Beitrag: 22 Was sich hinter der Methodenszene der Juristerei verbirgt?

Die Juristerei selbst! Die Juristerei zu beherrschen, heißt, die juristische Methoden zu beherrschen. Juristische Methoden sind das, was übrig bleibt, wenn Sie alles andere vergessen würden. Eine Methode ist nichts weiter als ein „Werkzeug“. So wie es für die unterschiedlichen handwerklichen Arbeiten die unterschiedlichsten „Handwerkszeuge“ gibt, genauso gibt es für die juristischen Arbeiten „Kopfwerkzeuge“ zum Umgang mit Gesetzen und zur Fallbearbeitung. Hier nennen wir sie nur „Methoden“. Man muss zugeben, dass die Juristerei auch ein Handwerksberuf ist. Denn immer bleibt der wesentliche Gegenstand der Juristerei „der Fall“, und der muss eben auch handwerklich-methodisch bearbeitet werden. So wie Michelangelo sagte, eine Skulptur zu schaffen, sei gar nicht schwer, man müsse sie „nur“ mit Hammer und Stößel aus dem Marmor herausmeißeln, so muss der Jurist die Lösung mit seinen Arbeitsgeräten der Methoden aus dem Fall herausarbeiten. Die Lösung steckt im Fall und die muss freigelegt werden. Methodik ist der Arbeitsmodus, der Modus operandi, aller tätigen Juristen in Beruf, Lehre und Studium. Wir sollten den Mut haben, die Recht-sanwendungs-Methodik juristische Handwerkskunst zu nennen. Diese Kompetenz wird leider weder explizit noch implizit im Hörsaal gelehrt. Der Student muss sich in einem von außen meist ungesteuerten und oft über mehrere Semester persönlich frustierenden Irritationsprozess selbst beibringen, zu einem Methodiker zu werden, einem, der nach bestimmten, folgerichtigen juristischen Verfahren verfährt.

Das Erlernen der Methoden ist das Schlüsselmoment im 1. Semester. Vieles gibt es am Anfang des juristischen Studiums, was der Student bekommt, aber nicht nötig hat, und vieles gibt es, was er im Anfang nötig hat, aber nicht bekommt – dazu zählt eine entdeckende Wegbereitung in die Methodik! Es gibt nur ganz wenige Dozenten – aber das sind die besten -, die unter Beiseitelassen überflüssigen Detailwissens unerbittlich methodische Disziplin und die systematische Verknüpfung von ihren Studenten immer aufs Neue einfordern. Das Ganze der juristischen Welt ist ohne Methode nicht mehr zu fassen, es ist zu viel geworden. Die Methode ist für alle Rechtsgebiete des BGB, StGB und Öffentlichen Rechts gleich, deshalb ist sie als Fundament auch so wichtig. Wissen kommt – Wissen geht! Gesetze gehen – Gesetze kommen! Die Methode bleibt!

Das Wesentliche am juristischen Studium ist nicht nur, all die juristischen Institute, Paragraphen und verschiedenen juristischen Spezialmaterien als gewusste Einzelstücke wie in einem Museum nebeneinander zu reihen und mit gelehrter Sprache um sie herumzulustwandeln. Genauso wichtig ist es, sie durch die Gemeinsamkeit der Methode und Systematik unterschiedlichst miteinander in der Fallanwendung verbinden zu können. Je tiefer Sie in die fallbasierte Juristerei methodisch eindringen, desto klarer treten ihre alles verbindenden systematischen Linien zutage und desto mehr vereinfacht sich der Überblick über diese juristisch-strukturierte Gedankenwelt. Sie begreifen dann auch immer besser, dass die Methodik überall die gleiche ist und es schließlich nur wenige nicht weiter zerlegbare Grundstrukturen gibt, aus denen sich die unsere Jurawelt einende Ganzheit aufbaut. Nur wer im Haus der juristischen Methodik wirklich zu Hause ist, kann sich fundiert und vorbehaltlos dem juristisch Neuen, Tieferen, Komplexeren öffnen. Dafür müssen Sie schon früh den Bauplan für die Methodik in die Hand bekommen! Die Rechtsordnung ist ein sinnvoll in sich gegliedertes, geordnetes, systematisches, aber immer methodisch erschließbares Ganzes. Das juristische Universum ist ein festgefügter komplexer Regelraum mit immanenten Schichten, Schranken und Strukturen, letztlich ein durch Gesetze, Methodiken und Systeme gebändigtes Chaos. Diese Bändigung der für den Anfänger ungeordneten Urmasse der juristischen Welt gelingt nur mit Methode!

Es gibt unendlich viele juristische Probleme. Der Student kann jedoch nur endlich viele lernen. Daraus folgt, dass irgendwann ein Problem auf ihn zukommt, das er nicht gelernt hat. Die zwingende Konsequenz aus dieser Überlegung: Der Student darf nicht ausschließlich die Probleme selbst lernen, sondern er muss lernen:

Erstens, im Sachverhalt diejenigen Passagen mit Methode als Probleme (juristischer Ausdruck für Fragestellungen) aufzuspüren, die gezielter rechtlicher Erörterung bedürfen. Man mag die Irrtumsanfechtung in all ihren Facetten beherrschen; wenn man aber nicht erkennt, dass sie konkret in Betracht kommt, bleibt das Wissen über den Irrtum brach liegen. Der Student muss aus dem Sachverhalt detektivisch diejenigen Anknüpfungstatsachen herausfiltern, die anschließend mit der Methode des Gutachtens aufgegriffen werden müssen. (Problemfindungskompetenz)
Zweitens, die erkannten rechtlichen Probleme methodisch sauber unter Zeitdruck in einem Gutachten richtig, zumindest vertretbar zu lösen. Hier bedarf es Ihres methodisch-handwerklichen Könnens. (Problemlösungskompetenz)
Drittens, die Problemlösungen in Form, Sprache und Stil richtig zu präsentieren. Hier bedarf es Ihres stilistisch-handwerklichen Könnens. (Problempräsentationskompetenz)

Die meisten juristischen Lehrmeister in Gestalt von Dozent oder Lehrbuch erwecken manchmal den Eindruck: Das singuläre juristische Problem, der einzelne Paragraph, der einzelne Fall seien die Stars. Nein! Paragraphen reicht dem Jurastudenten das „Gesetz“, den „Sachverhalt“ liefert der Dozent in der Klausur. Die braucht er jeweils nur zu lesen. Erst seine methodische Kunst – seine handwerkliche „Kunstfertigkeit“ – knüpft den konkreten Denkgegenstand Sachverhalt und den abstrakten Denkgegenstand Gesetz zu einem reißfesten, klausurrestistenten Netzwerk. Nur sie ist in der Lage, das nahezu unüberschaubare, überquellende Jura-Wissen über die Gesetze und Paragraphen, ihre Interpreten in Literatur und Rechtsprechung zu bändigen.

Die Methodik der Juristerei nimmt, wie jede andere wissenschaftliche Methode auch, das Merkmal der Allgemeingültigkeit für sich in Anspruch. So wie es in den Naturwissenschaften Grundgesetze gibt, so gibt es auch Allgemeingeltendes für den Umgang mit Gesetzen und Fällen, so verschieden der Zusammenprall von Gesetz und Sachverhalt nach Zeit, Ort, Inhalt und Personen auch sein mag. Auch dort, wo die Gesetze auf moderne individuelle Menschen und moderne Gesellschaften mit ihren soziologisch unterschiedlichsten Gruppen treffen, begibt sich die Methodik in der Juristerei niemals ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit. Dieser Anspruch hat den Sinn, dass unter gleichen Verhältnissen überall das Gleiche gilt. Also Gerechtigkeit herrscht.

Warum gibt es eigentlich so viele Probleme und ein solch verwirrendes „Durcheinander“ in der Juristerei? – Machen wir uns möglichst schnell mit den vier charakteristischen Gründen für die Unübersichtlichkeit der juristischen Welt vertraut:

Zum einen breiten sich die Gesetze im Plural aus. Überall, bis in den letzten Winkel unserer Gesellschaft, unserer Familie, unseres Berufes und Staates regeln Gesetze das Zusammenleben der Menschen.
Der zweite Grund ist die Folge des ersten. Kaum sind die Gesetze mit ihren Geboten und Verboten in die Welt „gesetzt“, gibt es schon Streit darüber. Kleben doch verschiedene Juristen-Interpreten aus Gerichten und Hochschulen wie Spürhunde mit ihren richterlichen und wissenschaftlichen Nasen an den Texten.
Der dritte Grund für die Unübersichtlichkeit der juristischen Materie ist die Rechtsprechung, der Kern einer jeden auf Recht beruhenden Gesellschaft. Diese sog. Jurisdiktion versetzt der naiven Vorstellung des Anfängers von der einen Wahrheit hinter den Gesetzen schon früh den Todesstoß. Die Rechtsprechung entlässt jeden Tag Tausende von Urteilen in die juristische Welt. Die richterlichen Dompteure des gesetzgeberischen Sinns erheben ohne Scheu ihre eigene Perspektive zum Maßstab, und das nicht immer einheitlich.
Der vierte Grund ist der Gigantenkampf zwischen Theorie und Praxis. Die Theoretiker überbetonen die Dogmatik und die Strenge des strukturierten Denkens, die Praktiker die reine Rechtsanwendung. Natürlich braucht der Jurist die Theorie, um sein Denken zu strukturieren. Sie läuft aber stets Gefahr, zu einem Joch zu werden, das verhindert, die stets sich verändernde Komplexität der Realität wahrzunehmen. Der Praktiker läuft Gefahr, ohne strukturiertes Denken in Empirismus und Bedeutungslosigkeit zu versinken. Die Diskussionen über diesen Streit gehören zum Spiel an den Universitäten und verwirren.

Es gibt für den Jurastudenten drei Kategorien von methodisch-juristischem Wissen:

 Methodisches „Know-how“ für den Umgang mit Gesetz und Fall (Auslegungs-, Gutachten- und Subsumtionsmethode als Rechtsanwendungsmethoden)
 Methodisches „Know-how“ für den Erwerb juristischen Wissens (Lernmethoden)
 Methodisches „Know-how“ zur Anfertigung juristischer Leistungskontrollen (wissenschaftliche Fallbearbeitungsmethoden).

Eine eingehende Beschäftigung mit diesen „Methoden“ ist schon deshalb zu empfehlen, weil diese Methoden – anders als das Einzelwissen – in der juristischen Ausbildung immer benötigt werden. Es sind allgemeine juristische „Ewigkeits-Wahrheiten“, die auf alle juristische Wissensgebiete und alle Fälle anwendbar sind. Die Klausuren sind zum Beispiel immer sowohl methodenkompetenz-orientiert wie stichprobenwissen-zentriert. Ob Ihnen Stichproben-Einzelwissen in einer Klausur hilft, hängt häufig vom Zufall ab, Ihre juristische Methodenkompetenz hilft Ihnen immer. In einer gelungenen Einführung müsste es deshalb vor allen Dingen darum gehen, methodisch-juristischen Sachverstand in den Anfänger-Lehr-Lern-Prozess einzubringen. Und zwar deshalb, um das notwendige Speicherungs-, Fassungs- und Rechtsanwendungsvermögen des Studentengedächtnisses aufzubauen, das notwendig ist, den Wissenszuwachs sicher zu verarbeiten und … im Ernstfall in der Klausur wiederzugeben.

Das Wort „Methode“ bedeutet ein planmäßiges, folgerichtiges Vorgehen nach bestimmten Regeln und Grundsätzen. Die Methoden sind das „Gewusst-wie-gehe-ich-wohin-warum-den-Jura –entdeckenden-Weg-zum-Ganzen“ (griech.: methodos, das Nachgehen, der Weg zu etwas hin!) Die juristischen Methoden sind für den Studenten in seinem Studium ein folgerichtiges Herangehen an eine einzige Aufgabe: Juristische Probleme zu finden und diese zu lösen in Klausuren, Hausarbeiten und Referaten. Klausurtechnisch gesprochen: Die Methoden sind eine handwerklich-wissenschaftliche Montageanleitung zum Klausurenschreiben. Sie müssen nämlich wissen: Jeder Fall ist neu! Aber die Methode ist alt!

Die folgenden fünf Methoden bilden die Genstruktur für Ihre juristische Studienkompetenz zur Fallbearbeitung. Nennen wir sie bescheidener „Juristische Handwerkskunst“. Alles juristische Wissen ist durch Gesetzgeber und Rechtsprechung revidierbar! Die juristischen Methoden nicht! Diese „Methodenszene“ zu beherrschen, ist die Basis für Ihre gesamte juristische Ausbildung, ja Ihr ganzes juristisches Leben.

1. Methode im Umgang mit dem Gesetz
Die Gesetze sind und werden immer lückenhaft bleiben. Auch der Gesetzgeber ist nur ein Mensch. Sie werden bald täglich die Unvollkommenheit der Gesetze entdecken und zu spüren bekommen. Nur die richtige Methode im Umgang mit Gesetzen kann diese Unvollkommenheit überwinden. Damit kann der Student dann jederzeit erkennen, dass jedes ihm neu begegnende Gesetz immer nach derselben Methodik gebildet und nach derselben Methodik auf einen Lebenssachverhalt, in einem juristischen Fall, sinnvoll anwendbar ist.

2. Methode der Rechtsgewinnung
Unsere deutsch-kontinentaleuropäische Kodifikationsgläubigkeit hat zu einer Gesetzes- und Wissensflut geführt, die alle Dämme gesprengt hat. Nur auf der Flut mitzurudern, hilft nicht weiter. Drei berichtigende Wörter des Gesetzgebers verwandeln ganze Bibliotheken in Altpapier und machen Heere von Juristen zu Ignoranten. Altes juristisches Wissen vergeht, neues Wissen geht auf. Die juristische Gesetzes- und Literaturfabrik hat einen gewaltigen Ausstoß. Über alles wird nachgedacht und geschrieben. Und immer wird wieder von neuem geschrieben und Recht gesetzt, jedes Mal mit dem Ziel, dass nicht mehr geschrieben und Recht gesetzt zu werden braucht. Und doch hat mit jedem neuen Gesetz jedes alte Gesetz, jeder Kommentar dazu und jedes Buch darüber den Tod vor Augen, wie die Eintagsfliege die Nacht. Das „Chaos“ der Gesetze und Literatur bewältigt man nur mit der Methode der Informationsgewinnung.

3. Methode der Fallbearbeitung
In der juristischen Ausbildung geht es bis ins Examen nahezu ausschließlich um Falllösungen, also um die Anwendung und Auslegung von Gesetzen und die Unterordnung von „Leben“ unter Gesetze, schlicht – um den Umgang mit Gesetzen einerseits und Sachverhalten andererseits. Jura ist ganz überwiegend eine Rechtsanwendungswissenschaft. Dieses Spiegeln des Lebensausschnitts im Gesetz, dieses wunderbare Spiel mit Gutachten und Subsumtion bewältigt man nur mit der gekonnten Methode der fallbearbeitenden Rechtsanwendung.

4. Methode des Klausurenschreibens
Der einzige Beweis des juristischen Könnens ist das Tun! Alles globale juristische Wissen im Kopf nützt letztendlich nichts, wenn es nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Klausur lokal umgesetzt und angewendet werden kann. Es ist nicht nur wichtig, dass man von Jura etwas weiß, sondern es ist manchmal wichtiger, dass andere wissen, dass man etwas weiß! Alle „Klausuren- und Hausarbeitsteufelei“ findet ein jähes Ende, wenn man durch die Methode des Klausuren- und Hausarbeitenschreibens mit dem Klausuren- und Hausarbeitenschreiben vertraut ist.

5. Methode zum juristischen Lernen
Niemand ist mehr in der Lage, die ganze Rechtsordnung zu überblicken. Es gibt inzwischen Spezialisierungen auf allen Gebieten, ständigen Wandel und Anpassung, Daten- und Meinungsfriedhöfe in Lehrbüchern, Kommentaren und Recht-sprechungsübersichten, Informationslawinen in Vorlesungen von allen Seiten.
Unsere deutsch-kontinentaleuropäische Kodifikationsgläubigkeit, d.h. die Überzeugung, dass „alles und jedes“ gesetzlich geregelt und in Gesetzessammlungen („Kodifikationen“) eingestellt werden müsse, hat zu einer Gesetzes- und Paragraphenflut geführt, die alle Dämme gesprengt hat. Nur auf der Flut mitzurudern, hilft nicht weiter. Allein die richtige Methode zum Lernen des juristischen Lernens kann die Flut bändigen.

Resümee: Um das juristische Denken zu generieren, gilt der Vierklang:
juristisch zu denken, d.h. methodisch zu denken
juristisch zu lernen, d.h. methodisch zu lernen
juristisch zu arbeiten, d.h. methodisch zu arbeiten
juristisch zu fertigen, d.h. methodisch zu fertigen.

Mit dem Gutachten fangen wir im nächsten Beitrag an!

Beitrag: 23 Das Gutachten: Es gibt kein Geheimnis der Juristerei; es gibt nur Studenten, die sich nicht darum bemühen

Was steckt hinter dem berühmt-berüchtigten ‚Juristischen Denken und Arbeiten‘? – Das Gutachten! Ich schreibe jetzt einen der wichtigsten Beiträge für Sie. Urteilen Sie selbst – aber erst am Ende des Beitrages.

Viele Studenten seufzen nach den ersten Vorlesungen vernehmlich: „Es muss doch aber etwas alle Gesetze und Fälle Verbindendes, ein gemeinsames Band – einen Soundtrack geben.“ Dieses Gemeinsame gibt es in der Tat! Es ist das „Juristische Denken und Arbeiten“.

Unter den Ärzten der Antike gab es einst die Gruppe der sogenannten „Methodiker“ – sie waren, wie der Name schon sagt, höchst systematische Geister. Sie wollten Ordnung in das Chaos der Medizin bringen. Wozu die unübersehbaren vielen Heilverfahren, Heilmittel und Heilkräuter? Die „Methodiker“ waren der Ansicht, dass man alle Krankheiten mit ein und derselben Methode behandeln könne. Geniale Idee! Doch leider verschwanden diese „Methodiker“ vollständig von der medizinischen Bildfläche, ohne ihre wunderbare Einheitsmethode jemals gefunden zu haben.
Auch in der Philosophie hörte man bereits in der Antike die Meinung, dass Chaos der philosophischen Probleme ließe sich auf ein und dieselbe Weise glücklich ordnen. Doch im Unterschied zu den „Methodikern“ in der Medizin sind die philosophischen „Methodiker“ keinesfalls ausgestorben. Vielmehr wird bis heute immer wieder verkündet, man habe jetzt die philosophische Methode entdeckt, von der überall Fortschritte zu erwarten seien. Und wo die wunderbare Einheitsmethode dann mal nicht passt, erklärt man das entsprechende Thema kurzerhand für unsinnig oder nicht existent.
Die Wahrheit ist aber, dass man in der Philosophie ebenso wie in der Medizin mit einer Vielzahl von Verfahren arbeiten muss. Ganz anders in der Juristerei! Wir haben Ordnung in das Chaos des Aufeinanderprallens von Leben und Gesetz gebracht. Die Juristen können alle „Fälle“ mit ein und derselben Methode behandeln. Geniale Idee! Das Bestaunenswerte, um das uns alle anderen beneiden, ist unsere Methode, unsere Einheitsmethode des Gutachtens!
Hinter dem Terminus „Juristisches Denken und Arbeiten“ verbirgt sich etwas ganz Großartiges, nämlich die Methodik der Fallbearbeitung mit ihrem Gutachten und ihrer Subsumtion. Juristisches Denken und Arbeiten ist eigentlich nichts anderes als eine durch Übung erarbeitete Rechtsanwendungskunst. Ohne sie geht nichts in der Juristerei. Diese Kunst wird Ihnen als das Alleinstellungsmerkmal unserer Zunft zur Selbstverständlichkeit werden! Es ist ein Betriebsgeheimnis der Juristen: das Zurdeckungbringen von Sachverhalt und Gesetz in einem Gutachten.

Die Fallherangehensweise erfolgt immer nach dem gleichen Gutachten-Programm:

Vielleicht haben Sie seit den ersten Wochen Ihres Studiums bereits erkannt, wie wichtig Rechtsanwendung in einem Gutachten ist. Ohne das Bedingungsgefüge: ● Sachverhalt ● Gesetz ● Konditionalprogramm ● gesetzliche Tatbestandsmerkmale ● Gutachten ● Auslegung ● Definition ● Subsumtion ● Schlussfolgerung läuft in der Juristerei nichts zusammen. Das eliminierte Tatbestandsmerkmal wird im Gutachten erst durch die auslegende Interpretation und nachfolgende Definition für die Subsumtion „scharf“. Ohne die die Tatbestandsmerkmale für die Definitionen aufschließenden Auslegungen ist der Subsumtionsvorgang im Gutachten ein reines Glücksspiel und damit für einen Juristen unmöglich, da es zu ungleichen Beurteilungen gleicher Sachverhalte führen kann. Sie können dieses ewige Wechselspiel von Sachverhalt und Gesetz deshalb bald durchschauen – und ich kann es Ihnen jetzt Schritt vor Schritt zu rekonstruieren beginnen, weil es nach Regeln und Methoden abläuft, die festliegen.

1. Zunächst müssen Sie jedes einzelne Tatbestandsmerkmal aus dem Gesetz herausstanzen, es eliminieren,
2. es dann bestimmen, auslegen, interpretieren,
3. es begrifflich abgrenzen, definieren,
4. dann den Sachverhalt unter dieses „entfaltete“ Tatbestandsmerkmal subsumieren,
5. um am Ende die Schlussfolgerung (conclusio) zu ziehen, konkludieren.

Eliminieren ● Interpretieren ● Definieren ● Subsumieren ● Konkludieren! So werden Tatbestandsmerkmale „abgearbeitet“ und nur so wird „Juristisches Denken und Arbeiten“ betrieben, egal von welchem Juristen in welcher Profession auch immer. Die Methode der gutachtlichen Rechtsanwendung ist immer gleich! Niemals wird in einer juristischen Klausuren Wissen nur „abgeladen“, sondern Wissen wird immer „angewendet“. Und das geschieht mit der Methode des Gutachtens.
Bei keiner juristisch-wissenschaftlichen Klausur oder Hausarbeit ist es möglich, aus der Aufgabenstellung (sog. Bearbeitervermerk) heraus sofort den endgültigen Gedankengang zu erörtern. Um eine solche Leistung nun gut zu bestehen, sind juristische Kenntnisse zwar notwendig, aber nicht hinreichend.

