Beitrag: 71 Die Insichgeschäfte: Den verknoteten § 181 BGB zu lesen und nichts zu verstehen ist normal!

Stehen als Erklärende auf beiden Seiten der jeweiligen Rechtsgeschäfte dieselben Personen,
so haben sie entweder als Vertreter in fremdem Namen gehandelt und auf der anderen Seite im eigenen Namen Erklärungen abgegeben, also mit sich selbst einen Vertrag geschlossen. Ein solches Verhalten wird als Selbstkontrahieren bezeichnet
oder aber die Handelnden sind auf der einen Seite als Vertreter in fremdem Namen und auf der anderen Seite ebenfalls als Vertreter aufgetreten, haben also beide Vertragsparteien vertreten. Diese Handlungsweise wird Mehrfachvertretung genannt.

Beispiele:
a. Jupp Schmitz beauftragt und bevollmächtigt seinen Freund Michael Geschicklich, den Pkw des Jupp zu veräußern, „egal an wen“. Michael, der technisch versiert ist, untersucht das Fahrzeug, findet es gut und verkauft und übereignet es anschließend zu einem angemessenen Preis an sich selbst. Kann Jupp Schmitz Kaufpreiszahlung von Michael an sich verlangen?
b. Wie ist im Falle a. zu entscheiden, wenn Michael Geschicklich den Pkw im Namen von Jupp an Dieter Dampf verkauft, wobei Michael auch als „Vertreter“ des unwissenden Dampf handelt?
c. Jupp Schmitz hat Dieter Dampf für zwei Monate ein Video-Gerät geliehen. Da Jupp plötzlich Geld braucht, verkauft er das Gerät an Michael Geschicklich. Über die Übereignung wird nicht gesprochen. Anschließend verreist Jupp Schmitz, den die Ausbildung an der Hochschule erheblich mitgenommen hat, für längere Zeit und erteilt Michael Geschicklich für die Zeit seiner Abwesenheit Generalvollmacht. Als Dampf das Gerät zurückbringt, nimmt Geschicklich es in Empfang und erklärt, er sei nun der Eigentümer. Nach der Rückkehr von Jupp entzweien sich Jupp Schmitz und Michael Geschicklich. Jupp verlangt Herausgabe des Video-Gerätes. Zu Recht?
d. Die Eltern Lydia Lustiges wollen deren 5-jährigem Bruder Lars ein Grundstück schenken. Sie erklären vor dem Notar, dass sie ihrem Sohn dieses Grundstück schenken und auflassen und erklären zugleich, dass sie diese Erklärungen im Namen ihres Sohnes Lars annehmen. Sind die Verträge wirksam?

Wir schließen uns den hochkomplexen § 181 zunächst nach unserer in „Juristische Entdeckungen – Bd. I“ gelernten „Seziertechnik“ einmal auf, indem wir aus ihm mehrere Paragraphen machen. Wir spielen Gesetzgeber! Versuchen Sie zunächst einmal selbst, den § 181 in seine beiden Grundsätze
Selbstkontrahierungsverbot und
Mehrfachvertretungsverbot sowie
seine beiden Ausnahmen zu zerlegen,
indem Sie drei selbständige Paragraphen baumeisterlich gestalten. Sie erinnern sich: Die Reduktion der Komplexität (§ 181) auf einfache Elemente (3 Paragraphen) zur Reproduktion der Komplexität (§ 181).

Grundsatz der Unzulässigkeit
Ein solches „Verhandeln mit sich selbst“ hat der Gesetzgeber aus nahe liegenden Gründen für bedenklich gehalten. Hat nämlich eine einzelne Person die Macht, Verpflichtungen und Rechte zweier anderer Personen oder gar einer anderen sich selbst gegenüber festzulegen, so kommt es leicht zu Interessenkollisionen, die zu einem Missbrauch der Vertretungsmacht Anlass geben könnten. Niemand kann Diener zweier Herren sein!
Deshalb bestimmt der ominöse § 181 S. 1, dass die Vertretungsmacht die Befugnis zu solchen Insichgeschäften nicht umfasst. Obwohl es in dieser Vorschrift heißt, der Vertreter könne solche Rechtsgeschäfte nicht vornehmen, was dem Wortlaut nach auf die Nichtigkeit als Rechtsfolge deutet, ist allgemein anerkannt, dass das gegen § 181 verstoßende Rechtsgeschäft analog § 177 Abs. 1 nur schwebend unwirksam ist und durch Genehmigung nach § 184 voll wirksam werden kann. Danach muss man die Vorschrift des § 181 als gesetzliche Einschränkung der Vertretungsmacht auffassen und nicht als Unzulässigkeitsgrund.
Sie gilt nicht nur für mehrseitige Rechtsgeschäfte, sondern auch für einseitige Willenserklärungen, bei denen die Person des Erklärenden und die des Erklärungsempfängers identisch sind. So kann M nicht als Vertreter des Vermieters V gegenüber sich selbst als Mieter einen Mietvertrag kündigen oder umgekehrt.
Für die eingangs genannten Fälle bedeuten unsere bisherigen Feststellungen jedoch noch nicht die endgültige Entscheidung darüber, dass alle dort vorgenommenen Rechtsgeschäfte schwebend unwirksam seien. Der Grundsatz des § 181 wird nämlich durch mehrere Ausnahmen durchbrochen.

