vertrauensschutz spielt im StGB keine Rolle). Bei Operationen ist also eine ärztliche Aufklärungspflicht zu fordern, um den Patienten die Risiken der gegen sie gerichteten Eingriffe deutlich zu machen.
5. Als subjektives Rechtfertigungselement ist ein Handeln in Kenntnis der Einwilligung erforderlich (anders bei dem „Einverständnis“, s.o.).
Nach diesen Grundsätzen ergibt sich für den „Trojafall“, dass Alexander in die mit einer Schlägerei verbundenen üblichen Körperverletzungen durch Hektor wirksam eingewilligt hat; dazu gehört auch eine Gehirnerschütterung.
Folglich ist Hektor nicht zu bestrafen, weil sein Handeln gerechtfertigt war.
Im „Brustoperationsfall“ stellt sich die Frage, ob die Körperverletzung durch Dr. Schneider gerechtfertigt ist. Zunächst ist bei ärztlichen Eingriffen jede die körperliche Integrität (Makellosigkeit; lat.: integer = unberührt, unversehrt, ganz) berührende Maßnahme nach h.M. eine körperliche Misshandlung i.S. des Tatbestandes des § 223 StGB (ob § 224 StGB [Messer!] fraglich). Die Gegenmeinung, nach welcher der gelungene Heileingriff tatbestandlich keine Misshandlung ist, verkennt, dass dann eine gefährliche Strafbarkeitslücke für eigenmächtige Eingriffe des Arztes gerissen wird. Da nach dieser Auffassung bereits der Tatbestand entfiele, käme es auf die Einwilligung und damit auf das Selbstbestimmungsrecht des Patienten über seinen Körper gar nicht mehr an.
Das Problem bei der Einwilligung liegt hier darin, dass die sorgeberechtigten Eltern der Operation ausdrücklich widersprochen hatten. Beim Widerspruch zwischen der Einwilligung des einwilligungsfähigen Minderjährigen und der Verweigerung durch die Eltern geht die Entscheidung des einwilligungsfähigen Minderjährigen vor.
Mithin war das Vorgehen von Dr. Schneider gerechtfertigt, da eine solche Operation wegen des psychischen Komplexes notwendig und deshalb nicht etwa sittenwidrig i.S. von § 228 StGB gewesen ist.
Im „Aids-Fall“ ist erstens die schwierige Frage zu stellen, ob eine 16-jährige fähig ist, die Bedeutung und Tragweite des gegen sie gerichteten erheblichen Risikos zu erkennen und die lebensgefährdende Handlung richtig zu würdigen und zweitens, ob bejahendenfalls die Tat (Geschlechtsverkehr ohne Präservative) nicht trotz der dann vorliegenden Einwilligung wegen der epidemischen Ausbreitungsgefahr gegen die guten Sitten verstößt. Was meinen Sie dazu?
Im „Beinamputations-Fall“ hat Dr. Schneider den Tatbestand der schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) erfüllt. Eine Einwilligung des Patienten Raser liegt nicht vor. Er konnte sie in seinem Zustand nicht geben.
Man hilft sich hier mit dem Rechtfertigungsgrund der sog. mutmaßlichen Einwilligung weiter, die angenommen wird, wenn keine Möglichkeit besteht, die rechtlich zulässige Einwilligung des Betroffenen einzuholen, die Würdigung der Sachlage aber ergibt, dass der Verletzte – als vernünftiger Mensch „hochgerechnet“ – seine Zustimmung erteilt haben würde, da die Handlung in seinem mutmaßlich vorhandenen Interesse liegt. Liegen diese Voraussetzungen vor, dann ersetzt die mutmaßliche Einwilligung die wirkliche Einwilligung.
Danach ist Dr. Schneider straflos.
Diesem „Prinzip des mutmaßlich vorhandenen Interesses“ wird das „Prinzip des mutmaßlich mangelnden Interesses“ gleichgestellt. Die mutmaßliche Einwilligung greift also auch dann ein, wenn ein schutzwürdiges Erhaltungsinteresse des Betroffenen fehlt.
Beispiel: Azubi Jupp entnimmt der Ladenkasse zehn einzelne 2-Euro-Geldstücke für den Automaten und legt gleichzeitig einen entsprechenden 20-Euro-Geldschein zurück.
Zwei Fälle zur Diskussion:
Beispiel 1: Die 3-jährige Barbara benötigt eine lebenserhaltende Operation. Die Eltern, die einer Sekte angehören, die mit Blut verbundene operative Eingriffe ablehnt, verweigern die Einwilligung. Dr. Schneider operiert dennoch.
Tipp: Zwar liegt keine wirksame Einwilligung seitens der allein einwilligungsbefugten Sorgeberechtigten vor. Dennoch ist das Handeln des Dr. Schneider gerechtfertigt
● entweder über Notwehr (Verweigerung der Einwilligung stellt einen rechtswidrigen Angriff dar)
● oder über Notstand (Kollision zwischen Leben des Kindes und Erziehungsrecht der Eltern)
● oder aber mutmaßliche Einwilligung des Familienrichters (Verweigerung stellt Sorgerechtsmissbrauch dar – Folge ergibt sich aus § 1666 BGB).
Beispiel 2: Bundesligaspieler Steinert trifft bei einem groben Foul den Oberschenkel des gegnerischen Mittelstürmers Leinen und reißt ihm mit dem Stollen eine 10 cm tiefe Fleischwunde.
Tipp: Auch im Sport kommt der Einwilligung bei Wettkämpfen (Boxen, Fußball, Fechten) eine immer größere Bedeutung zu. Leinen hat durch seine Beteiligung am Spiel mögliche Verletzungen in Kauf genommen und damit konkludent eingewilligt, jedenfalls soweit die Sportregeln eingehalten sind. Darüber hinaus umfasst die Einwilligung aber auch mögliche Verletzungen durch leicht fahrlässige Regelverstöße, die auf Übereifer und unvollkommene Spieltechnik zurückzuführen sind. Dagegen erstreckt sich die Einwilligung nicht – wie hier – auf grob fahrlässige Verstöße gegen die Spielregeln (schon gar nicht auf vorsätzliche).