Dieses „Juristische Denken und Arbeiten“ hat tragende Bedeutung für Ihr gesamtes Juristenleben! In der Juristerei müssen Sie, wie in der Architektur auch, zwischen tragenden und lastenden Teilen unterscheiden: Die methodische Rechtsanwendung mit ihrem Gutachten und ihrer Subsumtion gehört zu den tragenden Teilen! Man erlernt allerdings die Methodik der Fallanwendung nicht wie eine Sprache und die Grammatik so nebenbei, sondern nur durch langandauernde Übung.

Für Sie wird sich die Fähigkeit des „Juristischen Denkens und Arbeitens“ in der Bearbeitung Ihrer Klausuren manifestieren. Klausurenmethode, Methodik der Fallbearbeitung, Subsumtionsmethode, Technik der Fallbearbeitung, Gutachtenmethode – ein wildes Durcheinander an Termini. Der beste Begriff ist sicherlich der der Klausurentechnik. Technik (téchne) wird hier in der griechischen Bedeutung von Kunstfertigkeit verstanden. Er ist weit und umfasst alles, was wir brauchen, nämlich sowohl die Rahmenbedingungen, wo und wann die Klausur mit welchen Hilfsmitteln in welcher Zeitvorgabe, in welcher äußeren Form und in welcher Sprache geschrieben wird, als auch die Technik der Fallbearbeitung, die nun ihrerseits die Gutachtentechnik, diese wiederum den Arbeitsschritt der Subsumtionstechnik mit ihrer Auslegungs- und Definitionskunst umschließt.

Die Hochschulen übersehen häufig die „Allgegenwart“ dieser Methodik und versäumen oft sträflich, ihr die gebührende Stellung gleich im Beginn des Jurastudiums einzuräumen. Sie versteigen sich in die „Rechtswissenschaft“ unter Vernachlässigung des „Handwerklichen“. Gesetze überleben sich, unterliegen dem Prozess des Sterbens und Geborenwerdens. Die Sternbilder juristischer Methodik im Umgang mit dem Fall und dem Gesetz aber – die Klausurentechnik – schimmern in ewiger Unvergänglichkeit über den Friedhöfen der Paragraphen, Gesetze und Entscheidungen. Wer diese Methoden im studentischen Griff hat, meistert das „Juristische Denken und Arbeiten“.

Es ist Ihnen sicherlich schon deutlich geworden, dass die Juristen alle „Fälle“ mit ein und derselben Methode behandeln können, der Einheitsmethode des Gutachtens! Das Gutachten ist das wichtigste gemeinsame Gen in der kollektiven DNA aller Juristen. Damit haben Juristen Ordnung in das Chaos des Aufeinanderprallens von „lebendigem“ Leben und „totem“ Gesetz in der Fallbearbeitung gebracht. Das Bestaunenswerte, um das uns andere Wissenschaften ausnahmsweise mal beneiden, ist diese Methode zur Lösung von Fällen: die Einheitsmethode des Gutachtens! Überall, wo eine juristische Wahrheit gesucht wird, ist es das Gutachten, das da mitsucht.

Wer diese Kunstfertigkeit der Rechtsanwendung – für Sie Klausurentechnik – nicht beherrscht, hat keine Aussicht auf juristischen Erfolg! Das Gutachten wird geformt im Geist einer logischen Artistik. Die geheimnisvolle Gutachtentechnik ist die Summe der Folgerungen und Denktätigkeiten, welche dem „Juristischen Denken und Arbeiten“ seine Richtigkeit sichert. Es ist das Handwerk, nach dem die Juristen mit der Unzahl von Gesetzen und Fällen fertig werden. Und: Es ist eine wissenschaftliche Methode, da sie vom Allgemeinen auf das Besondere herabgeht, da sie jeden vorliegenden Fall durch Anwendung derselben Regelmethode entscheidet und daher durch Anwendung ein- und derselben Regel Tausende ähnlicher Fälle entscheiden kann. Diese Methode durchzieht wie ein goldener Faden die Juristerei. Sie ist für Sie der treue Begleiter bis zum Examen und behauptet sich immer wieder aufs Neue gegen die Vielheit der Gesetze und Fälle. Sie verleiht das gleichmäßige und damit gerechte Vollziehen und die logische Richtung Ihrer Denkbewegungen und Arbeitsschritte. Das Gutachten liefert sowohl das Präzisionsinstrument zur „denkenden“ Fallbearbeitung als auch die Präsentationsform der Darstellung. Es verbürgt damit insgesamt den Erfolg Ihrer Klausuren und Hausarbeiten.

Diese juristische Einheitsmethodik wird Ihre Falllösung immer richtig steuern und Sie so zu vertretbaren Lösungen führen. Diese Methodik setzt anstelle eines ungeschulten, planlosen Verfahrens, einer ungerechten, weil ungleichmäßigen juristischen Behandlung das rationelle, rationale und ewig gültige Gutachten. Vom methodisch richtigen sezierenden Erarbeiten der Gesetze, vom methodisch richtig geschulten gutachtlichen Verarbeiten und vom sprachlichen Ausdruck des gutachtlich Präsentierten hängt das Ergebnis Ihrer Klausuren ab. Die Prädikatsnote ist das Produkt aus Gesetz, Sachverhalt, Ihrem erlernten juristischen Wissen und Ihrem in allen gutachtlichen Denk- und Arbeitsvariationen „methodisch-geschulten“ hellen Köpfchen!

Im juristischen Gutachten zu arbeiten – das heißt, juristisch zu denken und zu arbeiten!
Das juristische Gutachten zu beherrschen – das heißt, das juristische Denken und Arbeiten zu beherrschen!
Das juristische Gutachten zu verbessern – das heißt folglich, sein juristisches Denken und Arbeiten zu verbessern!

Der Kern jeder juristischen Arbeit ist das Gutachten! Der Kampf um Qualität ist in der Juristerei immer ein Kampf um das Gutachten. Das Gutachten ist das Immunsystem, um Fehler bei der Fallbearbeitung abzuwehren.

Los geht’s! Ab jetzt gilt: „Gut achten auf das Gutachten“

Ich wiederhole mich gern: Die Juristerei ist auch ein Handwerk! Ein Handwerk erlernt man durch Übung. Und Übung erlernt man durch Üben. Sie können so viele Lehr- und Lernprogramme für juristisches Wissen haben, wie Sie wollen. Keines entlastet Sie vom Erlernen, Verstehen und handwerklichen Anwenden des Gutachtens.

Also: In der Juristerei hat man es immer mit zwei gegeneinander in Stellung gebrachten Denkgegenständen und einer Denkoperation zu tun, nämlich:

 Denkgegenstand 1: das Gesetz, eingebunden in die Rechtsordnung
 Denkgegenstand 2: der Sachverhalt, eingebunden in das Alltagsleben.

Bei dieser Frontstellung von Denkgegenstand „Gesetz“ und Denkgegenstand „Sachverhalt“ bleibt es bei den Juristen aber nicht stehen. Das wichtigste Betätigungsfeld für einen Juristen ist das Auflösen dieser Frontstellung, die versöhnende Passung der zwei Denkgegenstände „Gesetz“ und „Sachverhalt“ durch eine

 Denkoperation: die Subsumtion, die in das Gutachten eingebettet ist.

Subsumtion ist das Fremdwort für das operative Zurdeckungbringen beider Denkgegenstände. Oder: die Unterordnung eines Sachverhaltes unter eine Rechtsnorm. Jura braucht erstens das Gesetz, zweitens den Sachverhalt und drittens das Gutachten mit seinen Auslegungen, Definitionen und seinem „Deckungsverfahren“ der Subsumtion!

Der Sachverhalt ist eine meist recht spannende Geschichte. Es ist ein Lebensausschnitt, bestehend aus Tatsachen, der einer juristischen Klärung bedarf. Ohne „Sachverhalt“, ohne „Fall“, gäbe es kein Recht! Der Fall war und ist der entscheidende Auslöser für Gesetz und Rechtsanwendung in Studium und Praxis. Die Fälle stammen aus dem Leben der Menschen, die Gesetze aus der Hand des Gesetzgebers. Da die Kombinationskunst des Lebens unerschöpflich ist, ist auch die Kombinationskunst mit den Gesetzen und folglich sind auch die Operationen der Rechtsanwendung unerschöpflich. Was braucht ein Sachverhalt? – Ein Sachverhalt braucht eine Geschichte – in Klausuren unstreitig, in der Praxis meist streitig –, im Strafrecht im Regelfall mindestens eine Person, die ein Rechtsgut eines anderen oder der Allgemeinheit verletzt hat und im Zivilrecht mindestens zwei Personen, die sich um ein Gut streiten, und jeweils ein Gesetz, mit dem die Zwei entweder den Streit um das Gut lösen können (BGB) oder das die Verletzung des Rechtsgutes mit Strafe bedroht und den Staatsanwalt auf den Plan ruft (StGB). Sie müssen wissen: Sämtliche juristischen Fälle spielen sich ab jetzt für Sie immer vor dem gleichen Hintergrund ab. Der Gutachtenstil und die Subsumtionstechnik mit ihren Helfern der Auslegungs- und Definitionslehre bilden die weiße Folie, vor der die Schattenspieler A, B und C Ihrer juristischen Fälle ihre strafrechtlichen Tragödien oder ihre privatrechtlichen, mehr oder weniger querulatorischen Rechtsschauspiele für Sie aufführen. Ihre Präzisionsinstrumente bestehen ab jetzt immer mehr ihre zivilrechtlichen und strafrechtlichen Bewährungen!

Beispiel: Max verprügelt Moritz aus Eifersucht und schlägt ihm dabei das Nasenbein ein.

 Dieses Beispiel ist ein Lebensausschnitt zweier Menschen, Max und Moritz. Tatsachen sind hier „Verprügeln“ und „Einschlagen“.
 Dieser Ausschnitt wird zum juristischen Sachverhalt, wenn er einer juristischen Klärung (Lösung) bedarf.
 Er mutiert zum strafrechtlichen Sachverhalt, wenn er einer strafrechtlichen Lösung bedarf. Wenn man etwa fragt: „Hat Max sich strafbar gemacht?“
 Er mutiert zum zivilrechtlichen Sachverhalt, wenn er einer bürgerlich-rechtlichen Klärung bedarf. Wenn man etwa fragt: „Kann Moritz von Max Schadenersatz verlangen?“
Dieser juristische Sachverhalt wechselt seine Bezeichnung erneut, wenn er von einem Studenten bearbeitet werden muss. Das Chamäleon heißt jetzt schlicht: „Der FALL“!

Alle Ratschläge für diese juristische „Hebammenkunst“ der Rechtsanwendung hören sich in der abstrakten Beschreibung in Lehrbüchern und Vorlesungen immer so himmlisch einfach an, werden aber höllisch kompliziert, wenn der Student versucht, „Juristisches Denken und Arbeiten“ praktisch zu realisieren. Den dozentischen Fingerzeig „Sie müssen das Gutachten beherrschen lernen!“ in konkretes studentisches Handeln umzusetzen, ist oft und gerade am Anfang ein schwieriges und umfangreiches Programm. Das Gesetz selbst bietet dazu keine und die Dozenten in ihrem Stoffdruck meist keine allzu große Hilfe an. Dabei bietet sogar der Alltag eine Fülle lehrhafter Beispiele.

Versuchen wir es einmal mit folgenden vier Holland-Wochenendplanungen der Freundinnen Sabine, Susanne, Sandra und Steffi.

Sabine:
„Am Wochenende könnte ich nach Holland ans Meer fahren.
Das setzt voraus, dass ich Geld habe, dass ich Zeit habe und dass mein Freund mitfährt.
Mein Freund hat Lust, ich habe Zeit, da meine Klausuren gerade vorüber sind,
aber ich habe kein Geld mehr.
Also kann ich am Wochenende nicht nach Holland ans Meer fahren.“
Susanne:
„Am Wochenende fahre ich nach Holland ans Meer.
Denn mein Freund hat Lust, ich habe Geld und Zeit.“
Sandra:
„Am Wochenende fahre ich nach Holland ans Meer. Basta!“
Steffi:
„Am Wochenende fahre ich nach Holland.“
Freund: „Ich würde ja mitfahren, aber hast du überhaupt Zeit?“
Steffi: „Ja, meine Klausuren sind gerade geschrieben.“
Freund: „Hast du denn auch Geld für eine solche Fahrt?“
Steffi: „Verdammt, nein, ich habe mir ja gerade den neuen Tennisschläger gekauft.“
Freund: „Dann kannst du auch nicht am Wochenende nach Holland fahren!“
Steffi: „Oh, das ist schade!“

Alle Vier hatten ein Problem: Sie wollten am Wochenende nach Holland. Dieses Problem musste gelöst werden. Eine Problemlösung hat zwei Elemente:
 Sie enthält eine Begründung (Lust/Geld/ Zeit)
 Sie führt zu einem Ergebnis (ich fahre / ich fahre nicht)

Zur Darstellung dieser Problemlösung gibt es drei Möglichkeiten

Erstens: Der Gutachtenstil
Das Gutachten folgt prinzipiell der Denkform, in der die Lösung erarbeitet wird, d.h. man geht von der Frage(Problem-)stellung aus („Kann ich am Wochenende nach Holland fahren?“) und entwickelt den Gedankengang zum Ergebnis hin. Der Gutachtentechnik liegt eine Funktionsweise juristischer Schlussfolgerungen zugrunde. Es handelt sich
 um die Anwendung allgemeiner Sollens-Sätze („Gesetze und Normen“)
 auf konkrete Lebensausschnitte („Fälle“).

Nehmen wir zwei Beispiele:
Beispiel 1: Muss Jupp bei einem Autounfall Hilfe leisten?
Beispiel 2: Muss Jupp bei Ehestreitereien Hilfe leisten?

Der allgemeine Sollens-Satz steht im StGB und lautet: „Du sollst bei Unglücksfall Hilfe leisten.“ (Siehe § 323 c StGB)

Um aus diesem allgemeinen Sollens-Satz auf einen konkreten Fall (Beispiel 1: „Autocrash“, Beispiel 2: „Ehestreit“) bezogene Folgerungen zu gewinnen („Muss Jupp Hilfe leisten?“), hat man sich eines logischen Schlusses bedient, den man seit Aristoteles „Syllogismus“ nennt, weniger klassisch: Deckungsarbeit. Es ist ein handwerkliches (methodisches) Verfahren, mit dem man auf überzeugende Weise Antworten zu allen moralischen und rechtlichen Fragen findet.

Beispiel 1:
Bei Unglücksfällen sollst (musst) Du Hilfe leisten. (Sollens-Satz)
Jupp erlebt einen Autounfall mit. (Lebensausschnitt)
Ein Autounfall ist ein Unglücksfall. (Deckungsarbeit ohne Definition)
Also soll (muss) Jupp Hilfe leisten. (Schlussfolgerung)

Beispiel 2:
Bei Unglücksfällen sollst (musst) Du Hilfe leisten. (Sollens-Satz)
Jupp erlebt einen Ehestreit mit. (Lebensausschnitt)
Ein Ehestreit ist kein Unglücksfall. (Deckungsarbeit ohne Definition)
Also soll (muss) Jupp keine Hilfe leisten. (Schlussfolgerung)

Die gewonnenen Aussagen sind zwar trivial, das Verfahren dagegen genial! Nach diesem Verfahren läuft der größte Teil juristischer Arbeit ab.

Zurück nach „Holland“! Da zunächst nur die Fragestellung bekannt ist („Kann ich nach Holland fahren?“) und das Ergebnis noch gesucht wird („Ich fahre/ich fahre nicht“), verläuft der Gedankengang so, dass von der Fragestellung ausgegangen und Schritt für Schritt zum Ergebnis hin gefolgert wird. Würde man aufgefordert, dies schriftlich darzustellen, wäre der Leser sehr daran interessiert, die Gedankenfolge so dargelegt zu bekommen, wie sie sich im Kopf entwickelt hat. Der Leser ist bei dem entwickelnden Denken des gutachtlich arbeitenden Studenten gleichsam „live“ dabei. Dadurch kann er den Gedankengang des „Gutachters“ genau nachvollziehen. Das nennt man „ein Gutachten anfertigen“. Diesem gedanklichen Vorgehen entsprechen gewisse Eigenarten der sprachlichen Formulierung („es könnte“ – „also“), weshalb man vom „Gutachtenstil“ spricht.

Das Denken in der Form des Gutachtenstils vollzieht sich in folgenden vier Denkschritten (wir nennen das mal „Vier-Takt-Motor“):

1. Hypothese
Gutachtliche Zielformulierung: „Es könnte“
Es wird ein bestimmtes, die Fragestellung beantwortendes Ergebnis als möglich hingestellt (hypothetisches Ergebnis).
„Am Wochenende könnte ich nach Holland fahren!“

2. Aufstellung eines Untersuchungsprogramms
Gutachtliche Strukturierung: „Das setzt voraus“
Es werden nunmehr die Voraussetzungen (sämtliche!) gesucht, bei deren Vorliegen man zu dem vorgeschlagenen Ergebnis (Holland) kommt.
„Das setzt voraus, dass mein Freund Lust hat und ich Geld und Zeit habe.“

3. Subsumtion
Gutachtliche Inszenierung: „Hat mein Freund Lust? Habe ich Geld und Zeit?“
In Ausführung des bekannt gegebenen Untersuchungsprogramms wird jetzt geprüft, ob die Voraussetzungen auch tatsächlich vorliegen. Das Auge wandert hin und her zwischen den einzelnen Voraussetzungen des Untersuchungsprogramms und den tatsächlichen Gegebenheiten. Die Realität spiegelt sich in den Prämissen:
 „Des Freundes Lust: ja/nein“
 „Meine Zeit: ja/nein“
 „Mein Geld: ja/nein“
Gelingt die spiegelnde Entsprechung, gelingt die Subsumtion (positive Subsumtion). Scheitert die Entsprechung, scheitert die Subsumtion (negative Subsumtion).

4. Ergebnis
Gutachtliche Zielkontrolle: „Also ja oder nein“.
Der letzte Schritt besteht darin, das Ergebnis der Prüfung, der Subsumtion, festzustellen. Durch das Ergebnis wird die Ausgangshypothese, die Fragestellung, bestätigt (wissenschaftlich: verifiziert) oder widerlegt (wissenschaftlich: falsifiziert).
„Also kann ich nach Holland fahren“ (alle Voraussetzungen passen), oder:
„Also kann ich nicht nach Holland fahren“ (mindestens eine Voraussetzung passt nicht).

Für den Gutachtenstil ist symptomatisch:

 Die Hypothese wird mit Wendungen vorgestellt wie: könnte nach Holland fahren, möglicherweise fahre ich nach Holland, kommt eine Hollandfahrt in Betracht, ist zu prüfen, ob ich nach Holland fahre, fraglich ist, ob ich nach Holland fahren kann.
Das folgt daraus, dass man es bis zum vierten Denkschritt nur mit einem hypothetischen Ergebnis zu tun hat, ein Umstand, der bei der Formulierung des Gutachtens sprachlich deutlich gemacht werden muss.

 Das Ergebnis wird eingeleitet durch: also, somit, folglich, daraus folgt.
Es ist der Schlussstein des Gutachtens.

Zweitens: Der Urteilsstil

Im Urteilsstil wird ein feststehendes Ergebnis begründet. Das Ergebnis der Überlegungen wird vorangestellt und die Begründung nachgeliefert, aus der dann hervorgeht, warum das Ergebnis „Ich fahre“ – oder – „Ich fahre nicht“ richtig ist. Beim Urteil fällt die für das Gutachten typische Hypothese (Fragestellung) weg. Stattdessen wird sogleich das Ergebnis an die Spitze gestellt. Deshalb reichen beim Urteil drei Denkschritte aus (Drei-Takt-Motor):

 Mitteilung des Ergebnisses:
„Ich fahre am Wochenende nach Holland.“
 Benennung der Voraussetzungen, aus denen das Ergebnis hergeleitet wird:
„Denn mein Freund hat Lust, ich habe Zeit und Geld.“

 Subsumtion unter die Voraussetzungen:
 Zur Lust meines Freundes:
„Denn mein Freund möchte gerne ans Meer und mit mir zusammen sein.“
 Zum leidigen Geld:
„Denn ich habe von meinem Monatswechsel noch 300 Euro übrig.“
 Zur fraglichen Zeit:
„Denn ich habe die letzte Klausur gerade hinter mich gebracht.“

Für den Urteilsstil ist symptomatisch, dass die Sätze mit „denn“ verbunden sind,
d e n n es wird ja nur begründet.

Drittens: Der Feststellungsstil

Eine Feststellung wird lediglich getroffen („Basta“), aber nicht begründet. „Ich fahre am Wochenende nach Holland“ – Fertig! Um beispielsweise festzustellen, dass ein Buch eine „bewegliche Sache“ im Sinne des Diebstahlstatbestandes des § 242 StGB ist, genügt ein einziger Satz: „Ein Buch ist eine bewegliche Sache“ (Ein-Takt-Motor) (Basta!). Man darf kein einziges Wort der Begründung hinzufügen. Die Präsentationsform im Feststellungsstil („Basta-Stil“) sollte man häufiger verwenden. Es ist eine normale Präsentationsform. Die meisten juristischen Dinge sind nämlich glücklicherweise unproblematisch. Entgegen der landläufigen Meinung gilt das auch für Klausuren.

Wenn man eine juristische Arbeit schreibt, muss man imstande sein, die jeweils richtige Auswahl unter diesen drei verschiedenen Präsentationsformen zu treffen:

Juristische Präsentationsformen

Aber: Das Ergebnis kann natürlich auch beim Urteil und der Feststellung erst dann an die Spitze gestellt werden, wenn die Begründung und das Ergebnis feststehen. Der gedankliche Weg hin zu dem Ergebnis ist nur in der methodischen Denkform des Gutachtens möglich. Jedem Urteil und jeder Feststellung ist deshalb notwendig ein – im Kopf wohl überlegtes – Gutachten vorausgegangen.