Gesetzlich vorgesehene Ausnahmetatbestände
Insichgeschäfte sind wirksam, wenn sie dem Vertreter gestattet sind; denn dann verzichtet der Vertretene eben auf den ihm durch § 181 gewährten Schutz.
Dementsprechend könnte in den Eingangsfällen der jeweils abgeschlossene Kaufvertrag wirksam sein. Dies trifft für den Fall a. auch zu. Für den Fall b. muss jedoch berücksichtigt werden, dass Michael Geschicklich hier Jupp und Dampf vertritt, also ein Fall der Mehrfachvertretung vorliegt. Bei Mehrfachvertretung kann von einer entsprechenden Erlaubnis der Geschäftsherren i.S. von § 181 1. Alt. nur dann gesprochen werden, wenn beide Vertragsparteien mit der Mehrfachvertretung einverstanden waren. Dementsprechend ist ein Vertrag zwischen Jupp und Dampf nicht zustande gekommen, da Dampf mit der Mehrfachvertretung nicht einverstanden war. Der Vertrag ist vielmehr schwebend unwirksam, § 177 Abs. 1 analog; Jupp hat gegen Dampf nur dann einen Anspruch, wenn dieser die Vertretung durch Geschicklich genehmigt.
Eine weitere Ausnahme macht das Gesetz in § 181, wenn das Insichge-schäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. Dies setzt voraus, dass eine wirksame Verbindlichkeit, also ein Verpflichtungsgeschäft, zwischen den Vertragsparteien besteht, die jetzt durch das im Wege des Selbstkontrahierens vorgenommene Erfüllungsgeschäft, also das Verfügungsgeschäft, erfüllt werden soll. Diese Ausnahme findet ihre Rechtfertigung darin, dass bei der Abwicklung auf der Verfügungsebene keine Interessenkollisionen mehr auftreten können, die ja nur das Verpflichtungsgeschäft prägen (Aus- und Verhandeln).

Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Eingangsfall c. ergibt sich Folgendes:
Ein Anspruch des Jupp gegen Geschicklich auf Rückgabe des Videorekorders aus § 985 setzt voraus, dass Jupp Eigentümer des Gerätes ist. Er könnte jedoch sein Eigentum gem. § 929 ff. an Geschicklich verloren haben. Die dazu erforderliche Einigung über den Eigentumsübergang hat Jupp nicht selbst erklärt, vielmehr ist eine entsprechende Erklärung des Geschicklich im Wege des Selbstkontrahierens erfolgt. Da Geschicklich Generalvollmacht eingeräumt worden war, würde diese Erklärung gegen Jupp wirken, wenn nicht die Vertretungsmacht des Geschicklich durch § 181 eingeschränkt ist. Geschicklich hat hier zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gehandelt, denn zwischen Jupp und Geschicklich ist wirksam ein Kaufvertrag über den Videorekorder zustande gekommen, aus dem Jupp nach § 433 Abs. 1 zur Übergabe und Übereignung des Gerätes verpflichtet war. Die Einigung über den Eigentumsübergang wirkt daher nach §§ 164, 181 gegen Jupp. Da Geschicklich auch den unmittelbaren Besitz an der Sache erhalten hat, ist er nach § 929 S. 2 Eigentümer geworden, so dass ein Herausgabeanspruch aus § 985 zugunsten des Jupp nicht besteht.

Von der Rechtsprechung entwickelter Ausnahmetatbestand
Wenn Sie jetzt den Eingangsfall d. betrachten, so stellen Sie zunächst fest, dass die beiden Rechtsgeschäfte „Schenkungsvertrag“ gem. § 516 und „Übereignung“ gem. §§ 873 Abs. 1, 925 wegen der Geschäftsunfähigkeit des Lars gem. §§ 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 nichtig sind.
Treten die Eltern nun auf beiden Seiten der Rechtsgeschäfte auf, einmal im eigenen Namen, zum anderer als Vertreter im Namen des Lars über §§ 164 Abs. 1, Abs. 3, 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1, so müsste die gesetzliche Vertretung scheitern: § 181 berührt hier bereits die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts, nämlich des Schenkungsvertrages, da über §§ 1795 Abs. 2, 1629 Abs. 2 S. 1 die Vorschrift des § 181 auch für die gesetzliche Vertretung der Eltern gilt, also nicht nur für die rechtsgeschäftliche Vertretung.
Allein mit Hilfe der gerade vorgestellten Einschränkungen „Erfüllung einer Verbindlichkeit“ oder „Gestattung“ kommen wir auch nicht zu einer Wirksamkeit, da zum einen bereits die Wirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts betroffen ist, zum anderen der 5-jährige Lars nichts gestatten kann.
Dieses Ergebnis erscheint jedoch unbillig. Wenn wir uns an den gesetzgeberischen Zweck der Vorschrift zurückerinnern, so haben wir dazu festgestellt, dass der Gesetzgeber mögliche Interessenkollisionen ausschließen wollte. Kann nun eine solche Interessenkollision bei generell-abstrakter Beurteilung, also einer solchen Prüfung, die für alle denkbaren Fälle gilt, überhaupt nicht eintreten, so rechtfertigt dies, solche Fälle aus dem Anwendungsbereich des § 181 herauszunehmen.