Gegenüberstellung von Gutachten und Urteil

Zurück zu Sabine, Susanne, Sandra und Steffi:
 Sabine ist im Gutachtenstil zu Werke gegangen.
 Susanne hat den Urteilsstil bevorzugt.
 Sandra wandte den Feststellungsstil an.
 Und Steffi? Steffi ist eine Chaotin! Sie hat das Ergebnis vorangestellt (Urteil), ohne zuvor ein gedankliches Gutachten angefertigt zu haben. Wenn sie sich nicht schleunigst um den vorwärtsentwickelnden Gutachtenstil bemüht, wird sie um viel Frust im Leben im Allgemeinen und im juristischen Leben im Besonderen nicht herumkommen. „Erst denken – dann sprechen“, sagt der weise Volksmund und trifft den Nagel auf den juristischen Kopf. Erst das Ergebnis herauszuposaunen, um dann feststellen zu müssen, dass es an allen Ecken und Enden an den Voraussetzungen hapert, ist eine Eselei. Erst das „denkende“ Gutachten – dann das „sprechende“ Ergebnis verkünden, nur das ist der rechte juristische Weg!

Ein guter Rat zum Schluss: In Ihren Klausuren „sollen“ Sie laut Expertenmeinung nur im Gutachtenstil schreiben. Einer der größten Fehler beim Klausurenschreiben soll angeblich darin bestehen, den verpönten Feststellungsstil zu verwenden. Das stimmt aber so nicht! Wollte man den höchst aufwendigen Gutachtenstil konsequent durchhalten, so bedürfte man nicht vier, sondern zwölf Stunden für eine Klausur; man käme nicht mit zwanzig Seiten Klausurentext aus, sondern die Ausarbeitungen würden auf den Umfang eines Epos‘ anschwellen (s.o. den „Musterfall“). Dass man sein Klausurenwerk dennoch in der gebotenen Zeit und der gebotenen Kürze vollenden kann, liegt an folgendem Trick: Alles, was unproblematisch und fraglos ist, was also kein vernünftiger Mensch in Zweifel ziehen würde, wird als einfache Feststellung geschrieben, ganz ohne Subsumtion. Niemand hätte z.B. beim Herauslassen der Luft aus Nachbars Reifen den geringsten Zweifel an der „Sachqualität“ und „Fremdheit“ des Autoreifens. Also stellt man lapidar fest: „Bei dem Autoreifen des Nachbarn N handelt es sich um eine für T fremde Sache.“ (Basta!) Jetzt erst wird auf den Gut-achtenstil umgeschaltet. Denn das Tatbestandsmerkmal „beschädigen“ ist offensichtlich problembehaftet im Falle der „Entlüftung“ eines Autoreifens.
Das „Gutachtenschreiben“ verführt dazu, diesen Feststellungsstil zu unterdrücken. Klausuren enthalten zwar immer vier bis sechs Probleme. Der überwiegende Teil der Lösung ist aber unproblematisch und muss daher als einfache Feststellung im Feststellungsstil präsentiert werden. Feststellungen erfordern nur einen geringen Aufwand. Diese Präsentationsform ist daher zeitlich und räumlich äußerst ökonomisch. Sie erleichtert nicht nur dem Klausuranden das Leben, sondern auch dem Prüfer. Das wird sich in einer guten Benotung auswirken. Die Präsentationsform „Feststellung“ ist freilich ungewohnt. Sie klingt nicht wie der übliche juristische Gebetsruf, und deshalb neigen die Klausuranden dazu, auch offenkundige Feststellungen in ihren Klausuren mit juristisch klingenden Gutachtengarnierungen zu versehen. Hierin liegt die tiefere Ursache dafür, dass die meisten Klausuranden in ihren Klausuren mit der Zeit nicht zurechtkommen. Es ist nicht die Aufgabe des Studenten, alles und jedes zu problematisieren und sich damit in Zeit und Raum zu verlieren. Man könnte den „unproblematischen Rest“ auch einfach ganz fallen lassen, bestünde nicht die große Gefahr, die Gesamtstruktur der Klausur aus dem Auge zu verlieren. Die Plastizität, die Prägnanz, die Anschaulichkeit der Klausurendarstellung – mit einem Wort: die Ordnung – ginge verloren. Man benutzt die nackten „Basta-Teile“ lediglich der Vollständigkeit halber als verbindende Zwischenschritte zu den „Problem-Teilen“ auf dem Weg zu einer geschlossenen, formvollendeten Lösung.
Keine Angst: Sie wachsen so ganz von alleine allmählich in das „Gutachtenschreiben“ hinein! Sehr schnell werden Sie die Fähigkeit erwerben, zwischen der lediglich festzustellenden Normalität und den Problemen in der Klausur zu unterscheiden. Klar ist: Der Gutachtenstil ist äußerst aufwendig – der Feststellungsstil ist äußerst ökonomisch! Das heißt übersetzt für Klausuren:
 Unmittelbar Evidentes, also Offenkundiges, was direkt einleuchtet, ist Nebensache: Also „Basta-Stil“.
 Mittelbar Evidentes, was nicht direkt einleuchtet, ist Hauptsache: Also „Gutachtenstil“.

Ein letzter Rat: Die Präsentationsform „Gutachten“ birgt drei gravierende Gefahren, vor denen man sich hüten muss: Sie verführt dazu,
erstens den Sachverhalt bei der Subsumtion zu wiederholen,
zweitens das Gesetz bei den Prämissen ständig abzuschreiben und zu wiederholen.
Beides sind sinnlose Beschäftigungen. Der Prüfer kennt beides! Er ärgert sich, wenn er solche nicht zielführenden Ausführungen lesen muss.
Drittens verleitet das Gutachten dazu, abstrakte Abhandlungen, losgelöst vom konkreten Fall (Besinnungsaufsatz), zu (im besten Fall) juristischen Themen zu unterbreiten und damit die Arbeit am und mit dem Gesetz sträflich zu vernachlässigen.

Die Erkenntnisse des eben Gelernten bringen erst den Übergang zum „Juristen“ hervor.
Schlechte Juristen erkennt man daran, dass sie keine Fälle lösen können. Sie haben aber ab jetzt ein innerlich angeeignetes Falllösungsprogramm für Ihr weiteres Studium:
1. Passendes Gesetz als Antwortnorm suchen, egal ob im BGB oder im StGB
2. Tatbestandsmerkmal um Tatbestandsmerkmal herausstanzen
3. Stopp: Stolpern Sie über ein Tatbestandsmerkmal? Das ist dann der Fall, wenn Sie es nicht ohne Weiteres bejahen oder verneinen können. Dabei stellen Sie sich einen Normalfall vor, der den Gesetzgeber wohl zur Schaffung dieses Tatbestandsmerkmals veranlasst haben könnte.
4. Handelt es sich bei dem „Stolperer“ um eine erhebliche Abweichung vom Normalfall oder um eine unerhebliche?
5. Wenn „erheblich“, folgt jetzt der Kraftakt im Gutachten! Auslegung betreiben – Definition festlegen – Subsumtion vornehmen – Problemdiskussionen vornehmen mit „Pro und Contra“. Wenn „unerheblich“, Feststellungsstil anwenden!
6. Erst jetzt lassen Sie Ihr Rechtsgefühl sprechen und dann treffen Sie die endgültige Entscheidung: Zwischenergebnis festhalten.
So ist es und so wird es immer bleiben! Bei jedem TBM!

Etwas Kritik muss aber sein am Subsumtionsstil der Juristen: Ich will Sie jetzt nicht verunsichern, nur sensibilisieren, um ein eigenes Urteil fällen zu können. Die Subsumtionsmethode hält strengen (natur)wissenschaftlichen Kriterien nicht so recht stand. Sie weist nämlich mangelnde Vorhersehbarkeit und damit fehlende Objektivität in der Rechtsgewinnung auf. Stichwort: ein Fall, ein Problem! Drei Meinungen? Drei Urteile? – Die Subsumtionsmethode ist offensichtlich nicht das absolut sichere logisch-deduktive Verfahren, das immer und notwendig den „einzig richtigen“ Eintritt der Rechtsfolge bewirkt. Das liegt daran, dass sowohl die Tatbestandsmerkmale des Gesetzes als auch die Tatsachen des Falles ausgelegt, definiert und wertend aufeinander bezogen werden müssen und damit einer Objektivität entzogen sind und einer Subjektivität des Gesetzesanwenders Platz geben. Ein weiterer Grund ist, dass diese Auslegungen und die wertenden Zuordnungen eine nicht unerhebliche Portion persönliches „Rechtsgefühl“ der richterlichen Anwender enthalten und somit die oftmals mehr „rechtsgefühlte“ Rechtsfolge im Nachhinein durch das Gericht manchmal nur scheinbar mit und aus dem Gesetz abgeleitet wird.

Beitrag: 24 Die gutachtliche Inszenierung mit Hilfe der Subsumtion im StGB

Es folgt der zweitwichtigste Beitrag für den Jurastudenten!

Was machen die Juristen, was sonst keiner so gut macht? – Richtig, wir wissen es: Sie haben eine Fallherangehensweise. Ihr Herzstück ist die Subsumtion. Subsumtion bedeutet abstrakt die Unterordnung von Begriffen unter einen Oberbegriff (lat.: sub, unter: sumere, anwenden, nehmen). Konkret für die Juristerei bedeutet Subsumtion ein juristisches methodisches Verfahren zur Unterordnung der Einzelteile eines Sachverhalts unter die Einzelteile des Konditionalprogramms einer Rechtsnorm. Sie ist Dreh- und Angelpunkt gutachtlicher juristischer Inszenierung. Es zählt alles nichts, wenn es nicht im Gutachten mit seiner Subsumtion kommt!

Das will ich Ihnen anhand folgender 8 Beispiele aus dem Strafrecht verständlich machen.

1. T sticht in den linken Vorderreifen des Wagens seines mit ihm verfeindeten Nachbarn N.

2. T lässt aus dem linken Vorderreifen des Autos des N die Luft heraus, um diesen zu ärgern.

3. Neffe N zerlegt die goldene Uhr seines Onkels O in 186 Einzelteile und serviert ihm diese mit der Bemerkung: „Du brauchst sie nur wieder zusammenzubauen, dann geht sie wieder, Onkelchen.“

4. Sittenapostel S überklebt ein aufreißerisches Filmplakat für einen Sexfilm an den „entscheidenden“ Stellen mit schwarzem Tesafilm, verhilft der Dame somit zu einem schwarzen Bikini.

5. Neffe N dressiert während eines Sanatoriumsaufenthalts seiner Tante den ihm in Obhut gegebenen Wellensittich „Emma“, der von dieser gelernt hatte, beim Löschen des Lichtes „Gute Nacht, liebe Tante“ zu rufen, dahingehend um, dass dieser nunmehr „Gute Nacht, hässliche Tussi“ kräht.

6. Graffiti-G besprüht das Haus des Vaters seiner Freundin mit einem künstlerisch wertvollen Strichmännchen – allerdings gegen den Willen seines potentiellen Schwiegervaters.

7. Einbrecher E tötet den Wachhund des Villenbesitzers V durch vergiftete Fleischbrocken.

8. Zuhälter Z wirft aus Imponiergehabe im Beisein seiner „Damen“ seine goldene Uhr weg, um sich eine neue zu kaufen. Der dies beobachtende Konkurrent K zertritt aus Neid und Wut die Uhr.

Anhand dieser Beispiele sollen Ihnen Gutachten und Subsumtion in einem in acht Phasen gegliederten Arbeitsprozess ineinandergreifend im „Achtblickverfahren“ vorgestellt werden.

1. Blick: Auf den Sachverhalt (um was geht’s?)

2. Blick: Auf die Aufgabenfragestellung (was wollen „die“ von mir?)

3. Blick: Auf die die Aufgabenfrage zu beantwortende Antwortnorm. Gibt es eine Strafrechtsnorm, deren Rechtsfolge mit der Fallfrage „Hat sich T bzw. N, K, S, E, N und G strafbar gemacht?“ korrespondiert? Daraus folgt die bekannteste aller Fragen im StGB: Wer hat sich weswegen wodurch strafbar gemacht?

1. Blick: Auf die Tatbestandsseite („Wenn“) mit ihren Tatbestandsmerkmalen (eliminieren)

2. Blick: Auf die Auslegung jedes Merkmals (interpretieren)

3. Blick: Auf die Definition jedes Merkmals (definieren)

4. Blick: Auf die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von Sachverhalt und Tatbestandsmerkmalen (subsumieren)

5. Blick: Auf die Schlussfolgerung (konkludieren)

Diesen Klausurenfahrplan mit seinem „Achtblick-Verfahren“ sollten Sie verinnerlichen! Das heißt: Erstens: Verstehen! – Dann: Nachahmen! – Anschließend: Einüben! – Schließlich: Nachmachen! – Steht der Sachverhalt fest, ist die Aufgabenstellung entschlüsselt und eine Antwortnorm aus dem StGB auf die Fragestellung des Falles gefunden, so beginnt die eigentliche juristische Arbeit. Man prüft, ob die rechtlichen Voraussetzungen der Antwortnorm des StGB für eine Bestrafung des Täters aufgrund des Sachverhaltes erfüllt sind.

In den acht Sachverhalten kommt jeweils als gedanklicher Ausgangspunkt weiterer Überlegungen die Antwortnorm Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB in Betracht. Eine Norm, die abstrakt (generell) eine Antwort gibt auf die konkrete Frage der Aufgabenstellung: strafbar oder nicht strafbar? Das Wörtchen „rechtswidrig“ ist zu streichen, da ohnehin jede strafbare Handlung rechtswidrig sein muss. Übrig bleiben die abstrakten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der Sachbeschädigung: (Eine) fremde – Sache – beschädigen – oder – zerstören.

Hat man die Voraussetzungen dieser Antwortnorm zusammengetragen, so muss man nunmehr
 die abstrakten herausgestanzten und durch die Auslegung und Definition konkret umgestalteten Tatbestandsmerkmale: Sache – fremd – beschädigen oder zerstören
 mit den Einzelumständen des Sachverhaltes vergleichen, d.h. man muss subsumieren, also untersuchen,
 ob beide miteinander übereinstimmen,
 ob sie sich spiegelnd entsprechen,
 ob sie zur Deckung gebracht werden können,
 um die Rechtsfolge – die Frage des Falles (Haben sich die Täter jeweils strafbar gemacht?) – auszulösen.

Ihr Blick wandert hin und her zwischen Ihrem Sachverhalt und den gesetzlichen Merkmalen der Antwortnorm des § 303 StGB. Gelingt die Subsumtion, geht der Fall weiter. Scheitert die Subsumtion, ist der Fall beendet.

Die Anwendung einer Rechtsnorm durch Subsumtion eines Lebenssachverhaltes unter ein Gesetz beruht auf einer Denkfigur der Logik, dem syllogistischen Schluss. Das griechische Wort „syllogismos“ bedeutet das Zusammenrechnen – und in der Tat rechnet der Syllogismus in einem einzigen Satz, dem „schlussfolgernden“ Schlusssatz zusammen, was im Obersatz und im Untersatz gesagt worden ist.
Obersatz: Alle Menschen sind sterblich.
Untersatz: Sokrates ist ein Mensch.
Zusammenrechnender Schlusssatz: Also ist Sokrates sterblich.

Dies ist der berühmte aristotelische Schluss. Dass hier aus zwei Aussagen (Obersatz und Untersatz) eine neue gewonnen wird (Schlusssatz) und dass die Folgerichtigkeit (Logik) dieses Gedankenganges zwingend einsichtig ist, beruht darauf, dass Obersatz und Untersatz einen gemeinsamen Begriff aufweisen (Mensch), der bei der Schlussfolgerung eliminiert wird und im Schlusssatz nicht mehr vorkommt. Dieser sogenannte Mittelbegriff „Mensch“ erlaubt die Zusammenrechnung von Ober- und Untersatz zu einer neuen Aussage. Der Schlusssatz zieht bei positiver Subsumtion lediglich die Konsequenz daraus, dass der Obersatz den Untersatz durch den Mittelbegriff umfasst, was bei negativer Subsumtion eben nicht so ist. Daran zeigt sich, dass der Schlusssatz nur die Logik, die Folgerichtigkeit, garantiert, nicht etwa die Wahrheit. Entspricht die Prämisse (Obersatz) nicht der Wahrheit, ist die Schlussfolgerung zwar logisch, aber unwahr. Entspricht allerdings die Prämisse der Wahrheit, ist auch die Schlussfolgerung wahr.

Obersatz: Alle Menschen sind dumm.
Untersatz: Sokrates ist ein Mensch.
Zusammenrechnender Schlusssatz: Also ist Sokrates dumm.

Das Ergebnis ist zwar logisch, aber falsch, da die Prämisse (alle Menschen sind dumm) nicht stimmt; folglich stimmt auch der Schlusssatz nicht: Denn jeder Mensch weiß, dass Sokrates weise ist, weil er weiß, dass er nichts weiß.

Bei der Rechtsanwendung in den acht Beispielen ist nun § 303 StGB der Obersatz, der jeweilige Fall der Untersatz, der zusammenrechnende Schlusssatz ist die Feststellung, dass die Rechtsfolge eingreift (positiv) – oder auch nicht (negativ).

Obersatz: Wer eine fremde Sache beschädigt, wird bestraft.
Untersatz pauschal: Täter T hat eine fremde Sache beschädigt (Sachverhalt).
Zusammenrechnender Schlusssatz: Also wird T bestraft.

Es sind gleich mehrere Mittelbegriffe: Sache – fremd – beschädigen. Man streiche diese Wörter aus Ober- und Untersatz, setze statt des abstrakten „Wer“ den konkreten „T“ ein und schon ist man beim Schlusssatz angelangt (allerdings zunächst nur im Hinblick auf den Tatbestand).
Obersatz: Wer eine fremde Sache beschädigt, wird bestraft (§ 303 StGB)
Untersatz: Täter T hat eine fremde Sache beschädigt
Schlusssatz: Täter T wird bestraft

Die eigentliche Schwierigkeit bei der Subsumtion liegt in der Eliminierung des Mittelbegriffs „fremde Sache beschädigen“. Diese Schwierigkeit liegt darin, dass die Rechtsnorm des § 303 StGB, wie jede Rechtsnorm, aus mehreren einzelnen Tatbestandsmerkmalen besteht: „Sache“ – „fremd“ – „beschädigen“. Gleiches gilt für den „Fall“. Auch dieser besteht aus mehreren Sachverhaltsmerkmalen, die allerdings oft sehr schwer zu finden sind. Im 1. Fall z.B. sind sie einfach zu entdecken: „Autoreifen“ – „des Nachbarn N“ – „zerstechen“.

Damit wird evident (einsichtig), dass es nicht möglich ist, „den Lebenssachverhalt“ pauschal unter „die Rechtsnorm“ zu subsumieren. Man muss die Rechtsnorm in ihre einzelnen Elemente zerlegen und den Sachverhalt gleichermaßen in seine Lebensbestandteile zergliedern. Man muss den Sachverhalt und die Antwortnorm „zerdenken“! Nunmehr ist jeder Sachverhaltsbestandteil „seinem“ Antwortnormstückchen (Tatbestandsmerkmal) zuzuordnen und das Vorliegen jeder Voraussetzung des Gesetzes gesondert und nacheinander im Subsumtionsverfahren aufzufädeln. Erforderlich ist eine mehrfache „Tatbestandsmerkmal-Sachverhaltsmerkmal-Subsumtion“ mit mehrfachem schlussfolgerndem Zwischenergebnis. Der Schlusssatz, also die Rechtsfolge „T hat sich dadurch, dass … gem. § 303 StGB strafbar gemacht“, ist das schlussfolgernde Gesamtergebnis der Summe der positiv verlaufenen schlussgefolgerten Einzelsubsumtionen.

Bei der Erarbeitung der acht Fälle werden Sie merken, dass die vier Denkschritte des Gutachtens (Hypothese – Prämisse – Subsumtion – Ergebnis) zwar eine Grundstruktur juristischen Denkens bilden, aber eben allein noch lange kein handwerklich brauchbares Schema für die juristische Fallbearbeitung in einer Klausur darstellen. Sie kommen praktisch „pur“ in dieser Form überhaupt nicht vor! Selbst im einfachsten Fall 1 sind die „glorreichen Vier“ des Gutachtenstils nicht ausreichend. Stets sind mehrere Voraussetzungen (Tatbestandsmerkmale: Sache; fremd; beschädigen oder zerstören) nebeneinander zu prüfen, und zwar jeweils erneut im Gutachtenstil.

Dann steht an der Spitze der jeweiligen Teilerörterung von „Sache“, „fremd“, „beschädigen“
wiederum eine Teil-Fragestellung, also jeweils Hypothesen zu „Sache“, „fremd“, „beschädigen“,
deren Beantwortung ein jeweiliges Teil-Gutachten zu „Sache“, „fremd“, „beschädigen“ mit Subsumtion und Ergebnis erfordert.

Innerhalb eines juristischen Gesamt-Gutachtens sind also mehrere Gutachten notwendig (ein großes und mehrere kleine). Es ist ein In- und Aneinanderreihen der Einzelsubsumtionen zu einem Gesamtgutachten, ein Aufwerfen immer neuer Hypothesen mit Zwischenergebnissen, bis eine Gesamtsubsumtion mit einem Gesamtergebnis möglich ist. Es ist ein einziges „Schachteln“.

Wir exzerzieren ein solches „Gutachten-Schachteln“ einmal anhand des 1. Falles durch, zugegebenermaßen in epischer Breite, aber vielleicht gerade deshalb lehrreich. (Anm.: Die „Finalisten“ mögen mir verzeihen, ich baue als „Kausalist“ auf).
Gesamtgutachten
(Gutachten schachteln)

A T könnte sich dadurch, dass er den Reifen des N zerstochen hat, wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht haben gem. § 303 Abs. 1 StGB.
(1. Schritt des Gesamtgutachtens (Hypothese))
B Das setzt voraus, dass er den Tatbestand des § 303 StGB rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht hat.
(2. Schritt des Gesamtgutachtens (Untersuchungsprogramm))
C1 Dann müsste das Zerstechen des Reifens des N zunächst die
Beschädigung einer fremden Sache sein.
(3. Schritt des Gesamtgutachtens (Subsumtion unter den Tatbestand))
= 1. großes Teilgutachten

Also hat T den Tatbestand des § 303 StGB erfüllt.
(Ergebnis des 1. großen Teilgutachtens)

C2 Weiterhin müsste T die Tat rechtswidrig begangen haben.
(3. Schritt des Gesamtgutachtens (Subsumtion unter die Rechtswidrigkeit)
= 2. großes Teilgutachten)

Also hat T den Tatbestand rechtswidrig verwirklicht.
(Ergebnis des 2. großen Teilgutachtens)
C3 Letztlich müsste T die Tat schuldhaft begangen haben.
(3. Schritt des Gesamtgutachtens (Subsumtion unter die Schuld)
= 3. großes Teilgutachten)

D Also hat sich T dadurch, dass er in den Autoreifen des Nachbarn N gestochen hat, wegen Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
(4. Schritt des Gesamtgutachtens (Ergebnis))

Wahnsinn? Sie haben Recht! Und ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode: die Gutachtenmethode!
So ausführlich wie dargestellt wird man ein Gutachten niemals schreiben. Die „Gut-achtenschachtel“ sollte nur zur Demonstration dienen. Es wurde dabei gegen einen juristischen Ur-Grundsatz verstoßen: Die Hauptsache ist, dass die Hauptsache die Hauptsache ist! Selbstverständlichkeiten werden als Nebensachen im Feststellungsstil dokumentiert. Auch erscheint es stilistisch zu umständlich, alle vier Denkschritte (große und kleine Gesamt- und Teilgutachten) jeweils deutlich voneinander zu trennen und stets ausdrücklich vorzunehmen. Besonders für den Denkschritt zwei ist es in der Regel ausreichend, auf die gesetzliche Anspruchsgrundlage durch Angabe des Paragraphen hinzuweisen und die einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht schülerhaft aufzulisten; stattdessen wird sogleich subsumiert (dritter Denkschritt).

Bei der Einzelsubsumtion (z.B. unter „Sache“) kommen drei Varianten in Betracht.

● Variante 1: Ein Rechtsfall kann nun so liegen, dass die Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung von Tatbestandsmerkmal und Sachverhaltsbestandteil ohne weiteres evident ist. So ist z.B. ein Autoreifen ohne Weiteres eine Sache, eine Forderung (ein vergeistigtes Recht) dagegen wäre das typische Beispiel für eine Nichtübereinstimmung. Häufig ist das Verhältnis von Tatbestandsmerkmal und Sachverhalts-merkmal aber nicht so einfach. Die fehlende Evidenz kann auf beiden Seiten beruhen:
● Variante 2: Der zu beurteilende Lebenssachverhalt ist klar: T hat einen Vogel umdressiert (Fall 7). Nicht klar ist aber, ob der Vogel eine „Sache“ ist, und ob ein Umdressieren ein „beschädigen“ darstellt. Bei der Subsumtion kann also eine schwierige Interpretation des Tatbestandsmerkmals erforderlich sein, um sich dem klaren Sachverhalt anzunähern.
● Variante 3: Hier ist es genau umgekehrt: Klar ist die Voraussetzung: Vorsatz ist Wissen und Wollen. Nicht klar ist aber, ob ein Mann, der um seine Aids-Infektion weiß und mit einer Frau ungeschützt Sex hat, dieses Wissen und Wollen im Hinblick auf eine Tötung oder Körperverletzung aufweist. Es kann also eine schwierige Interpretation des Sachverhaltes geboten sein, um sich dem klaren Tatbestandsmerkmal zu nähern.
Nun können Sie die Variante 3 getrost vernachlässigen, da die Sachverhalte Ihrer Klausuren im Studium immer klar und unstreitig gefasst sein sollten. Umso stärker müssen Sie sich aber auf die Variante 2 konzentrieren.
Die Übereinstimmung von Tatbestandsmerkmal und Sachverhalt kann bei nicht evidenter Übereinstimmung (Vogel = Sache?; Umdressieren = beschädigen?; Entlüften = beschädigen?; Auseinandernehmen = beschädigen?; Weggeworfene Uhr = fremd?; künstlerisches Graffiti = beschädigen?) nur festgestellt werden, wenn als erstes das Tatbestandsmerkmal ausgelegt und durch eine Definition genauer und konkreter gefasst wird. Erst der ausgelegte und definierte Begriff führt das völlig abstrakte Tatbestandsmerkmal durch die Definition – nunmehr um seine Abstraktheit entkleidet – inhaltlich näher an die Sachverhaltsbestandteile heran. Es greift alles ineinander: Das Tatbestandsmerkmal wird durch eine Definition als Endpunkt einer durchgeführten Auslegung für die Subsumtion erst aufbereitet; Auslegung und Definition sind ein notwendiges Tatbestands-Aufbereitungsprogramm für die Subsumtion. Ohne die die Tatbestandsmerkmale aufschließenden Auslegungen und Definitionen ist der Subsumtionsvorgang nicht nur im Strafrecht unmöglich. Die Auslegung mündet immer in eine Definition und erfolgt stets vor der Subsumtion (A vor D vor S). Ohne Auslegungsregeln und einen gewissen Definitionenschatz ist deshalb ein vernünftiges Arbeiten in der Juristerei nicht möglich. Beide wollen Sie nicht quälen, sondern Ihnen die Subsumtion erleichtern!

Übersicht

Jedes Gesetz ist die Summe seiner TBMe

 Im Fall 1 untersuchen Sie zunächst, ob der linke Vorderreifen als Sachverhaltsstück unter das abstrakte Gesetzesstück „Sache“ (TBM) in § 303 Abs. 1 StGB zu subsumieren ist. Diese Frage können Sie aber erst beantworten, wenn Sie die Vorfrage beantwortet haben: Was heißt eigentlich „Sache“ im Sinne des § 303 Abs. 1 StGB? „Sache“ ist ein denkbar weiter Begriff. Für die Auslegung (Ausl) kommt es auf die Körperlichkeit an. Erst durch den Bezug auf die Körperlichkeit gewinnt das Merkmal „Sache“ festere Konturen (Länge x Breite x Höhe). In diesem Sinne definiert (Defi) der Jurist das Merkmal „Sache“ wie folgt: Eine Sache ist jeder körperliche Gegenstand (vgl. auch § 90 BGB). Ein „Autoreifen“ ist ein solcher Gegenstand (Subsu), fällt mithin unter den Begriff „Sache“ (ZwErg).

 Nun wenden Sie sich dem nächsten Tatbestandsmerkmal zu, nämlich „fremd“ (TBM). Für die Begriffsentfaltung (Auslegung) des Tatbestandsmerkmals „fremd“ kommt es auf das Eigentum an der Sache an. Erst durch diesen Bezug gewinnt dieses Merkmal feste Konturen (Ausl). Man definiert: Fremd ist eine Sache, wenn sie im Eigentum eines Dritten steht (Defi), also weder Alleineigentum des Täters noch herrenlos ist (vgl. § 959 BGB). Dieser Satz enthält die Definition des Begriffs „fremd“ i.S. des § 303 StGB ebenso wie i. S. des § 242 StGB. Der nächste Schritt besteht nun wiederum darin, den „Vorderreifen des N“ unter die Definition des Begriffs „fremd“ zu subsumieren. Eigentümer des Wagens und damit des Vorderreifens ist N, also ein anderer als der Täter T (Subsu). Mithin handelt es sich bei dem Vorderreifen um eine fremde Sache (ZwErg).

 Ob T aufgrund des geschilderten Sachverhaltes den Tatbestand des § 303 Abs. 1 StGB erfüllt hat, hängt noch davon ab, ob er den Reifen durch Zerstechen „beschädigt“ hat. Dabei ist zu beachten, dass die Tathandlungen „beschädigen“ und „zerstören“ hier alternativ und nicht kumulativ vorliegen müssen, es also ausreicht, dass der Reifen beschädigt worden ist.
Nehmen wir einmal an, die Täter N und T wendeten in den Fällen 2 und 3 ein, dass die Sachen jeweils äußerlich unversehrt geblieben seien, mithin ein „Schaden“, also eine Substanzverletzung – der wesentliche Inhalt des Wortes „beschädigen“ – gar nicht vorliege; im Übrigen brauche man den Schlauch (Fall 2) nur wieder aufzupumpen bzw. die Uhr wieder zusammenzusetzen (Fall 3). Diese Einwände zeigen, dass das Tatbestandsmerkmal „beschädigen“ zunächst ausgelegt werden muss, bevor man das Herauslassen der Luft bzw. das Zerlegen der Uhr unter dieses Merkmal subsumieren kann. Die Auslegung des Merkmals „beschädigen“ hängt vom Zweck ab, den § 303 StGB verfolgt. Schutzzweck dieses Paragraphen ist es zu verhindern, dass der Wert einer Sache für den Eigentümer herabgesetzt oder vernichtet wird, und zwar nicht nur der Substanzwert, sondern auch der Gebrauchswert. Erst durch diesen Bezug gewinnt das Merkmal „beschädigen“ seine näheren Umrisse. Die strafrechtliche Definition des Merkmals „beschädigen“ muss daher vor dem Hintergrund dieses Schutzzweckes des § 303 StGB nicht unerheblich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichen. Während dieser unter „beschädigen“ in erster Linie eine Substanzverletzung versteht (z.B. zerkratzen, zerschneiden, zerstechen), definiert das Strafrecht den Begriff wie folgt: Eine Sache ist beschädigt, wenn der Täter ihre Substanz verletzt oder ihre bestimmungsgemäße Funktionstauglichkeit nicht nur geringfügig beein-trächtigt hat.

Aber selbst diese Definitionen sind nicht immer ein Allheilmittel. Das Umdressieren eines „lieben“ Wellensittichs in einen „bösen“ Wellensittich (Fall 7) lässt sich nicht mehr ohne weiteres mit dem Begriff „beschädigen“ und seiner konkretisierenden Definition zur Deckung bringen. Es handelt sich offensichtlich um einen Problemfall. Um die Evidenz (Einsichtigkeit) herzustellen, sind Ihre Argumentation und Ihre Rhetorik gefragt. Was ist die bestimmungsgemäße Funktionstauglichkeit eines Wellensittichs? Das Fliegen? Seine Buntheit? Das Singen? – Auch das Sprechen? Wenn ja: Die generelle Fähigkeit zu sprechen (die hat er nach wie vor) oder die individuelle für die Tante wichtige Fähigkeit (die hat er nicht mehr)? Ist also die bestimmungsgemäße Funktionstauglichkeit objektiv oder subjektiv zu bestimmen? Sie sehen: Um das Zerstechen eines Autoreifens als Sachbeschädigung zu erfassen, bedarf es keines langen Studiums. Um aber das Umdressieren eines Wellensittichs als eine solche Beschädigung anzusehen (oder auch nicht), muss man juristisch ausgebildet sein.

Nunmehr ist es ein Leichtes, in den Fällen 1, 2 und 3 die Subsumtion, d.h. den formal-logischen Schluss, zu vollziehen. T hat im Fall 1 die Substanz des Vorderreifens verletzt, mithin den Reifen „beschädigt“. In den Fällen 2 und 3 ist zwar keine substanzielle Verletzung des Reifens bzw. der Uhr eingetreten, jedoch ist die bestimmungsgemäße Brauchbarkeit des Reifens bzw. der Uhr beeinträchtigt worden. Somit liegt auch hier ein „beschädigen“ im Sinne des § 303 StGB vor. In den Fällen 4, 5 und 6 hängt die Lösung davon ab, was man unter „bestimmungsgemäßem Gebrauch“ versteht: „Aufreizend“ zu wirken? – Ein „lieber“ Vogel zu sein? – Als Haus kein „Kunstobjekt“ zu sein? Im Fall 7 ist ein Hund unter das Merkmal „Sache“ zu subsumieren, wie im Fall 8 die positive Subsumtion fehlschlägt, da die Uhr gem. § 959 BGB herrenlos geworden ist, also nicht „fremd“ ist.

Beitrag: 25 Die gutachtliche Inszenierung mit Hilfe der Subsumtion im BGB

Sie denken vielleicht bis jetzt: „Na ja, hab ich ja so weit verstanden! Das kann ich jetzt!“ Das reicht aber nicht. Das juristische Können, Wissen und Verstehen kennt nur einen Beweis: das Tun. Also auf ins juristische Trainingslager, wenn „Sachverhalt“ auf „Gesetz“ trifft!

Der Streit um die schöne Helena

Max und Jupp geraten in einer Disco über die schöne Helena in einen Streit. Max beendet die verbale Auseinandersetzung, indem er Jupp eine Ohrfeige versetzt. Dem zum Ausgang strebenden Max setzt der wutentbrannte Jupp nach, ergreift einen Barhocker und schlägt selbigen dem Max von hinten über den Kopf. Die entstandene Platzwunde muss von einem Arzt genäht werden. Gemäß dessen Rechnung muss Max hierfür 500 € zahlen.

Wir wissen bereits: Jeder Rechtsfall enthält eine Fragestellung, die auf Bestehen oder Nichtbestehen einer Rechtsfolge gerichtet ist. Die Fragestellung lautet jetzt nicht: „Wie hat sich Jupp strafbar gemacht?“, sondern: „Kann Max von Jupp 500 € Ersatz für die bezahlte Arztrechnung verlangen?“ Womit wir mitten im BGB stehen!

Die Rechtsnorm, die die gesuchte Rechtsfolge abstrakt enthält, die die zivilrechtliche Aufgabenstellung konkret verlangt, wollten wir ja als „Antwortnorm“ bezeichnen. Wichtigste Antwortnormen auf die Frage, ob ein Bürger (wer?) von einem anderen Bürger (von wem?) im Privatrecht etwas (was?) verlangen kann, sind bekanntlich die Anspruchsgrundlagen (woraus?) des BGB.

Daraus folgt die bekannteste aller juristischen Studentenfragen im BGB-Fall: Wer-will-was-von-wem-woraus-warum?

Anspruchssteller ist Max (wer)

Anspruchsbegehren ist Ersatz der Arztkosten in Höhe von 500 € (was)

Anspruchsgegner ist Jupp (von wem)

Anspruchsgrundlage ist § 823 Abs. 1 BGB (woraus)

Anspruchsgrund ist der Schlag auf den Kopf (warum)

§ 823 Abs. 1 BGB ist eine Norm, nach deren Konditionalprogramm der eine Bürger von dem anderen Bürger Schadenersatz (Rechtsfolge/Dann-Teil) verlangen kann, wenn die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale (Voraussetzungen /Wenn-Teil) vorliegen. Man hat also das Recht (den Anspruch), ein Tun (die Schadenersatzzahlung) zu verlangen, wenn die gesetzlichen Bausteine gegeben sind.

Max kann also von Jupp 500 € verlangen, wenn die Prüfung des Falles ergibt, dass sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 823 Abs. 1 BGB dadurch erfüllt sind, dass der eingangs geschilderte Lebensausschnitt „Der Streit um die schöne Helena“ korrespondierende Sachverhaltselemente aufweist. Diese Deckung von Tatbestand und konkretem Sachverhalt muss jetzt im Gutachten hergestellt werden.

Am Anfang aller Betrachtungen wollten wir ja über jeden Fall immer acht Blicke schweifen lassen (Achtblickverfahren).

 Erster Blick: Was sagt der Sachverhalt? Um was geht’s?

 Zweiter Blick: Was wollen die von mir? Aufgabe! Welche Rechtsfolge soll eintreten? Leistung, Schadenersatz, Herausgabe? Blick auf das Dann!

 Dritter Blick: Gibt es eine Antwort für die gewünschte Rechtsfolge? Blick auf die Anspruchsgrundlage! Blick auf die Antwortnorm!

Vierter Blick: Auf die Tatbestandsseite mit ihren Tatbestandsmerkmalen!

Fünfter Blick: Auf die Auslegung jedes Merkmals!

Sechster Blick. Auf die Definition jedes Merkmals!

Siebter Blick: Auf die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von

Sachverhalt und Tatbestandsseite!

Achter Blick: Auf die Schlussfolgerung!

Das „Reiz“-Schema Gutachten nimmt seinen Lauf. Es findet immer eine Lösung. Es wird Ihr träges Wissen zu lebendigem Wissen „gereizt“!

1. Takt: Zur Hypothese

Es wird bekanntlich ein bestimmtes, die Fragestellung der Aufgabe beantwortendes Ergebnis als möglich hingestellt (hypothetisches Ergebnis „könnte“). Die Fallfrage geht dahin, ob Max (wer) von Jupp (von wem) 500 € als Schadenersatz (was) für die Kopfverletzung (warum) aus § 823 Abs. 1 BGB (woraus) verlangen kann.

Sämtliche „W“ müssen in der Hypothese des Gutachtens vorhanden sein. Sie warten im vierten Denkschritt des Gutachtens – im Ergebnis – auf ihre Antwort (Max kann von Jupp verlangen … – oder er kann nicht verlangen). Der vierte Denkschritt (Ergebnis) steht immer in unlöslicher Korrespondenz zu dem ersten Denkschritt (Hypothese) und muss den ersten Denkschritt positiv oder negativ beantworten. Dementsprechend lautet der erste Denkschritt:

„Max könnte von Jupp die Zahlung von 500 € Schadenersatz für die Arztrechnung gem. § 823 Abs. 1 BGB verlangen.“

2. Takt: Zum Untersuchungsprogramm

Es werden die einzelnen Voraussetzungen gesucht, bei deren Vorliegen man zu dem unter der Hypothese vorgeschlagenen Ergebnis kommt (Prämissen suchen, eliminieren).

 Zunächst braucht man eine Handlung des Schädigers (wer … verletzt).

 Dann benötigt man eine Rechtsgutverletzung (Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder ein sonstiges Recht).

 Zwischen der Handlung und der Verletzung muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Die Juristen sprechen insoweit von der Kausalität der Handlung für die Rechtsgutverletzung (verletzungsausfüllende Kausalität).

 Die Handlung muss widerrechtlich gewesen sein, d.h. rechtswidrig.

 Die Handlung muss vom Schädiger vorsätzlich oder fahrlässig vorgenommen worden sein, d.h. schuldhaft.

 Da der Schadenersatz eine eingetretene Vermögenseinbuße ausgleichen will, kommt § 823 Abs. 1 BGB dann nicht in Betracht, wenn überhaupt keine messbare Vermögenseinbuße, das ist kurz gesagt ein „Schaden“, eingetreten ist, die ausgeglichen werden muss. Das Bestehen eines Schadens ist also eine weitere Voraussetzung des § 823 Abs. 1 BGB. Dieses Tatbestandsmerkmal „Schaden“ ist grammatikalisch in den Rechtsfolgeteil (das Dann) gerutscht. § 823 Abs. 1 BGB spricht darin davon, dass der Schädiger den aus der Verletzung entstandenen „Schaden“ ersetzen muss. Man kann sich also nicht immer darauf verlassen, dass der Konditionalteil einer Anspruchsgrundlage sämtliche Bausteine umfasst. Diese können auch manchmal im Rechtsfolgeteil oder gar in anderen Normen oder allein in der Logik zu suchen sein.

 Auch zwischen der Handlung und dem eingetretenen Schaden muss eine Kausalität bestehen (schadensausfüllende Kausalität).

Im Beispielsfall könnte man fortfahren:

„Das setzt voraus, dass Jupp den Max widerrechtlich und vorsätzlich am Körper verletzt hat, wodurch Max ein Schaden entstanden sein muss.“

Man beschränkt sich insoweit auf die für den Fall notwendigen Tatbestandsmerkmale, die alternativ, nicht aber kumulativ, vorliegen müssen (Leben oder Körper oder Gesundheit oder Eigentum oder Freiheit).

3. Takt: Zur Subsumtion

Es werden die aufgezeigten Voraussetzungen des Untersuchungsprogramms geprüft, indem sie interpretiert (ausgelegt) und definiert (begrifflich bestimmt) werden, um anschließend den Sachverhalt subsumieren (unterordnen) zu können.

 Erstes kleines Teilgutachten
„Dann müsste zunächst durch eine Handlung des Jupp eine Verletzung am Körper des Max verursacht worden sein.“

Grundsätzlich würde man hier die Merkmale „Handlung, Körperverletzung und Kausalität“ des eleganteren Stils wegen sowie angesichts der Überlegung, dass man Selbstverständlichkeiten nicht auswalzt, zusammenfassen. Hier müsste schlicht festgestellt werden:

„Jupp hat durch den Schlag mit dem Barhocker Max körperlich verletzt“ – Basta!

 Zweites kleines Teilgutachten

„Darüber hinaus müsste Max aufgrund dieser Verletzung durch Jupp ein Schaden entstanden sein. Schaden ist jede Verminderung des Vermögens. Max musste für die Behandlungskosten beim Arzt 500 € aufwenden, um die sein Vermögen jetzt vermindert ist. Also ist Max ein Schaden entstanden.“

 Drittes kleines Teilgutachten
„Für diese Vermögensminderung müsste die Verletzung durch Jupp ursächlich gewesen sein. Ursächlich ist die Verletzung zumindest dann, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Vermögenseinbuße ebenfalls entfiele. Ohne die Verletzungshandlung hätte Max keine Veranlassung gehabt, den Arzt aufzusuchen, so dass auch keine Behandlungskosten in Höhe von 500 € entstanden wären. Also war diese Verletzung für den Schaden auch kausal.“

 Viertes kleines Teilgutachten

„Schließlich müsste Jupp widerrechtlich gehandelt haben. Widerrechtlich ist der Eingriff in den Rechtskreis eines anderen dann, wenn er von der Rechtsordnung nicht gestattet ist („wider das Recht“), insbesondere dann, wenn dem Handelnden kein Rechtfertigungsgrund zur Seite steht. Als Rechtfertigungsgrund für den Schlag des Jupp käme Notwehr gem. § 227 BGB in Betracht (Hypothese eines neuen Teilgutachtens). Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden (fast wortgleich mit § 32 StGB). Dann müsste zunächst ein Angriff des Max auf Jupp vorgelegen haben. Angriff ist jede Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen durch einen Menschen (h.M.). Max hat Jupp geohrfeigt, mithin seine gem. §§ 185, 223 StGB geschützte Ehre und körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt. Also hat Max den Jupp angegriffen. Weiterhin müsste dieser Angriff gegenwärtig gewesen sein. Gegenwärtig ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder fortdauert (h.M.). Nachdem Max dem Jupp die Ohrfeige versetzt hatte, strebte er zum Ausgang, ohne Anstalten für einen weiteren Schlag zu treffen. Mithin war der Angriff beendet und nicht mehr gegenwärtig. Also handelte Jupp nicht in Notwehr gem. § 227 BGB. Da ein anderer Rechtfertigungsgrund nicht ersichtlich ist, handelte Jupp insgesamt widerrechtlich.“

 Fünftes kleines Teilgutachten

„Letztlich müsste Jupp vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Vorsatz bedeutet die bewusste und gewollte Herbeiführung des Erfolges (h.M.). Jupp wollte Max mit dem Barhocker verletzen und wusste auch, dass dies zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit seines Gegners führen würde. Also handelte Jupp vorsätzlich.“

4. Takt: Zum Ergebnis

Abschließend folgt das schlussgefolgerte Ergebnis der Prüfung (konkludieren), also die konkrete Beantwortung der im ersten Denkschritt (Hypothese) aufgeworfenen W-Fragen nach der Rechtsfolge.