Um zur Lösung dieses Problems zu kommen, müssen wir uns noch einmal vergegenwärtigen, worin der Interessenkonflikt zu sehen ist, der den Anlass zur Schaffung des § 181 gegeben hat. Tritt jemand zugleich in eigenem und in fremdem Namen auf, so ist die Versuchung groß, sich selbst auf Kosten des Vertretenen Vorteile zu verschaffen. Ließe man ein solches Vorgehen zu, könnten also rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile für den Geschäftsherrn die Folge sein. Einer Anwendung des § 181 bedarf es daher in solchen Fällen nicht, in denen Nachteile für den Vertretenen ausgeschlossen sind. Ein solcher Fall ist Ihnen aus unseren bisherigen Erörterungen bereits bekannt. § 107 erklärt die Rechtsgeschäfte eines beschränkt Geschäftsfähigen für wirksam, die dieser ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters vornimmt, sofern sie für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft sind. Dieser Grundsatz lässt sich auf die Frage des Anwendungsbereiches von § 181 übertragen. Ist das vom Vertreter (Eltern) im Wege des Selbstkontrahierens vorgenommene Geschäft für den Vertretenen (Lars) lediglich rechtlich vorteilhaft, so ist eine Kollision der Interessen des Geschäftsherrn (Lars) auf der einen und des Vertreters auf der anderen Seite total ausgeschlossen. Wird also durch das abgeschlossene Geschäft nur ein rechtlicher Vorteil für den Geschäftsherrn begründet, so bedarf dieser des Schutzes des § 181 nicht mehr. Solche Fälle können und müssen daher aus dem Anwendungsbereich dieser Vorschrift ausgenommen werden. Methodisch handelt es sich um einen Fall einer teleologischen Reduktion.

Konnte ich die Knoten etwas aufknoten?

Kurze Rekapitulation:
● Analogie Der Fall ist zwar nicht vom Wortlaut der Norm
gedeckt, aber vom Normzweck erfasst.
Teleologische Reduktion Der Fall ist zwar vom Wortlaut der Norm gedeckt
(keine Vertretung), aber vom Normzweck nicht
erfasst.

So liegt es hier: Das lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäft ist zwar vom Verbot des § 181 erfasst (da keine Ausnahme greift), aber vom Normzweck (Schutz vor Interessenkollisionen) nicht erfasst. (So auch § 181 c 3. Alt. unserer Sezierlist.)

Nach diesen Vorüberlegungen können wir den Fall d. lösen. Durch den Schenkungsvertrag wird auf der schuldrechtlichen Ebene des (Verpflichtungs-)Geschäfts lediglich die Berechtigung von Lars aus § 516 begründet. Irgendwelche Verpflichtungen für den Beschenkten sind damit nicht verbunden, das Geschäft ist also für ihn lediglich rechtlich vorteilhaft. Da die Eltern als gesetzliche Vertreter (§§ 1626, 1629) Lars wirksam vertreten konnten und §§ 1795 Abs. 2, 181 aus den vorstehenden Gründen keine Anwendung finden, ist zwischen Lars und seinen Eltern ein wirksamer Schenkungsvertrag über das Grundstück zustande gekommen.

Gleiches gilt hinsichtlich der nach §§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 erklärten Auflassung des Grundstückes. Auch mit der Auflassung und der ihr nachfolgenden Eintragung ist für den Empfänger des Eigentums nur ein rechtlicher Vorteil, nämlich das Eigentum, verbunden. Auch hier konnten die Eltern daher, da § 181 die nach §§ 1626, 1629 bestehende gesetzliche Vertretungsmacht der Eltern nicht beschränkt, die Auflassung gegenüber sich selbst als Vertreter von Lars erklären und die entsprechende Erklärung auch annehmen. Auch die Auflassung ist daher wirksam.
Dieses Ergebnis ließe sich im Übrigen auch durch eine direkte Anwendung des § 181 erreichen. Denn bei Wirksamkeit des Schenkungsvertrages erfolgt die Auflassung als Verfügung nur zum Zwecke der Erfüllung einer bestehenden – wirksamen – Verbindlichkeit des wirksamen Schenkungsvertrages, also § 181 c 2. Alt.

Jetzt immer noch nichts zu verstehen, ist nicht mehr normal!