„Also kann Max von Jupp gem. § 823 Abs. 1 BGB die Zahlung von 500 € als Schadenersatz verlangen.“

Wir unternehmen jetzt noch ein paar Spaziergänge im gutachtlichen „Vier-Viertel-Takt“.

Also nun noch etwas Training am BGB-Fall! Die Präzisionsinstrumente kommen in die Bewährung! Am Ende dieses Beitrags, spätestens nach dem nächsten, werden Sie das BGB-Gutachten gekonnt beherrschen! Allerdings merken Sie, dass das Gutachten von Ihnen auch erarbeitet werden muss. Obwohl das Gutachen Arbeit ist, kann es doch zugleich Vergnügen und Freude sein. Darüber hinaus bekommen Sie das Gefühl, selbst die Dinge in die Hand zu nehmen.

Dazu die nachfolgenden sechs Fälle.

1. Viktor (V) inseriert in der Zeitung sein Auto: Mondeo, Baujahr 2000 für 10.000 €. Knut (K) ruft am nächsten Morgen an, und beide werden für 9.000 € handelseinig. Am Abend will K bei V vorbeikommen und den Wagen gegen Barzahlung abholen.

a) Am Abend will Knut nicht mehr bezahlen, weil er ein günstigeres Angebot von Herrn Dritt erhalten hat.

b) Am Abend will Viktor nicht mehr „verkaufen“, weil er einen zahlungskräftigeren Interessenten für das Auto gefunden hat.

Kann V von K Bezahlung bzw. K von V Übereignung verlangen?

2. Max leiht Moritz für eine Woche sein Pferd „Hatatitla“. Nach Ablauf der Woche will Moritz das Pferd nicht mehr zurückgeben, weil er sich in „Hatatitla“ verliebt hat. Kann Max von Moritz Herausgabe des Pferdes verlangen?

3. Sabine „leiht“ Susanne 1.000 € ohne Zeitbestimmung. Nach einer Woche will Sabine die 1.000 € von Susanne zurückhaben. Mit Recht?

4. Hugo vermietet sein Pferd „Hatatitla“ für ein Jahr an Peter. Nach zwei Monaten ist „Hatatitla“ halb verhungert. Hugo fordert Peter auf, das Pferd tiergerecht zu füttern. Dieser Aufforderung kommt Peter nicht nach. Hugo verlangt nunmehr das Pferd heraus. Zu Recht?

5. Der 19-jährige Student Jupp Schmitz verlangt von seinem Vater 600 € Unterhalt pro Monat. Kann er das?

6. Tante Frieda zerreißt sich an einem aus der Ladentheke des „Kaufhof“ herausragenden Nagel ihr neues Kostüm. Kann Tante Frieda vom „Kaufhof“ Ersatz verlangen?

Zu Fall 1a:

Erster Blick : Um was geht’s? Klar!

Zweiter Blick : Was wollen die von mir? Ich soll prüfen, ob V von K den vereinbarten Kaufpreis verlangen kann.

Dritter Blick : Anspruchsgrundlage suchen! Als Antwortnorm (Anspruchsgrundlage) für dieses Begehren kommt ausschließlich § 433 Abs. 2 BGB in Betracht, da nur diese Norm die gewünschte Rechtsfolge bestimmt.

Vierter Blick : Blick auf das Wenn! Als Tatbestandsvoraussetzung (X) weist diese Norm einen Kaufvertrag aus. Zwar taucht dieser Baustein in § 433 Abs. 2 BGB gar nicht auf, ergibt sich aber logisch aus dem Gesetzestext. Das Merkmal „Kaufvertrag“ steht zunächst expressis verbis in § 433 Abs. 1 BGB, darüber hinaus spricht § 433 Abs. 2 BGB von „Verkäufer“ und „Käufer“, den beiden Polen eines (logisch vorausgesetzten) Kaufvertrages. Also: § 433 Abs. 2 BGB ist die Anspruchsgrundlage des V gegen den K; Wenn: Kaufvertrag; Dann: Kaufpreiszahlung.

Fünfter Blick : Auslegung und Definition! Ein Kaufvertrag kommt zustande durch ein wirksames Angebot und eine wirksame Annahme, so jedenfalls § 151 1.Hs. BGB.

Sechster Blick: Subsumtion! Der Sachverhalt gibt an, dass sich V und K „handelseinig“ geworden waren, sich also über Kaufpreis und Kaufobjekt geeinigt hatten. Folglich ist von einem wirksamen Angebot und einer wirksamen Annahme auszugehen. (Denken Sie daran: nichts in den Sachverhalt „hineingeheimnissen“!)

Siebter Blick : Ergebnis! Also entspricht der vorgegebene Sachverhalt dem Tatbestandsmerkmal in § 433 Abs. 2 BGB, nämlich: Kaufvertrag. Die Entsprechung ist gelungen.

Und das jetzt alles im Vier-Viertel-Takt des Gutachtens!

 Hypothese
„V könnte von K gem. § 433 Abs. 2 BGB die Zahlung des Kaufpreises i.H. von 9.000 € verlangen.“ (Erster Schritt des Gesamtgutachtens: Wer will was von wem woraus?)

 Untersuchungsprogramm
„Das setzt voraus, dass zwischen V und K ein wirksamer Kaufvertrag über 9.000 € zustande gekommen ist.“ (Zweiter Schritt des Gesamtgutachtens)

 Subsumtion

„Ein Kaufvertrag kommt gem. § 151 1.Hs. BGB durch wirksames Angebot und wirksame Annahme zustande. V und K wurden handelseinig. Also haben sie sich über den Verkauf des Mondeo zu einem Preis von 9.000 € geeinigt. Also ist zwischen Anspruchssteller V und Anspruchsgegner K ein wirksamer Kaufvertrag geschlossen worden.“ (Dritter Schritt des Gesamtgutachtens)

 Ergebnis
„Also kann V von K die Zahlung von 9.000 € gem. § 433 Abs. 2 verlangen.“ (Vierter Schritt des Gesamtgutachtens)

Zu Fall 1b:

Die Blicke blicken Sie bitte selbst!

Zur Lösung im Vier-Viertel-Takt:

 Hypothese
„K könnte von V gem. § 433 Abs. 1 BGB die Übereignung des Mondeo verlangen.“ (Erster Schritt des Gesamtgutachtens: Wer will was von wem woraus?)

 Untersuchungsprogramm
„Das setzt voraus, dass zwischen V und K ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist.“ (Zweiter Schritt des Gesamtgutachtens)

 Subsumtion
„Ein Kaufvertrag setzt sich gem. § 151 1.Hs. BGB aus einem wirksamen Angebot und einer wirksamen Annahme zusammen. V und K sind sich anlässlich des Telefongespräches handelseinig geworden. Also ist zwischen beiden ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen.“ (Dritter Schritt des Gesamtgutachtens)

 Ergebnis
„Also kann K von V gem. § 433 Abs. 1 die Übereignung des Mondeo verlangen.“ (Vierter Schritt des Gesamtgutachtens)

Zu Fall 2:

Erster Blick : Klar!

Zweiter Blick : Ich soll prüfen, ob Max von Moritz das Pferd „Hatatitla“ herausverlangen kann.

Dritter Blick : Als Anspruchsgrundlage für die begehrte Rechtsfolge kommt zunächst § 604 Abs. 1 BGB in Betracht.

Vierter Blick : Als Tatbestandsvoraussetzungen weist diese Norm folgende Merkmale auf (Gesetz sezieren!!):

a) Leihvertrag („Entleiher“, „geliehene Sache“, „für die Leihe“) gem. § 598 BGB

b) Übergabe der Sache („geliehene Sache“, „zurückzugeben“)

c) Fälligkeit („… nach Ablauf der für die Leihe bestimmten Zeit …“)

Ja, das Gesetz muss man regelrecht auswringen. Sie sagen es!

Fünfter Blick : a) Ein Leihvertrag ist ein Vertrag über den unentgeltlichen Gebrauch einer Sache (§ 598 BGB) und kommt gem. § 151 1.Hs. BGB (wie jeder Vertrag) durch wirksames Angebot und wirksame Annahme zustande.

b) Übergabe der Sache bedeutet Besitzwechsel nach § 854 BGB.

c) Fälligkeit bestimmt den Zeitpunkt, zu dem der Verleiher vom Entleiher die Leistung verlangen kann (§ 271 BGB).

Sechster Blick: a) Der Sachverhalt gibt an, dass Max dem Moritz das Pferd geliehen hat, also ein Leihvertrag wirksam geschlossen worden ist.

b) Weiterhin ist das Pferd „Hatatitla“ Moritz übergeben worden, folglich hat ein tatsächlicher Besitzwechsel stattgefunden.

c) Letztlich ist die vereinbarte Leihzeit von einer Woche abgelaufen.

Siebter Blick : Also entsprechen die vorgegebenen Sachverhaltsstücke den gesetzlich vorgegebenen Tatbestandsmerkmalen des § 604 I BGB. Die Entsprechung ist wiederum gelungen.

Und jetzt das Gutachten:

 Hypothese
„Max könnte von Moritz gem. § 604 Abs. 1 BGB die Herausgabe des Pferdes „Hatatitla“ verlangen.“ (Erster Schritt des Gesamtgutachten: Wer will was von wem woraus?)

 Untersuchungsprogramm
„Das setzt voraus, dass zwischen beiden ein Leihvertrag zustande kam, Moritz das Pferd übergeben wurde und der Anspruch fällig ist.“ (Zweiter Schritt des Gesamtgutachtens)

 Subsumtion (Dritter Schritt des Gesamtgutachtens)

„Ein Leihvertrag kommt zustande durch wirksames Angebot und wirksame Annahme gem. §§ 598, 151 1.Hs. BGB. Max und Moritz haben sich über die unentgeltliche Überlassung des Pferdes geeinigt. Also ist zwischen ihnen ein Leihvertrag geschlossen worden.“ (Erstes kleines Teilgutachten)

„Die Übergabe bedeutet einen Besitzwechsel. Moritz hat von Max die tatsächliche

Herrschaftsgewalt über das Pferd erhalten. Also ist Moritz das Pferd übergeben worden.“ (Zweites kleines Teilgutachten)

„Die Fälligkeit bestimmt den Zeitpunkt, von dem ab der Gläubiger vom Schuldner die Leistung verlangen kann. Die Leihzeit von einer Woche ist verstrichen. Also ist der Anspruch fällig.“ (Drittes kleines Teilgutachten)

 Ergebnis
„Also kann Max von Moritz die Herausgabe des Pferdes „Hatatitla“ gem. § 604 Abs. 1 BGB verlangen.“ (Vierter Schritt des Gesamtgutachtens)

Ich bereite Ihnen den Subsumtionsschritt noch einmal grafisch auf:

Nun muss man wissen, dass das BGB manchmal mehrere Anspruchsgrundlagen zur Verfügung stellt. Das hat damit zu tun, dass die BGB-Gesetze die Lebenssachverhalte vielfach unter verschiedenen Gesichtspunkten und daher möglicherweise mehrfach erfassen. So kann Max zum einen aus dem vertraglichen Recht der Schuldverhältnisse gegen Moritz vorgehen (§ 604 BGB), zum anderen könnte sein Anspruch aber auch seinem Eigentum aus dem Sachenrecht entstammen, so z.B. dem § 985 BGB. Anspruchsgrundlagen können also aus dem vertraglichen Schuldrecht (II. Buch) oder dem Sachenrecht (III. Buch) herrühren. Sachenrechtliche Ansprüche resultieren aus der Beziehung einer Person zu einer Sache; vertragliche Ansprüche aus einer Beziehung von Person zu Person.

Soweit eine Rechtsnorm die andere nicht aufgrund bestimmter, für einen Einsteiger wie Sie, uninteressanter Spezialregeln verdrängt, sind die Anspruchsgrundlagen nebeneinander anwendbar. Ein Ausschluss der Anwendbarkeit ergibt sich im Gutachten keinesfalls alleine daraus, dass auf denselben Sachverhalt bereits eine andere Rechtsnorm angewendet worden ist oder noch angewendet wird, so dass folglich die gleichen Rechtsfolgen durch mehrere Anspruchsgrundlagen begründet werden können.

Eine solche Anspruchskonkurrenz lernen wir jetzt kennen. Als weitere Anspruchsgrundlage für das Verlangen des Max gegen Moritz kommt nun § 985 BGB in Betracht.

 Hypothese
„Max könnte von Moritz gem. § 985 BGB die Herausgabe des Pferdes „Hatatitla“

verlangen.“

 Untersuchungsprogramm
„Das setzt voraus, dass Max Eigentümer und Moritz Besitzer des Pferdes ist.“ (So der Wortlaut des § 985 BGB.)

 Subsumtion
„Eigentümer ist gem. § 903 BGB derjenige, der die rechtliche Gewalt über eine Sache innehat. Das ist Max. Besitzer ist derjenige gem. § 854 BGB, der die tatsächliche Gewalt über die Sache innehat. Das ist Moritz.“

 Ergebnis
„Also kann Max von Moritz gem. § 985 BGB die Herausgabe des Pferdes verlangen.“

Vergleichen wir die Rechtsfolgen miteinander, so stellen wir fest: § 604 BGB und § 985 BGB kommen zu demselben Ergebnis.

Exkurs: Begleiten Sie mich bitte nunmehr zu folgender kleinen Sachverhaltsabwandlung: Bereits nach drei Tagen leidet Max unter solchen Entzugserscheinungen, dass er von Moritz noch am selben Tag „Hatatitla“ zurückverlangt, um seinem Liebeskummer ein Ende zu setzen.

 Prüfen wir § 604 BGB als Anspruchsgrundlage gewissenhaft durch, so stellen wir fest, dass die Leihzeit noch nicht abgelaufen ist. Also kann Max von Moritz das Pferd nicht gem. § 604 BGB herausverlangen.

 Prüfen wir § 985 BGB als Anspruchsgrundlage gewissenhaft durch, so stellen wir fest, dass Max Eigentümer ist und Moritz Besitzer. Also könnte Max von Moritz das Pferd „Hatatitla“ herausverlangen.

Ein unmögliches Resultat! Es kann nach § 985 BGB nicht sein, was nach § 604 BGB nicht sein darf. Moritz würde uns zu Recht ein solches Ergebnis niemals verzeihen und an der Rechtsordnung schier verzweifeln. („Ich habe doch für eine Woche das Pferd geliehen! Dann kann man doch nicht nach § 985 BGB das bekommen, was man nach § 604 BGB nicht bekommen darf. Es ist mir doch egal, ob sachenrechtliche oder schuldrechtliche Anspruchsgrundlagen vorliegen. Hatatitla will und darf ich noch vier Tage reiten.“)

Das Recht muss dieser Moritz‘schen Verzweiflung steuern und tut es auch.

Lesen wir § 986 Abs. 1 S. 1 BGB und zerlegen wir diesen Satz in zwei Sätze. Der erste Satz lautet: „Der Besitzer kann die Herausgabe der Sache verweigern, wenn er dem Eigentümer gegenüber zum Besitz berechtigt ist.“ (Der zweite Satz ist uns noch zu kompliziert.) Ein solches Besitzrecht kann sich aus schuldrechtlichen Beziehungen zum Eigentümer ergeben, hier: aus einem wirksamen Leihvertrag. § 986 Abs. 1 S. 1 BGB bringt also die sachenrechtliche und schuldrechtliche Anspruchsgrundlage wieder ins Lot. Da nun Moritz aufgrund eines gültigen und nicht abgelaufenen Leihvertrages das Pferd behalten darf, hat er gegenüber dem Begehren des Max ein „Recht zum Besitz“ als Einrede aus seinem schuldrechtlichen Vertrag.

Was lernen wir daraus? § 985 BGB hat letztlich drei Tatbestandsvoraussetzungen:

1. Der Anspruchssteller muss Eigentümer sein;

2. der Anspruchsgegner muss Besitzer sein;

3. der Anspruchsgegner darf keine Einrede aus einem Recht zum Besitz i.S.v. § 986 Abs. 1 S. 1 BGB haben (negative Voraussetzung).

Das Gutachten zu § 985 BGB sieht folglich in der Sachverhaltsvariante wie folgt aus:

„Max könnte von Moritz gem. §§ 985, 986 BGB die Herausgabe des Pferdes „Hatatitla“ verlangen.

Das setzt zunächst voraus, dass Max Eigentümer ist (s.o.).

Weiterhin müsste Moritz Besitzer sein (s.o.).

Letztlich dürfte Moritz kein Recht zum Besitz i.S. von § 986 I S. 1 BGB haben.

Ein solches Recht könnte sich aus einem wirksamen Leihvertrag gem. § 598 BGB ergeben. Ein Leihvertrag kommt zustande durch wirksames Angebot und wirksame Annahme. Ein solcher Vertrag über das Pferd ist abgeschlossen worden. Da die Leihzeit noch nicht abgelaufen ist, besteht dieser Vertrag noch. Folglich hat Moritz gegen Max ein Recht zum Besitz gem. §§ 986 Abs. 1 S. 1, 598 BGB. Dieses hat er „eingeredet“.

Also kann Max von Moritz (zur Zeit!!!) das Pferd „Hatatitla“ nicht gem. §§ 985, 986 BGB herausverlangen.“

Frage: Warum muss man sich eigentlich dieser doppelten Mühe der Anspruchsgrundlagenprüfung unterziehen? Das liegt an der ZPO! Wenn man einen Anspruch einklagt (z.B. § 604 BGB), dann muss man als Kläger sämtliche Tatbestandsmerkmale darlegen (Darlegungslast) und diese im Streitfalle (Beklagter behauptet das Gegenteil) auch beweisen (Beweislast). Nun kann es aber sein, dass man den dinglichen Anspruch aus § 985 BGB leicht beweisen kann, weil ein Zeuge weiß, dass Sie Eigentümer sind und ein anderer Zeuge bestätigen kann, dass der Beklagte Besitzer ist. Sie haben aber beim vertraglichen Anspruch aus § 604 Abs. 1 BGB Schwierigkeiten, den Leihvertrag zu beweisen (Faustformel: Jeder muss grundsätzlich das beweisen, was ihm günstig ist). Mit §§ 985, 986 BGB läuft man besser! Da der Beklagte sich jetzt auf eine ihm günstige Tatsache beruft, nämlich ein Recht zum Besitz aufgrund des Leihvertrages i.S. von § 986 BGB, ist er seinerseits beweispflichtig. Er kann aber den Vertragsabschluss genauso schlecht beweisen wie Sie. Deshalb wird der Richter Ihrer Klage allein aufgrund des § 985 BGB stattgeben.

Zu Fall 3:

Da das Gutachten als ein ursprünglich für Sie neues „Arbeits-System“ nunmehr hoffentlich schon als eine im höchsten Grade zusammenhängende, „methodisch-logische“ Gedankenreihe in Ihrem Langzeitgedächtnis gespeichert ist, wird ab jetzt die Beschleunigung, mit der ich die Schritte im Gutachten zurücklege, zunehmen.

„Sabine könnte von Susanne gem. § 488 Abs. 1 S. 2 BGB die Rückzahlung der 1.000 € verlangen.

Das setzt voraus, dass zwischen Sabine und Susanne ein Darlehensvertrag geschlossen worden ist, Susanne die 1.000 € empfangen hat und der Rückzahlungsanspruch fällig ist.“ (Suchen Sie diese Tatbestandsmerkmale, die X, in dem § 488 Abs. 1 BGB und Sie werden sie finden: „Darlehen“, d.h. Darlehensvertrag; „empfangen“, d.h. Besitzübergabe; „Fälligkeit“, das ist die Regelung in § 488 Abs. 3 BGB.)

„Ein Darlehensvertrag, der gem. § 151 1. Hs. BGB durch wirksames Angebot und wirksame Annahme zustande kommt, ist zwischen Sabine und Susanne über die Summe von 1.000 € geschlossen worden.“

(Exkurs: Vergleichen Sie bitte einmal § 598 BGB, § 488 BGB und § 607 BGB! Stellen Sie den Unterschied fest? Beim Leihvertrag wird eine Sache verliehen und dieselbe Sache muss zurückgegeben werden; beim Darlehensvertrag werden Geld, beim Sachdarlehen andere vertretbare Sachen (im Sinne von § 91 BGB, z.B. Eier!!) dargeliehen (darleihen, d.h. ursprünglich einmal, Geld „leihweise“ überlassen) und die gleichen Sachen müssen zurückgegeben werden, nicht dieselben, was bei ausgegebenem Geld oder gegessenen Eiern auch schwer möglich wäre. Wenn also Susanne keine Eier mehr im Hause hat, Chris abends gerne aber zwölf Spiegeleier essen möchte, wenn er hungrig von der Arbeit kommt, so ist die „Leihe“ bei der Nachbarin Emma Schmitz eben gerade keine „Leihe“, sondern ein „Eierdarlehen“. Susanne muss dann zwölf Eier der gleichen Güteklasse „Henne Berta“ an Emma Schmitz zurückgeben, nicht etwa dieselben Eier. Exkurs Ende.)

„Die Darlehnssumme ist übergeben, d.h. valutiert worden, also hat Susanne sie empfangen.

Die Fälligkeit müsste für den Rückzahlungsanspruch eingetreten sein. Die Fälligkeit bestimmt sich nach § 488 Abs. 3 BGB. Da keine Rückzahlungsfrist vereinbart worden ist, hängt die Fälligkeit von einer wirksamen Kündigung ab. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate. Die Kündigung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Gemäß §§ 133, 157 BGB (wichtige Auslegungsregelung für Willenserklärungen) kann nach der allgemeinen Verkehrsauffassung das Rückzahlungsbegehren der Sabine als Kündigung verstanden werden. Da seit dem Wirksamwerden der Kündigung durch Vernehmen (§ 130 Abs. 1 BGB) noch keine drei Monate verstrichen sind, ist der Rückzahlungsanspruch (z.Zt.) nicht fällig.

Also kann Sabine von Susanne die Rückzahlung des Darlehens i.H.v. 1.000 € gem. § 488 Abs. 1 S. 2 BGB nicht verlangen.“ (Erst in drei Monaten!)

Zu Fall 4:

a) „Hugo könnte von Peter gem. § 546 Abs. 1 BGB die Rückgabe des Pferdes „Hatatitla“ verlangen.

Das setzt voraus, dass zwischen Hugo und Peter („der Mieter“) ein Mietvertrag über „Hatatitla“ zustande gekommen ist, Peter den Besitz an dem Pferd erlangt hat („zurückzugeben“) und das Mietverhältnis „beendet“ ist (das Suchfeld des § 546 BGB ist abgegrast).

Fraglich kann nur sein, ob das Mietverhältnis beendet ist. Ursprünglich war der Mietvertrag (entgeltliche Gebrauchsüberlassung im Gegensatz zur unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung der Leihe – vgl. § 598 BGB mit § 535 BGB) auf ein Jahr befristet. Diese Frist ist nicht abgelaufen. Hugo könnte jedoch das Mietverhältnis fristlos gekündigt haben gem. § 543 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 2, Abs. 3 BGB („fristlos“ heißt ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist). Eine solche fristlose Kündigung setzt voraus, dass ein vertragswidriger Gebrauch von „Hatatitla“ vorliegt, Hugo den Peter abgemahnt hat, der vertragswidrige Gebrauch dennoch fortgesetzt wird, dieser Gebrauch die Rechte des Hugo in erheblichem Maße verletzt, insbesondere „Hatatitla“ durch eine Vernachlässigung erheblich gefährdet ist und eine wirksame (d.h. eine gem. § 130 Abs. 1 BGB) zugegangene Kündigungserklärung des Hugo vorliegt.“ Sie sehen: Gutachten (§ 543 BGB) im Gutachten (§ 546 BGB), also eine Schachtelprüfung. Nehmen Sie das Gesetz, klauben Sie alle Bausteine aus § 543 BGB heraus und subsumieren Sie bitte!

„Mithin liegt eine wirksame fristlose Kündigung gem. § 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BGB vor. Also ist das Mietverhältnis beendet.

Also kann Hugo von Peter gem. § 546 Abs. 1 BGB die Herausgabe des „Hatatitla“ verlangen.“

b) „Hugo könnte von Peter gem. §§ 985, 986 BGB die Herausgabe von „Hatatitla“ verlangen.

Das setzt voraus, …“

Üben Sie bitte das Gelernte im Gutachtenstil einschließlich § 986 BGB!

Zu Fall 5:

Haben Sie unsere „sieben Blicke“ noch im Blick?

„Jupp Schmitz könnte von seinem Vater gem. § 1601 BGB die monatliche Zahlung von 600 € Unterhalt verlangen. Das setzt zunächst voraus, dass Jupp und sein Vater in gerader Linie miteinander verwandt sind. Verwandtschaft in gerader Linie bestimmt sich nach § 1589 S. 1 BGB. Da Jupp von seinem Vater abstammt, ist er mit ihm in gerader Linie verwandt.“ (So lernt man nebenbei auch noch die liebe Verwandtschaft kennen, wenn man in § 1589 BGB schaut!)

Ganz so einfach kommt man allerdings nicht zu einem arbeitsfreien und sorglosen Leben; das Gesetz stellt noch weitere Voraussetzungen auf.

Weiterhin müsste Jupp gem. § 1602 Abs. 1 BGB „bedürftig“ („außerstande, sich selbst zu unterhalten“) und sein Vater gem. § 1603 Abs. 1 „leistungsfähig“ („imstande, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren“)“ sein. Insoweit ist der Sachverhalt zu „bedürftig“ und für den Output nicht „leistungsfähig“. Aber schnuppern Sie doch so nebenbei einmal ein bisschen im „Palandt“ zu §§ 1601, 1602, 1603 BGB herum (vielleicht auch noch in § 1606 und § 1610 BGB?). Liest man da nicht Interessantes für das tägliche Leben?

Zu Fall 6:

Dazu müssen Sie § 823 Abs. 1 BGB selbstständig wiederholen („Helena“). Tun Sie es bitte! Holen Sie wieder hervor, was im Langzeitgedächtnis konserviert ist!

Beitrag: 26 Die erste Berührung mit dem BGB

Nun der große Sprung ins BGB. BGB ist die Abkürzung für Bürgerliches Gesetzbuch. Es ist der Inbegriff der Gesetze, die sich mit dem Recht der Bürger (lat.: civis) zueinander, miteinander und untereinander beschäftigen, um ein ständiges Durch- und Gegeneinander auf dem Gebiet des Privatrechts zu vermeiden. Bürgerliches Recht, Zivilrecht, Privatrecht: Das alles bedeutet dasselbe. Es ist ein Garant im Bemühen um ein friedliches Zusammenleben, gibt Sicherheit für Bürger und Unternehmen und ist so ein Standortvorteil für die Wirtschaft.

Der erste Blick in das BGB wirft die Frage auf: Kann man das alles in einem einzigen Menschenleben begreifen? Man kann! Und Tausende haben es schon mit Bravour begriffen. Es ist die Welt der Verträge und ihrer Leistungsstörungen durch Nicht-, Zuspät- oder Schlechterfüllung, des Eigentums an beweglichen und unbeweglichen Sachen (Grundstücke) und ihren möglichen Belastungen, des Rechts auf Schadenersatz bei der Verletzung von Verträgen, des Eigentums oder des Körpers, die Welt der Familie, der Kinder und der Ehe, der Betreuung und Vormundschaft sowie der Rechte nach dem Tod einer Person, des Erbrechts.

Es gilt als eines der besten Gesetze der Welt, seine Regelungstechnik ist eine Zauberwelt der Logik, Systematik, Dogmatik und Methodik. Deshalb haben es viele Länder der Welt übernommen. Es diente z.B. als Vorbild für die Schweiz, die Türkei, Griechenland, Japan, China und Brasilien. Leider wird es nicht für den Rechtsraum Europa Modell sein können – dafür ist es mit seiner umständlichen Verweisungstechnik zu kompliziert und zu abstrakt.
Bevor wir diese Zauberwelt des majestätischen BGB zu entzaubern beginnen, mussten wir das BGB als erstes in sein Umfeld – die Rechtsordnung – einbetten.

Bürgerliches Recht ist also der Teil der Rechtsordnung, der zum gedeihlichen Zueinander und Miteinander der Bürger untereinander notwendig ist, um ein dauerndes Gegeneinander auf den Gebieten des Schuld-, Sachen-, Familien-, Erb-, Arbeits- und Handelsrechts zu verhindern.

Das Leitbild des BGB, und das ist für Auslegungsfragen ganz wichtig, ist der vernünftige, aufgeklärte, selbstverantwortliche, mündige und urteilsfähige Bürger, der seine Lebensverhältnisse in freier Selbstbestimmung ordnet und seine Interessen nachdrücklich und geschickt selbst wahrnimmt.
● Für Bürger, die das nicht können, mussten Sonderrechte geschaffen werden, so geschehen in den Paragraphen über Minderjährige, Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft.
● Für Bürger, die auf speziellen Rechtsfeldern tätig werden, mussten ebenfalls Sonderrechte geschaffen werden, so geschehen in dem Recht für Kaufleute – HGB und im Recht für Unternehmen – AktG, GmbHG.
● Für Bürger, die vor „Haien“ geschützt werden müssen, gibt es Spezialgesetze in Form von Verbraucherschutzgesetzen. Auch hier weicht der Gesetzgeber von seinem Leitbild zu Gunsten der Schwächeren etwas ab.
● Für Bürger, die einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind, gibt es heute gleichermaßen eine etwas schwer zugängliche Spezial-Materie, nämlich das Arbeitsrecht.

Betrachtet man das Privatrecht aus der Perspektive des Bürgers, dann könnte man es verknappt in etwa wie folgt optisch abbilden:

Die Geschichte des BGB ist schnell erzählt. Die Deutschen sind nicht als nationale Einheit in die Geschichte eingetreten, ihr Recht war daher von Anfang an kein einheitliches Recht. Die verschiedenen deutschen Stämme hatten verschiedenes Recht, nur Grundzüge waren gemeinsam. Diese Rechtszersplitterung der alten Germanen, die sich in den deutschen Staaten Preußen, Sachsen, Bayern, Württemberg, Baden, Mecklenburg usw. fortsetzte, ließ den Ruf nach der Schaffung eines einheitlichen Gesetzeswerkes im Bereich des Privatrechts immer lauter werden. Erst nach Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 war es nach Jahrhunderten vieler Vor- und Irrläufer aus dem französischen, römischen und germanischen Rechtsgut erst möglich, ein einheitliches für ganz Deutschland geltendes Privatrecht zu schaffen.
Das BGB ist uralt und hat am 1. Januar 2010 seinen hundertzehnten Geburtstag seit seinem In-Kraft-Treten gefeiert. Es war von seinen Verfassern als eine gewaltige systematische Erfassung aller Normen auf diesem nahezu unendlich weiten Feld gedacht. So etwas nennt man eine Kodifikation (lat.: codex, d.h. Baumstamm), also gewissermaßen ein Stamm mit all seinen Ästen und Verzweigungen. Dieser Plan der Väter des BGB – Mütter gab es damals noch nicht in der Juristerei, leider! – konnte allerdings nicht eingehalten werden; in den nachfolgenden Jahren seit seinem In-Kraft-Treten am 1. Januar 1900 (s. Art. 1 EGBGB) sind zahlreiche Einzelmaterien als Ableger dieses Urbaums aus dem BGB herausgenommen worden oder außerhalb des BGB völlig neu angelegt worden (z.B. Beurkundungsgesetz; Lebenspartnerschaftsgesetz; Straßenverkehrsgesetz; das Wohnungseigentumsgesetz; das Verschollenheitsgesetz). Auch innerhalb des BGB hat es gewaltige Veränderungen gegeben, so im allgemeinen Schuldrecht, im Miet- und Kaufrecht, besonders aber im Familienrecht und im Arbeitsrecht. Das verwundert auch nicht, wenn man bedenkt, dass in diese Zeit zwei Weltkriege fielen und insgesamt vier politische grundlegende Umwälzungen: 1918, 1933, 1945, 1989. An die Stelle des obrigkeitsstaatlichen Kaiserreichs ist die demokratische und sozialstaatliche Bundesrepublik getreten, die bürgerliche Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat sich zunächst zur industriellen Massengesellschaft weiterentwickelt, dann allmählich zur Dienstleistungsgesellschaft. An die Stelle der patriarchalisch gestalteten Familie trat die auf Gleichberechtigung und Partnerschaft aufbauende Verbindung von Eheleuten und Partnern und ihren Kindern. Der im Ursprungs-BGB versäumte Schutz des wirtschaftlich Schwächeren (Käufer, Arbeitnehmer, Mieter, Verbraucher) wurde durch Käuferschutz-, Mieterschutz-, Verbraucherschutz- und Arbeitnehmerschutzgesetze nachgeholt, das liberalistische, das heißt, das dem Einzelnen größtmögliche Freiheit einräumende Vertragsrecht wurde zu einem sozialstaatlichen Vertragsrecht umgebaut.

Inhaltlich hat sich das bürgerliche Recht seit dem In-Kraft-Treten des BGB unter den mehr als 160 Änderungen und Ergänzungen (sog. Novellierungen) erheblich verändert, seine Stellung als Gesamtkodifikation des bürgerlichen Rechts aber gerade auch in jüngster Zeit durch Integration vieler Nebengesetze und des Ehegesetzes immer behauptet.
Die erste Konfrontation mit dem BGB ist deshalb für Sie so hart, weil das BGB mit seiner abstrahierend-generalisierenden Gesetzessprache, seiner umständlichen Verweisungstechnik, seinem Abstraktionsprinzip, seiner begrifflichen Gliederung des Gesetzesstoffes und seinen gedanklichen Trennungen zwischen allgemeinen und besonderen Teilen dem Anfänger häufig die frustrierende Erkenntnis vermittelt, in dem Paragraphendschungel ständig die Orientierung zu verlieren. Hinzu kommt die pädagogisch-didaktisch leidvolle Erfahrung, dass der allgemeine Teil des BGB nicht ohne die ihm nachfolgenden besonderen Teile und diese wiederum nicht ohne ihn gedacht und erfahren werden können. Der Eindruck entsteht, dass für die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes (Fall) Paragraphenketten geknüpft werden müssen, deren Glieder scheinbar kunterbunt über das BGB verstreut zu sein scheinen.

Deshalb ist es unverzichtbar, sich vor der Hinwendung zu den Einzelheiten zunächst einen groben Überblick über das BGB zu verschaffen, um seine systematischen Strukturen, seine Gesetz gewordenen Denkinhalte, wichtige Zusammenhänge und vor allem seine Rechtsinstitute zu erkennen.

Den besten Zugang zur Gliederung des BGB verschafft man sich, indem man zunächst einmal in der Fundgrube des Inhaltsverzeichnisses stöbert.
Sie sehen, dass das BGB äußerlich in fünf große Hauptgebiete gegliedert ist, die vom Gesetzgeber– wie die Abschnitte in der Bibel – „Bücher“ genannt werden.
Die äußere Gliederung war das Ergebnis folgender inhaltlicher Überlegung: Welche Gebiete im zwischenmenschlichen Zusammenleben muss ich als Gesetzgeber unbedingt regelnd ordnen, damit dieses gewünschte gedeihliche, menschliche Miteinander und Zueinander zur Vermeidung eines ständigen Durcheinanders und Gegeneinanders möglich wird und welche nicht? Der BGB-Gesetzgeber machte sich also auf die Suche nach den für die Bürger notwendigen inhaltlichen Regelungsgegenständen für das Privatrecht und stieß bei seinen Überlegungen auf folgende Gebiete, die er in fünf Bücher einstellte:
1. Buch: Der Allgemeine Teil
2. Buch: Das Schuldrecht
3. Buch: Das Sachenrecht
4. Buch: Das Familienrecht
5. Buch: Das Erbrecht
BGB in 5 Büchern

Nachbarliche Rechtsbeziehungen zum BGB

Was es sonst noch an mit dem BGB in Zusammenhang stehendem Recht gibt? – Eine ganze Menge für den Anfang! Verschaffen wir uns einen Überblick.

● Gerichtsverfassungsrecht (GVG): Es betrifft den Aufbau und die Organisation der Gerichte. Also: Welche Gerichte gibt es? – Welche Instanzen gibt es? – Wann sind sie zuständig? – Mit wie vielen Richtern sind sie besetzt? – Öffentlichkeit, ja oder nein?

● Prozessrechte: Sie befassen sich mit dem Ablauf der Verfahren. Ob man einen Anspruch hat, regelt das BGB. Wie er vor Gericht festgestellt und gegebenenfalls durchgesetzt wird, regelt die ZPO. Ob und wie man sich strafbar machen kann, regelt das StGB. Wie die Strafbarkeit und die Straffolge festgestellt und diese gegebenenfalls durchgesetzt wird, regelt die StPO. Die materiellen Gesetze und ihre jeweiligen Prozessordnungen bedingen sich gegenseitig.

● Handelsrecht: Es ist das Recht der Kaufleute und schafft im Interesse der Beschleunigung Sondervorschriften gegenüber dem BGB für die erfahrenen Teilnehmer am Rechtsverkehr.

● Gesellschaftsrecht: Es regelt im Wesentlichen das Zustandekommen, die Haftung und die Vertretung von organisatorischen Zusammenschlüssen von Menschen, die als „Gesellschaft“ am Rechtsleben teilnehmen wollen, unabhängig von den dahinter stehenden Menschen. Die „Gesellschaft“ tritt als sog. „Juristische Person“ ins Rechtsleben ein, kann klagen, Eigentum erwerben, verklagt werden und Verträge abschließen, unabhängig von den Menschen, den „Natürlichen Personen“, die hinter der Gesellschaft verschwinden.
Im HGB sind zwei dieser Gesellschaften genannt: die offene Handelsgesellschaft (OHG) und die Kommanditgesellschaft (KG).
Das BGB regelt zwei Gesellschaften: die BGB-Gesellschaft und den Verein.
In Sondergesetzen stehen drei Gesellschaften: die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) im GmbH-Gesetz, die Aktiengesellschaft (AG) im Aktiengesetz, die Genossenschaft (Gen) im Genossenschaftsgesetz.

● Arbeitsrecht, Sozialrecht, Steuerrecht: – drei Gebiete, über die juristische Spezialisten befinden, für den „normalen“ Juristen weiße Flecken, von denen er nur wenig Ahnung hat.

● Europarecht: Immer größere Bedeutung für den Bürger erhält aber das EU-Recht, das Recht der Europäischen Union, das man herkömmlich in primäres und sekundäres Gemeinschaftsrecht scheidet.
● Zum primären Gemeinschaftsrecht gehört der Gründungsvertrag der EU mit seinen Änderungs- und Ergänzungsverträgen.
● Zum sekundären Gemeinschaftsrecht zählen die Verordnungen, die in allen Mitgliedsstaaten unmittelbar und allgemeinverbindlich gelten, sowie die Richtlinien, die die Mitgliedsstaaten lediglich verpflichten, ihr nationales Recht dem Inhalt der Richtlinien anzupassen.
Das Gemeinschaftsrecht wird in allen Amtssprachen verkündet, und bei der Auslegung sind die Fassungen aller (!) Amtssprachen gleichermaßen zu berücksichtigen. Da kann es schon mal zu babylonischen Sprachverwirrungen kommen. Europarecht genießt grundsätzlich Anwendungsvorrang gegenüber allem nationalen Recht. Bei Kollisionen muss daher das nationale Recht im Einzelfall punktuell zurücktreten. Das kann im Grundsatz selbst für nationales Verfassungsrecht gel-ten. Der Weg zu einem gemeinsamen europäischen Rechtsraum wird allerdings noch steil und steinig sein. Die Begriffe „Europäisches Privatrecht“ oder „Europäisches Strafrecht“ sind Programm und Perspektive, aber kaum gefestigte Wirklichkeit.
Vielleicht schafft es ja Ihre Generation, das Recht in einem europäischen Erkenntnis- und Anwendungszusammenhang zu sehen und es gegen ein immer mehr veralterndes, nur für ein bestimmtes nationales Territorium einsetzbares Regelsystem einzutauschen. Vielleicht! Ein gemeinsamer Rechtsraum Europa? Das wär’s! Ein neuvereintes Rechts-Europa, das die nunmehr zweihundert Jahre dauernde Balkanisierung des Rechts, also die nationalstaatliche Gesetzgebung, endlich ablöste!
● Richterrecht: Ein Problem ist die spannende Frage, ob es ein von Richtern geschaffenes „Richter-Recht“ gibt. Rechtsnormen umfassen nur ganz abstrakt gemeinverbindliche Regelungen zwischen allen (inter omnes). Gerichtliche Urteile und Beschlüsse ordnen dagegen Rechtsfolgen in ihrem Entscheidungsausspruch (Tenor) ganz konkret an. Dieses Urteil oder dieser Beschluss gilt nur für den Einzelfall und ist nur für die Parteien verbindlich (inter partes). Der Richter erzeugt deshalb kein Recht, sondern wendet Recht nur an (anders § 31 Abs. 2 BVerfGG und § 47 Abs. 6 VwGO für das Bundesverfassungsgericht bzw. für die Oberverwaltungsgerichte). Das Problem des Richterrechts betrifft nun die Fälle der sog. Rechtsfortbildung, in denen Richter ihre Entscheidungen nicht allein mit einem klaren Gesetzeswortlaut begründen können, sondern darüber hinausgehende, auch wertende Überlegungen anzustellen haben. Die Ergebnisse der richterlichen Rechtsgewinnung von der Auslegung über die Analogie bis zur Gesetzeskorrektur im Wege der Rechtsfortbildung haben keinen Rechtsnormcharakter. Dafür spricht, dass selbst grundlegende Leitsätze der Gerichte nicht allgemein verbindlich sind, also nicht „inter omnes“ gelten. Andere Gerichte können anders entscheiden. Selbst das Gericht, das den Leitsatz aufgestellt hat, kann seine Rechtsprechung ändern. Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Von ihnen abzuweichen, verstößt grundsätzlich nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Ihr Geltungsanspruch über den Einzelfall hinaus beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichtes. Gemeint ist unter Richterrecht also immer die Rechtsfortbildung durch die Gerichte bei der Auslegung von Gesetzen. Im strafrechtlichen und im zivilrechtlichen Studium (besonders im Arbeitsrecht), aber insbesondere im Verfassungsrecht, wird man mit solchermaßen entwickelten Rechtsfiguren konfrontiert werden, welche die vom einfachen Gesetzgeber und Verfassungsgesetzgeber übersehenen und manchmal bewusst offengelassenen entscheidungsrelevanten Fragen in so manchen Fällen ausfüllen.

● Internationales Recht: Neben dem Europarecht gelangt im Zuge der Globalisierung das Internationale Recht (nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Privatrecht) zu immer stärkerer Bedeutung. Es ist das Recht der internationalen Abkommen und Verträge, das Menschen- und Völkerrecht, das Recht der Bedürfnisse der Diplomaten, das Recht der internationalen Organisationen, an erster Stelle der Vereinten Nationen (UN) – keinesfalls ein Tummelplatz der Politik, sondern Anwendungsgebiete echter Rechtsqualität.

● Internationales Privatrecht: Wenn der allen Lehrbüchern bekannte englische Grandfather Sir Henry Melcome in Palma de Mallorca schuldlos in das Auto des Schweizer Autofahrers Wilhelm Tell läuft, der in Köln auf der Neusser Landstraße 111 wohnt und gegen den Sir Henry in Köln klagt, so entscheidet das Kölner Landgericht, ob Sir Henry nach englischem, spanischem, schweizerischem Recht oder dem deutschen BGB die eingeklagten 10.000 € Schadenersatz bekommt. Das Landgericht entscheidet die Frage nach bestimmten Paragraphen des EGBGB (Einführungsgesetz zum BGB). Für uns jetzt noch ein anderer Stern.

● Gewohnheitsrecht: Es liegt vor, wenn erstens die Überzeugung der Rechtsgenossen besteht, dass eine Übung rechtens ist und zweitens, wenn eine lang andauernde und allgemeine Übung festgestellt werden kann. In der Gesetzestrias teilt es den Rang des Gesetzesrechts, welches es ergänzt. Früher, vor Gutenberg, war alles Gewohnheitsrecht aufgrund mündlich überlieferter Tradition; heute hat es kaum mehr Bedeutung. An die Stelle des Gewohnheitsrechts ist heute weitgehend das sog. Richterrecht getreten. Die Frage ist deshalb, ob Gewohnheitsrecht überhaupt noch ohne Zustimmung der Rechtsprechung entstehen kann.

Beitrag: 27 Ein Überblick über den so wichtigen allgemeinen Teil des BGB

Als erstes schuf der Gesetzgeber das „Buch der Bücher“ – den allgemeinen Teil. Einem Ausklammerungssystem folgend enthält das erste Buch Vorschriften, die für sämtliche Rechtsverhältnisse des bürgerlichen Rechts, gleich welchen Inhalts, maßgeblich sind.
Der allgemeine Teil zeigt seine alles überragende Bedeutung auch noch darin, dass er für die zwei privatrechtlichen Sonderrechtsbeziehungen ebenfalls gilt, die im Wesentlichen außerhalb des BGB geregelt sind, nämlich:
„Quasi – 6. Buch“: Handelsrecht mit den Sonderregelungen für Kaufleute und Unternehmer und
„Quasi – 7. Buch“: Arbeitsrecht mit den Sonderregelungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Es befasst sich nicht wie seine ihm folgenden Gebiete –Schuld-, Sachen-, Familien-, Erb-, Arbeits- und Handelsrecht – mit der konkreten inhaltlichen Regelung der einzelnen Lebensverhältnisse zwischen Gläubiger und Schuldner, des Bürgers zu seinen beweglichen und unbeweglichen „Sachen“, in Ehe, Familie oder nach dem Tod einer Person, sondern enthält die gemeinsamen Grundlagen für alle diese Lebens-(Rechts-) Verhältnisse, das Basis-Wissen. Es gilt damit für alle folgenden vier bzw. sechs Bücher. Der AT ist der vor die Klammer gezogene Faktor für alle gemeinsamen Zankäpfel und gilt damit für den gesamten Klammerinhalt: Allgem. Teil x (SchuldR –
SachenR – FamR – ErbR – HGB – ArbR).
Wie in der Mathematik!

Erstes Buch (zweites Buch + drittes Buch + viertes Buch + fünftes Buch
+ sechstes Buch + siebtes Buch)!

Es ist von überragender Wichtigkeit. Ohne den allgemeinen Teil des BGB läuft nichts im Privatrecht! Wissenslücken wirken sich im gesamten Studium geradezu verheerend aus und sind irreparabel.

Versuchen wir uns dem allgemeinen Teil anhand eines kleinen Modellfalles zu nähern.
Ausgangssituation: Max geht auf den Automarkt, „kauft“ von Moritz einen gebrauchten PKW der Marke Mondeo für 6.000 € und fährt lustig nach Hause.

Ein sich tausendmal alltäglich wiederholender harmloser „Autokauf“ offenbart eine Vielfalt von juristischen Fragen und entfaltet auch schon bei einer ganz, ganz groben juristischen Beurteilung eine gleichermaßen wunderbare Welt, wie der Blick mit dem Mikroskop in einen Wassertropfen. Dieser harmlose Wassertropfen zeigt mannigfaltige Dimensionen biologischen Lebens, der harmlose Autokauf solche an juristischem Leben.

Die Fragen sollen hier nur Interesse weckend an- und aufreißen, was alsbald in den folgenden Kapiteln in Breite und Tiefe beantwortet werden wird.

1. Frage: Können Max und Moritz überhaupt Bezugssubjekte der Rechte und Pflichten aus einem Kaufvertrag sein (§ 433)?
Antwort findet man im ersten Abschnitt des allgemeinen Teils. Das BGB unterscheidet als Rechtssubjekte natürliche und juristische Personen, die jeweils Träger – also Subjekte – von Rechten und Pflichten sein können. Das für den Personenbegriff entscheidende Merkmal ist das der Rechtsfähigkeit, welche man als die Fähigkeit begreift, Träger von Rechten und Pflichten sein zu können.
Das BGB beginnt seinen komplizierten Lauf also mit der Antwort auf die Frage nach seinen Adressaten! Jeder Mensch ist seit seiner Geburt rechtsfähig (§ 1 BGB), eine juristische Person wird es mit ihrer Eintragung in ein Vereins- oder Handelsregister.

Da Max und Moritz Menschen sind, sind sie rechtsfähig – können folglich Subjekte, d.h. Träger von Rechten, aber auch von Pflichten aus einem Kaufvertrag sein (§ 433 Abs. 1 und 2), also Moritz als Verkäufer und Max als Käufer rechtlich handeln.

2. Frage: Können Autos überhaupt Rechtsobjekte, d.h. Rechtsgegenstände sein?
Rechtsobjekte sind zunächst die körperlichen Sachen (§ 90). Eine wichtige Unterscheidung macht das BGB zwischen den beweglichen Sachen und den unbeweglichen Sachen (Grundstücke). Dies beruht darauf, dass der Rechtsverkehr mit Grundstücken durch Einschaltung eines besonderen Registerverfahrens, der sog. Grundbuchordnung, eigenen Regeln unterworfen ist. Während die Übereignung beweglicher Sachen durch Einigung und Übergabe ruck-zuck vollzogen wird (§ 929 S. 1), verlangt das Gesetz zur Übereignung unbeweglicher Sachen die Einigung und eine schwerfällige Eintragung in das Grundbuch (§ 873 Abs. 1).
Rechtsobjekte können im Übrigen auch Rechte sein (Urheberrechte, Patente, Forderungen). Rechtsobjekte können schließlich auch Tiere sein (§ 90a), die als beseelte Wesen zwar keine Sachen sind, auf die aber die Vorschriften über Sachen entsprechend anzuwenden sind.

Da das Auto (Ford Mondeo) ein transportabler körperlicher Gegenstand, also eine bewegliche Sache ist, kann es Gegenstand eines Kaufvertrages und einer Übereignung sein. Der Kaufvertrag bezieht sich automatisch auf das Auto und seine wesentlichen Bestandteile (Motor) sowie im Zweifel auch auf das Zubehör (Reserverad) (§ 311c). Die Übereignung vollzieht sich automatisch am Auto und seinen wesentlichen Bestandteilen nach § 929 S. 1, wohingegen die Zubehörstücke gesondert übereignet werden müssen (anders allerdings bei Grundstücken gem. § 926).

3. Frage: Können Max und Moritz, wenn sie denn als Rechtssubjekte Träger von Rechten und Pflichten durch ihre Geburt sein können, auch rechtlich bedeutsame Handlungen im Hinblick auf das Rechtsobjekt „Auto“ selbständig vornehmen? Also: Sind sie nicht nur rechtsfähig, sondern auch rechtshandlungsfähig?
Können Max und Moritz Vertragsangebot und Vertragsannahme zu einem Kaufvertrag wirksam abgeben und empfangen? Kann Max für Rechtshandlungen verantwortlich gemacht werden, wenn er z.B. auf der Nachhausefahrt gleich einen Unfall „baut“?
Das BGB unterscheidet bei einer stillschweigend zugrunde gelegten Handlungsfähigkeit zwischen Geschäftsfähigkeit und Deliktsfähigkeit.

Nimmt man die Verästelungen feiner vor, so gelangt man zu folgender Übersicht:


Erkennen Sie die Korrespondenz in den Rechtsfolgen zwischen beiden Spielarten der Handlungsfähigkeit schon? – Sicher!

Da Max und Moritz nun beide über 18 Jahre alt und folglich gem. §§ 2, 106, 828 Abs. 1 geschäfts- und deliktsfähig sind, können sie wirksam rechtlich handeln und haftbar gemacht werden.

4. Frage: Wie kommt denn überhaupt ein Kaufvertrag zwischen Max und Moritz zustande?
Zentraler Ausgangspunkt für diese Frage ist das Rechtsgeschäft mit seinen Willenserklärungen. Mit dem Rechtsgeschäft regelt der Rechtsgenosse sein gesamtes Rechtsleben.
Das BGB zieht diese Regeln über das Zustandekommen eines Vertrages vor die Klammer in den allgemeinen Teil und gruppiert sie um den Begriff des Rechtsgeschäfts. Damit gelten diese Regeln für jedes Rechtsgeschäft im Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht und Erbrecht; im Handelsrecht und Arbeitsrecht natürlich auch.

Ein Rechtsgeschäft ist schlicht ein Tatbestand aus einer oder mehreren Willenserklärungen, an den die Rechtsordnung einen bestimmten Rechtserfolg knüpft, weil er so gewollt ist (Grenzen ergeben sich später aus §§ 138 Abs. 1 und 2, 134).

Also: Zweck des Rechtsgeschäfts:
Ein Rechtserfolg soll herbeigeführt werden.

Das Mittel, das den Rechtserfolg herbeiführt ist die Willenserklärung – sie verwandelt den Willen des Rechtsgenossen in Recht.

Die juristische Zauberwelt wird wesentlich durch Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen gesteuert. Den Begriff der Willenserklärung finden Sie wieder im allgemeinen Teil in der Überschrift des zweiten Titels.
Wenn Max seinem Verkäufer Moritz gegenüber erklärt: „Ich will dieses Auto für 6.000 € kaufen“, dann heißt das juristisch übersetzt:

„Ich, Max, eine geschäftsfähige und rechtsfähige Person, erkläre meinen rechtsgeschäftlichen Willen, die Rechtsfolge eines Kaufvertrages bezüglich des bestimmten Kaufobjektes „Mondeo“ zu einem bestimmten Kaufpreis von 6.000 € der bestimmten geschäftsfähigen und rechtsfähigen Person Moritz gegenüber herbeiführen zu wollen.“

Also: Die Willenserklärung ist die Äußerung eines rechtsgeschäftlichen Willens, einen Rechtserfolg auszulösen.
Den Vertrag sehen wir uns natürlich später ganz genau an, weil er grundlegende Bedeutung für Ihr ganzes juristisches Leben haben wird. Er besteht aus zwei solchen Willenserklärungen, nämlich einem Angebot und einer Annahme. Der Vertrag ist das wichtigste Steuerungs- und Gestaltungsmittel des Zivilrechts. Der einzelne Rechtsgenosse kann seine Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung durch Verträge eigenverantwortlich gestalten – das nennt man Privatautonomie oder Vertragsfreiheit.

Der Zweck des Kaufvertrages zwischen Max und dem Verkäufer Moritz ist es also, einen Rechtserfolg herbeizuführen, nämlich ihm den Anspruch auf Übereignung aus § 433 Abs. 1 und Moritz den Anspruch auf den vereinbarten Kaufpreis zu verschaffen, § 433 Abs. 2. Dieser Rechtserfolg tritt ein, weil er von beiden so gewollt ist und weil die Rechtsordnung diesen gewünschten Rechtserfolg anerkennt. Die Handlungen, die diesen Rechtserfolg herbeiführen, sind die eben angesprochenen Willenserklärungen Angebot und Annahme.

5. Frage: Müssen Max und Moritz vielleicht ihren Kaufvertrag schriftlich abschließen oder genügen formfreie mündliche Erklärungen für ihr Rechtsgeschäft?
Willenserklärungen sind grundsätzlich formlos gültig. Ganz im Gegensatz zur weitverbreiteten Volksmeinung sind auch die meisten Verträge ganz ohne schriftliche Fixierung wirksam; ob ihr Inhalt beweisbar ist, steht auf einem anderen Blatt! Willenserklärungen können sogar durch schlüssiges Handeln (Gestik und Mimik) zum Ausdruck gebracht werden, soweit dieses Verhalten überhaupt noch auf einen bestimmten Erklärungsinhalt hindeutet. Von diesem Grundsatz der sog. Formfreiheit gibt es jedoch Ausnahmen: Für einzelne Rechtsgeschäfte schreibt das Gesetz die Einhaltung gewisser Formvorschriften zwingend vor (gesetzliche Schriftform). Darüber hinaus können die Parteien für jedes beliebige Rechtsgeschäft vereinbaren, dass die von ihnen abgegebenen Willenserklärungen nur in einer bestimmten Form gültig sein sollen (gewillkürte Schriftform).

6. Frage: Können Max und Moritz bei ihrem Autokauf andere Personen als „Stellvertreter“ für sich einschalten mit der Folge, dass deren rechtsgeschäftliches Handeln dann für und gegen die beiden gilt, so, als hätten sie den Kaufvertrag selbst vorgenommen?
Für eine derartige Einschaltung anderer Personen als Stellvertreter besteht ein erhebliches wirtschaftliches Bedürfnis. Denn: Wer sich das Handeln anderer selbst zurechnen kann, erweitert seinen eigenen Wirkungskreis und kann seine Aktivität im Rechtsverkehr vervielfachen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, bei denen ein Rechtsgeschäft nur höchstpersönlich vorgenommen werden kann (z.B. die Eheschließung gem. § 1311; die Errichtung letztwilliger Verfügungen gem. § 2064), erkennt die Rechtsordnung daher als konsequente Weiterentwicklung des Gedankens der Privatautonomie für jedermann das Recht an, sich bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts von anderen vertreten zu lassen. Das, was jeder heute als selbstverständliches Rechtsinstitut von einer Rechtsordnung erwartet, kannten unsere großen juristischen Ahnen, die Römer, noch nicht. Eine Stellvertretung durch freie Bürger war dem römischen Recht unbekannt als Folge der ethischen Würdigung der freien Person und ihres Willens. Der Wille eines Menschen konnte nicht Werkzeug eines anderen sein. Man spricht heute von gewillkürter Stellvertretung, die im Wesentlichen in dem § 164 ff. geregelt ist. Daneben gibt es auch die Figur der gesetzlichen Stellvertretung durch Vormünder und Eltern, §§ 1793, 1629, die ihren Grund in dem Schutzbedürfnis der nicht handlungsfähigen Personen hat.

7. Frage: Können Max und Moritz sich von ihren kaufvertraglichen Willenserklärungen „Angebot“ und „Annahme“ wieder lösen?
Grundsätzlich gilt im BGB: Verträge sind zu halten (lateinisch: pacta sunt servanda). Volkstümlich: „Wer die Musik bestellt hat, muss sie bezahlen.“ Vertrag kommt nämlich von „vertragen“! Ein Vertrag regelt also das „Vertragen“ nach den Gesetzen des BGB, und das grundsätzlich „für immer“.
Ein Rechtssystem, das vom Grundsatz der Privatautonomie ausgeht und Rechtsfolgen grundsätzlich deswegen zurechnet, weil sie von den durch Willenserklärungen rechtsgeschäftlich handelnden Rechtspersonen erklärt und bewusst und gewollt übernommen worden sind, kann sich aber mit dieser Lösung nicht begnügen. Es muss Gestaltungsformen entwickeln, die wenigstens im Nachhinein ausnahmsweise eine Korrektur dann zulassen, wenn rechtsgeschäftlicher Wille und objektive Erklärung einer Willenserklärung auseinanderfallen. Diese Aufgabe erfüllt die Lehre von den Willensmängeln, mit der sich die Regelungen der §§ 116 bis 124, 142, 143 befassen. Das BGB kennt und regelt drei Gruppen von diesen sog. Willensmängeln. Maßgebendes Unterscheidungskriterium ist, warum es zu einer Abweichung von Wille und Erklärung gekommen ist:

Bewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung
Hat der Erklärende bewusst etwas anderes gesagt, als er in Wirklichkeit will, so können ein Fall des geheimen Vorbehalts (§ 116), ein Scheingeschäft (§ 117) oder eine Scherzerklärung (§ 118) gegeben sein. Geht man von dem Grundsatz aus, dass im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs jeder, der rechtsgeschäftlich handelt, an dem objektiven, für den Empfänger verstehbaren Wortlaut seiner Willenserklärung festgehalten werden soll, so kann die Berücksichtigung von Willensmängeln von vornherein nur eine besondere Ausnahme sein, die berechtigte Interessen des Erklärenden schützt. Sagt jemand jedoch absichtlich etwas anderes, als er meint, so ist er prinzipiell nicht schutzwürdig. Er hat hier das Risiko eines Missverständnisses bewusst auf sich genommen und muss es auch tragen (so die §§ 116, 117, 118).

Unbewusstes Auseinanderfallen von Wille und Erklärung
Zur Kategorie der Fälle des unbewussten Auseinanderfallens von Wille und Erklärung zählen der in der Praxis in erster Linie bedeutsame rechtsgeschäftliche Irrtum (§ 119) und die falsche Übermittlung einer falschen Willenserklärung (§ 120). Der Irrtum ist der rechtlich am schwierigsten zu beurteilende Fall eines Willensmangels. Die Schwierigkeiten sind darauf zurückzuführen, dass bei der Abgabe von Willenserklärungen zahlreiche Möglichkeiten einer Selbsttäuschung bestehen. Sie reichen von Irrtümern im Beweggrund für die Vornahme des Rechtsgeschäfts bis zum Versprechen bei der Formulierung der Erklärung. Es liegt auf der Hand, dass nicht jede irrige Vorstellung und auch nicht jede fehlerhafte Motivation Auswirkungen auf die Gültigkeit einer Willenserklärung haben kann, da sonst eine erhebliche Unsicherheit zwischen den am Rechtsgeschäft Beteiligten über dessen Bestand entstünde. Das Gesetz kann deshalb aus Gründen der Sicherheit des Rechtsverkehrs eine „Anfechtung“ von Willenserklärungen wegen Irrtums nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulassen.

Arglistige Täuschung und Drohung
Eine dritte Gruppe von Willensmängeln ist auf unrechtmäßige Eingriffe anderer Personen in die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit zurückzuführen; dies sind die Fälle der arglistigen Täuschung und der Drohung (§ 123). Wenn der Partner eines Rechtsgeschäftes sich von seiner Willenserklärung schon wegen eines ihm selbst zuzurechnenden Irrtums wieder lossagen kann (§§ 119, 142, 143), muss dies erst recht gelten, wenn er vom anderen Teil durch arglistige Täuschung oder Drohung zur Abgabe der Willenserklärung veranlasst worden ist (§ 123).

Zusammenfassend: Der allgemeine Teil des BGB regelt die Fragen:

  • Wer kann rechtlich handeln und Bezugsobjekt sein? – Frage nach den Rechtssubjekten und der Handlungsfähigkeit
    Natürliche Personen
    Juristische Personen
    Geschäftsfähigkeit
  • Mit was kann man handeln? – Frage nach den Rechtsobjekten
    Bewegliche Sachen
    Unbewegliche Sachen
    Tiere
    Rechte
    Forderungen
  • Wie kann man handeln? – Frage nach den Rechtsgeschäften
    Einseitige Willenserklärung
    Mehrseitige Willenserklärungen; Grundtyp: Vertrag
    Stellvertretung
    Formen der Rechtsgeschäfte
    Anfechtung
    Bedingungen und Fristen
    (Daneben noch der „Untergang“ durch Verjährung)

Beitrag: 28 Ein Überblick über das oft ungeliebte Schuldrecht

Der Wirtschaftsverkehr, der Waren- und Güterverkehr, letztlich der gesamte rechtsgeschäftliche Verkehr musste irgendwie geregelt werden. Die Verpflichtung

  • zur Erbringung von Sachleistungen (Kauf, Tausch, Schenkung),
  • die zeitweilige Überlassung von Sachen (Miete, Pacht, Leihe, Darlehen),
  • die Erbringung von Dienst- und Werkleistungen (Dienstvertrag, Werkvertrag, Reisevertrag, Auftrag),
  • die Leistung von Sicherheiten (Bürgschaft, Schuldmitübernahme)
    mussten in geordnete Bahnen gelenkt werden. Die Rechtsbeziehungen zwischen zwei (manchmal auch mehr) Personen, aufgrund derer mindestens eine Person der anderen eine bestimmte Leistung schuldet und diese von jener diese Leistung auch verlangen kann, nannte er „Schuldverhältnisse“ (s. § 241 Abs. 1), denjenigen, der die Leistung schuldet „Schuldner“, denjenigen, der die Leistung fordern kann „Gläubiger“, und das dies alles ordnende Recht nannte er „Schuldrecht“. Aus dem Schuldverhältnis ergibt sich das Recht des Gläubigers auf die Leistung, die Forderung; ihr entspricht als Kehrseite die Leistungsverpflichtung des Schuldners, die Schuld. Durch das Schuldverhältnis werden grundsätzlich nur die an ihm Beteiligten berechtigt und verpflichtet (Relativität der Schuldverhältnisse). Der Teil des Privatrechts, der im 2. Buch des BGB die Schuldverhältnisse behandelt, ordnet einen ganz wichtigen Bereich des sozialen Lebens.

Die zwei Arten von Schuldverhältnissen:
Solche Rechtsbeziehungen zwischen dem Bürger „Gläubiger“ und dem Bürger „Schuldner“ können nun zum einen als wichtigstem Entstehungsgrund durch Vertrag begründet werden, indem sich die Bürger freiwillig zu einer bestimmten Leistung (Schuld) verpflichten, z.B. durch Abschluss eines Kaufvertrages (s. §§ 311, 433).
Zum anderen können sie aber auch durch das Gesetz selbst begründet werden, indem der Gesetzgeber „ex cathedra“ festlegt, dass beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, der sog. Tatbestandsmerkmale, der eine Teil dem anderen Teil kraft Gesetzes etwas schuldet.
Ergebnis dieser Überlegungen war es, ein Buch in das BGB einzustellen, welches dieses Recht der Schuldverhältnisse durchnormierte. Das Resultat war das Schuldrecht. Seine Aufgabe besteht also vornehmlich darin, den vertraglichen Rechtsverkehr zu regeln und ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen durch Rückabwicklungen sowie Schädigungen durch Schadenersatz auszugleichen. Es bereitet durch vertragliche Verpflichtungen den Umsatz von Waren und Gütern sowie die Erbringung von Arbeitsleistungen (im weitesten Sinn) auf anderer Ebene – der sog. Verfügungsebene – vor.

  • Vertragliche Schuldverhältnisse
    Bei den rechtsgeschäftlichen, also vertraglichen Schuldverhältnissen lassen sich grob fünf Schuldvertragstypen unterscheiden:
    Umsatzverträge, d.h. Verträge, bei denen eine Sache oder ein Recht aus dem Vermögen des Schuldners in das Vermögen des Gläubigers endgültig übertragen werden soll. Sie bereiten also den Umsatz an Waren verpflichtend vor, der sich dann auf abstrakter sachenrechtlicher Ebene durch Verfügungsgeschäfte (§§ 929, 873 Abs. 1, 398) vollzieht.
    – Kauf, §§ 433-479 mit Sondervorschriften für den Handelskauf im HGB
    – Tausch, § 480
    – Schenkung, §§ 516-534
  • Gebrauchsüberlassungsverträge, d.h. Verträge, bei denen dem Gläubiger vom Schuldner der Gebrauch oder die Nutzung von Sachen, Rechten oder Geld zeitweilig überlassen werden soll.
    – Miete, §§ 585-580 a
    – Pacht, §§ 581-597
    – Leihe, §§ 598-606
    Geld-Darlehen, §§ 480-507
    Sach-Darlehen, §§ 607-609
  • Tätigkeitsverträge, d.h. Verträge, bei denen der Schuldner dem Gläubiger seine Arbeitskraft (in der Regel gegen Entgelt) zur Verfügung stellen will.
    – Dienstvertrag (Arbeitsvertrag), §§ 611-630
    – Werkvertrag, §§ 631-651
    – Reisevertrag, §§ 651a-651m
    – Maklervertrag, §§ 652-656
    – Auftrag, §§ 662-674
    Verwahrung, §§ 688-700
  • Gesellschaftsverträge, d.h. Verträge, bei denen sich mehrere Personen zusammenschließen, und durch gemeinsames Handeln, ggf. auch durch Einsatz gemeinsamer Mittel, einen bestimmten gemeinsamen Zweck erreichen wollen.
    – So die BGB-Gesellschaft, §§ 705-740, die für alle Personenzusammenschlüsse die Grundform darstellt.
    – Auf ihr aufbauend die beiden Personenhandelsgesellschaften des HGB: OHG (offene Handelsgesellschaft) und KG (Kommanditgesellschaft).
    – Davon zu unterscheiden ist die Bruchteilsgemeinschaft, § 741 ff..
  • Verträge über die Sicherung und Bestärkung einer Schuld, d.h. Verträge, die an einen bereits vorhandenen Zahlungsanspruch anknüpfen und diesen sichern oder einen Streit über die Existenz des Anspruchs vermeiden wollen.
    – Bürgschaft, §§ 765-778
    – Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis, §§ 780-782
  • Gesetzliche Schuldverhältnisse
    Bei den gesetzlichen Schuldverhältnissen war Ausgangspunkt der gesetzgeberischen Überlegung, dass schuldrechtliche Beziehungen nicht allein durch Verträge, d.h. durch bewusstes und gewolltes Zusammenwirken begründet werden können, sondern es auch möglich ist, dass unabhängig irgendwelcher Willensentschließungen allein durch die Verwirklichung bestimmter gesetzlicher Tatbestandsmerkmale Ansprüche begründet werden.

Das Gesetz stellt drei solcher gesetzlichen Schuldverhältnisse im 2. Buch zur Verfügung (abgesehen von § 987 ff. im Sachenrecht und im Familienrecht die Unterhaltspflicht gem. § 1601 ff.).
 Unerlaubte Handlungen, §§ 823-853 BGB – Diese Bestimmungen stellen darauf ab, dass einer Person in rechtswidriger Weise meist vorsätzlich oder fahrlässig Schaden zugefügt worden ist und wollen einen Ausgleich dieses Schadens herbeiführen. Das System des „Deliktsrechts“ ist zunächst recht einfach zu durchschauen. Am Anfang nimmt das Gesetz eine Aufstellung einzelner, mehr oder weniger festumschriebener Tatbestände der unerlaubten Handlungen vor (§§ 823-825; 831-839). Daneben stellt es eine allgemeine Regel in § 826 BGB auf (Generalklausel). Die Verantwortlichkeit des Täters beruht bei § 826 darauf, dass er vorsätzlich, d.h. wissentlich und willentlich, einem anderen Schaden zugefügt hat und dabei gegen die guten Sitten (Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden) verstoßen hat. Der Nachteil dieser generellen Anspruchsgrundlage für den Geschädigten liegt auf der Hand; er muss den Vorsatz nachweisen.
Besser gestellt ist der Geschädigte daher durch die Anspruchsgrundlagen der einzelnen Deliktstatbestände, wie z.B. bei § 823 Abs. 1, bei denen bereits fahrlässiges Handeln (§ 276) zur Verantwortlichkeit des Täters führt.
Noch besser gestellt ist der Geschädigte in den Fällen, in denen der Gesetzgeber die Schadenersatzpflicht, ohne Rücksicht auf ein irgendwie geartetes Verschulden des Täters, allein aufgrund der Tatsache eintreten lässt, dass jemand die wirtschaftliche Verantwortung für mögliche Schadensfolgen eines gefährlichen Zustandes oder einer erlaubten aber gefährlichen Tätigkeit tragen muss, wie z.B. bei § 833, der Tierhalterhaftung, oder bei dem praktisch heute wichtigsten Fall der Gefährdungshaftung, der des Kraftfahrzeughalters gem. § 7 StVG (sog. Gefährdungshaftung, d.h. Haftung ohne Verschulden).

  • Ungerechtfertigte Bereicherung
    Hierbei geht es um die Erlangung eines Vermögensvorteils ohne Rechtsgrund. Die Vorschriften des § 812 ff. begründen ein gesetzliches Schuldverhältnis und haben gemeinsam den Grundgedanken, einen Anspruch auf Rückgängigmachung eines Rechtserwerbs zu gewährleisten, der z.B. aus Gründen des Abstraktionsprinzips oder zum Schutz eines gutgläubigen Erwerbes zwar gültig vollzogen ist, aber im Verhältnis zu dem Benachteiligten des rechtfertigenden Grundes entbehrt. Ziel der ungerechtfertigten Bereicherung ist es, dort einen gerechten und billigen Ausgleich durch Herausgabe des Erlangten bzw. Wertersatz zu schaffen, wo das Recht zunächst einen wirksamen Vermögenserwerb herbeiführt, obwohl dieser mit den Anforderungen materieller Gerechtigkeit nicht in Übereinstimmung steht.
    Die ungerechtfertigte Bereicherung des § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. setzt tatbestandlich voraus, dass der Anspruchsgegner ein „Etwas“ durch die „Leistung“ des Anspruchsstellers „ohne Rechtsgrund“ erlangt hat und ordnet als Rechtsfolge die Herausgabe des „Etwas“ an.

Beispiel: Bei dem Erwerb eines Fahrrades ist der Kaufvertrag zwischen V und K wegen Wuchers gem. § 138 Abs. 2 unwirksam. Kaufpreiszahlung und Übereignung des Fahrrades sind aber wirksam erfolgt.

Den erforderlichen Ausgleich schafft § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt.. Dieser Anspruch, der Leistungskondiktion genannt wird, dient dazu, rechtsgrundlose, also „ungerechtfertigte“ Zuwendungen, also Bereicherungen (TBM „etwas“ in § 812 Abs. 1 S. 1) rückgängig zu machen. Das ist sein einziger Zweck! Wer A – wie Abstraktionsprinzip – sagt, muss auch B – wie Bereicherungsrecht – sagen!
Der Tatbestand dieser Anspruchsgrundlage des § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. enthält drei Voraussetzungen:

  • Der Anspruchsgegner muss „etwas“ erlangt haben, er muss also bereichert sein. Eine Bereicherung liegt vor, wenn ein irgendwie gearteter Vermögensvorteil feststellbar ist. Im Beispielsfall ist der Käufer um das Eigentum und den Besitz an dem Fahrrad bereichert.
  • Die Bereicherung muss durch eine „Leistung des Anspruchsstellers“ eingetreten sein. Dabei wird unter Leistung jede bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zur Erfüllung einer bestehenden oder vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit verstanden. Im Fallbeispiel wollte der Verkäufer V das Vermögen seines Käufers K zum Zwecke der Erfüllung des Kaufvertrags durch Übereignung des Fahrrades und Besitzverschaffung vermehren.
  • Schließlich muss diese Vermögensmehrung „ohne rechtlichen Grund“ (lat.: sine causa) erfolgt sein. Rechtsgrund für die Vermögensverfügung könnte hier der Kaufvertrag über das Fahrrad gewesen sein (§ 433). Ist der Kaufvertrag jedoch unwirksam, so fehlt es an einer Causa für die Eigentumsübertragung.
    Für diesen Fall des kumulativen Zusammentreffens der drei Tatbestandsmerkmale bestimmt § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. als Rechtsfolge, dass das Erlangte, im Beispielsfall also das Eigentum und der Besitz am Fahrrad, wieder an den ursprünglichen Berechtigten herauszugeben ist. V hätte gegen K also einen Anspruch auf Rückübereignung des Fahrrades aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt., wenn der Kaufvertrag aus irgendeinem, vom Klausurersteller in dem Sachverhalt versteckten Grund unwirksam gewesen wäre. K ist dann „ungerechtfertigt“, d.h. ohne Rechtsgrund auf Verpflichtungsebene, „bereichert“ auf Verfügungsebene um Eigentum und Besitz. Die Rückabwicklung rechtsgrundloser Zuwendungen (das Gesetz nennt dies „ungerechtfertigte Bereicherung“), also wirksamer Verfügungsgeschäfte ohne wirksame Verpflichtungsgeschäfte, erfolgt über den Anspruch des § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt., der Leistungskondition genannt wird.
    Es handelt sich um ein gesetzliches Schuldverhältnis, das eine nicht gerechtfertigte (ungerechtfertigte) Vermögensverschiebung (Bereicherung) ausgleichen will (§§ 812-822). Die bereicherungsrechtlichen Rückgabeansprüche werden als Kondiktionen bezeichnet. Die Bereicherung kann durch folgende Umstände zustande gekommen sein:
  • Die Bereicherung beruht auf der Leistung eines anderen, d.h. eine bewusste und zweckgerichtete Handlung des Gläubigers des § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. hat zur Vermehrung des Vermögens des Schuldners geführt, ohne dass ein Rechtsgrund (causa), z.B. ein Vertrag, bestanden hat.
  • Die Bereicherung ist in „sonstiger Weise“ auf Kosten des Gläubigers erfolgt, § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. (Max schmuggelt sich ins Kino – Blinder Passagier), also ohne eine „Leistung“ i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt., aber ebenfalls ohne Rechtsgrund.
  • Die Bereicherung beruht darauf, dass ein gutgläubiger Erwerb einer z.B. von Max unterschlagenen Sache stattgefunden hat, die der Eigentümer im Interesse der Rechtssicherheit gem. §§ 929, 932 hinnehmen muss. Vom Erwerber kann somit die Sache nicht gem. § 985 BGB herausverlangt werden. Hier ist der Nichtberechtigte Max um den Verkaufspreis, den er vom gutgläubigen Erwerber erhalten hat, ungerechtfertigt bereichert: Er hat eine Sache, die ihm gar nicht gehört, veräußert und dafür die Gegenleistung erlangt. Diese ungerechtfertigte Bereicherung muss er an den Eigentümer gem. § 816 Abs. 1 S. 1 herausgeben. Hätte Max die fremde Sache nicht verkauft, sondern verschenkt (unentgeltliche Verfügung), so wäre der Erwerber selbst auf Kosten des Eigentümers ungerechtfertigt bereichert und müsste die Sache an den Eigentümer herausgeben. Max hätte ja nichts erlangt, § 816 Abs. 1 S. 2.
  • Die Bereicherung beruht darauf, dass jemand durch die Annahme einer Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstößt, wobei das abstrakte Erfüllungsgeschäft auf Grund des Trennungsprinzips als wertneutral eingestuft wird, also wirksam, das zugrundeliegende Kausalgeschäft aber wegen §§ 134, 138 unwirksam ist. Hier hat der Empfänger dem Leistenden das Erlangte herauszugeben, es sei denn, ihm fällt gleichfalls ein solcher Verstoß zur Last, § 817.

Rechtsfolge aller Bereicherungsansprüche ist die Verpflichtung zur Herausgabe des Erlangten einschließlich gezogener Nutzungen und desjenigen, was auf Grund des Rechts erworben wurde, § 818 Abs. 1. Ist die Herausgabe unmöglich, ist stattdessen der Wert zu ersetzen. Ist die Bereicherung weggefallen, der Schuldner also entreichert, entfällt sowohl der Herausgabeanspruch als auch der Wertersatzanspruch,
§ 818 Abs. 3.

 Geschäftsführung ohne Auftrag – Ein drittes gesetzliches Schuldverhältnis erfasst Lebenssituationen, in denen jemand im Interessenbereich eines anderen tätig wird, ohne hierzu aufgrund eines Vertrages oder einer gesetzlichen Regelung, etwa elterlicher Sorge oder Betreuung, verpflichtet und berechtigt zu sein. Grundsätzlich darf man sich nämlich in fremde Angelegenheiten nicht einmischen, ohne Schadenersatzansprüche zu riskieren (vgl. § 678). Man kann aber auch für einen anderen tätig werden, um ihm zu helfen, um sich im wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen um seine Interessen zu kümmern. Besorgt man also ein Geschäft für einen anderen in dessen Interesse, ohne von ihm beauftragt zu sein, so nennt man dieses dadurch begründete Schuldverhältnis „Geschäftsführung ohne Auftrag“ (vgl. § 677 ff.).

Nehmen Sie an, Max findet auf seiner Nachhausefahrt den durch einen Verkehrsunfall schwer verletzten Otto, der bewusstlos in seinem Pkw liegt. Max bringt ihn ins Krankenhaus, wodurch seine Polster im Wagen durch Blut verschmutzt werden. Gem. §§ 683, 670 BGB (die Geschäftsführung ohne Auftrag ist in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung sehr stark dem Auftragsrecht angenähert) könnte Max von Otto daher Ersatz der Reinigungskosten verlangen.

Zusammenfassend: Das Schuldrecht enthält Vorschriften über die persönlichen Rechtsbeziehungen von Person zu Person, aufgrund derer mindestens eine Person der anderen Person eine bestimmte Leistung schuldet („Schuldverhältnisse“) und teilt sich in zwei Teile („Vor-die-Klammer-ziehen-Methode“):
Allgemeiner Teil des Schuldrechts
 Begriff und Inhalt von Schuldverhältnissen
 Stationen der Entwicklung von Schuldverhältnissen
 Entstehung von Schuldverhältnissen
 Erlöschen von Schuldverhältnissen
 Störungen bei Schuldverhältnissen
(Leistungsstörungen: Nicht-, Spät-, Schlechterfüllung)
 Übertragung von Forderungen aus Schuldverhältnissen auf Gläubigerseite
 Übertragung von Schulden aus Schuldverhältnissen auf Schuldnerseite
 Mehrheit von Gläubigern und Schuldnern
Besonderer Teil des Schuldrechts
 Typische vertragliche Schuldverhältnisse in Entstehung und Rechtsfolgen wie
Kauf, Miete, Dienstvertrag, Werkvertrag, Darlehen etc. …
 Typische gesetzliche Schuldverhältnisse in Entstehung und Rechtsfolgen
 Unerlaubte Handlung
 Ungerechtfertigte Bereicherung
 Geschäftsführung ohne Auftrag

Beitrag: 29 Rund um das Rechtsgeschäft im BGB

Das Rechtsgeschäft ist das Steuerungsmittel, wodurch der einzelne Rechtsgenosse durch zielbewusstes Handeln seine Rechtsbeziehungen begründen, verändern oder auch lösen kann. Mittels des Rechtsgeschäfts gestaltet der einzelne Mensch seine Rechtsbeziehungen zu anderen selbst, er schafft „sein“ Recht. Damit ist das Rechtsgeschäft, also der Akt, durch den der Einzelne privatrechtliche Rechtsfolgen setzt, der Mittelpunkt des Begriffssystems des BGB.
Lassen Sie sich nicht entmutigen auf Ihrem begonnenen Weg zum BGB. So gut wie jedem Anfänger präsentiert sich das BGB mit seinen fünf Büchern als uneinnehmbare Wehrburg, deren Mauern in Form von Gesetzen, abstraktem Sprachstil, unübersichtlichen Verweisungen und komplexen Systemen keinerlei Eindringen erlauben. Sie werden bald die Erfahrung machen, dass die einzelnen Trakte der „Burg BGB“ zwar meisterlich gebaut sind, mit Methodik, Logik, System, Ausdauer und Fleiß aber ein Eindringen dennoch ermöglichen.

2.1. Begriff des Rechtsgeschäfts
Überfliegen Sie einmal diese 11 „Minifälle“!
1. K vereinbart mit V, dessen Mondeo für 8.000 € zu erwerben.
2. F wirft nach bestandenem Abitur seine gesammelten Schulbücher in den Papiercontainer.
3. F lädt seine Studienkollegen zu einer Fete ein.
4. V verpflichtet sich, M für einen Monat sein Auto gegen Zahlung von 150 € zur Verfügung zu stellen.
5. A verschuldet mit seinem Auto einen Unfall.
6. D entwendet aus einer Portokasse 500 €.
7. S und W vereinbaren für den Nachmittag einen Spaziergang.
8. T bezahlt am Monatsanfang seine Zechschulden vom vergangenen Monat i.H. von 300 €.
9. Der berühmte Maler M zeichnet mit Einverständnis des E auf die Rückseite eines dem E gehörenden Druckes ein Porträt.
10. V verspricht in einer Zeitungsannonce, dem ehrlichen Finder seiner verloren gegangenen Diplomarbeit 300 € zu zahlen.
11. V übereignet K den für 8.000 € gekauften Mondeo.

Sie wissen schon, dass der Zusammenlauf aller rechtlichen Fragen, die sich aus dem Zusammenleben der Menschen in Gesellschaft, Staat, Ehe, Familie und Beruf ergeben, in der Rechtsordnung erfolgt. Die Rechtsordnung haben wir als ein System erkannt, das den unermesslichen Reichtum des Rechtsstoffes beherrschbar machen soll. Sie ist die Einheit der aufeinander abgestimmten Rechtssätze eines Staates zur Schaffung von Recht. Dem Recht hatten wir die Funktion zugeschrieben, Konflikte im Zusammenleben der Menschen zu vermeiden, Konflikte zu schlichten und sie notfalls zu entscheiden. Diese dem Recht zukommende Regelungsaufgabe erfolgt durch Gesetze. Den Gesetzen hatten wir das ihnen eingeborene Muster ihres Konditionalprogramms entnommen, die Wenn/Dann-Beziehung: Sie wissen, dass auf diese Weise sich die Lenkung von Recht vollzieht: Gesetze „setzen“ Rechtsfolgen, wenn „gesetzte“ Tatbestandsmerkmale vorliegen.

Unberücksichtigt geblieben ist bislang, wodurch im BGB, diesem wichtigsten Teil des Privatrechts, diese Rechtsfolgen eigentlich zustande kommen können.

● Max verschuldet einen Unfall, wodurch Moritz schwer verletzt wird.
● Max „kauft“ von Moritz einen gebrauchten Mondeo.

Im „Verkehrsunfallfall“ stellt man fest, dass mit einer widerrechtlichen und schuldhaften Handlung der Person Max durch § 823 Abs. 1 für diese Person Max „automatisch“ die Pflicht ausgelöst wird, den eingetretenen Schaden bei Moritz zu ersetzen.

Im „Mondeokauffall“ stellt man fest, dass Max durch den Kaufvertrag verpflichtet wird, den vereinbarten Kaufpreis an Moritz zu zahlen (§ 433 Abs. 2), während Moritz durch denselben Kaufvertrag verpflichtet wird, das Auto an Max zu übereignen (§ 433 Abs. 1).

Der Unterschied beider ausgelösten Rechtsfolgen liegt auf der Hand: Während ersterenfalls die Schadenersatzpflicht als Rechtsfolge aus § 823 Abs. 1 von Gesetzes wegen (lat.: ex lege, d.h. kraft Gesetzes) entsteht, übernehmen die Parteien die Rechtsfolgen eines Autokaufs aus § 433 Abs. 1 und 2 aus freien Stücken. Abstrakter ausgedrückt heißt das, dass Rechtsfolgen zum einen dadurch ausgelöst werden, weil sie von den Parteien gewollt sind (freiwillig), zum anderen dadurch, dass sie – unabhängig davon, ob sie gewollt sind – kraft Gesetzes eintreten (unfreiwillig), eben deshalb, weil das Gesetz von sich aus die Rechtsfolge bei Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale (TBM) anordnet.

Danach können wir das Zustandekommen von Rechtsfolgen wie folgt darstellen:

An dieser Stelle interessiert uns zunächst nur der Bereich, in welchem die Rechtsfolgen absichtlich ausgelöst werden. Solche freiwilligen Verpflichtungsübernahmen kennzeichnen wir zusammenfassend als Rechtsgeschäfte.
Wenn durch ein Rechtsgeschäft ein Rechtserfolg herbeigeführt wird, weil dies von den daran beteiligten Personen so und nicht anders frei-„willig“ gewollt ist, muss deren Wille notwendig wesentlicher Bestandteil des Rechtsgeschäfts sein. Damit rückt ein zweiter zentraler Begriff in unser Blickfeld: die Willenserklärung.
Die Handlung, durch die sich der Wille, einen bestimmten Rechtserfolg herbeizuführen, verwirklicht, ist die „Erklärung“ dieses „Willens“, juristisch: eine Willenserklärung (den Begriff findet man wieder im allgemeinen Teil in der Überschrift des 2. Titels). Der Handelnde gibt, meist gegenüber einem bestimmten Empfänger, nach außen zu erkennen, dass die Rechtsfolge entsprechend seinem Willen eintreten soll und führt sie eben dadurch – gemäß der Rechtsordnung – herbei.
Es kann sich dabei um eine mündliche oder um eine schriftliche Äußerung, um die Verwendung gebräuchlicher Zeichen oder einer zwischen diesen Personen besonders vereinbarten Zeichensprache handeln. Entscheidend ist, dass der auf die Herbeiführung der Rechtsfolge gerichtete Wille in einer Weise zum Ausdruck kommt, die wenigstens dem, für den die Erklärung bestimmt ist, verständlich ist. Ob Sie also abends in der Kneipe wörtlich ein Bier bestellen oder lediglich auf Ihr leergetrunkenes Glas zeigen – egal, beide Male erklären Sie Ihren Willen, über ein weiteres Glas Bier einen Kaufvertrag abschließen zu wollen und binden sich eben dadurch Ihrem Vertragspartner gegenüber entsprechend. An Ihre Willenserklärung und an die übereinstimmende Willenserklärung des Kneipenwirts, die darin zum Ausdruck kommt, dass er Ihnen ein gefülltes Glas hinstellt, knüpft das Gesetz jetzt die von Ihnen beiden gewünschte Rechtsfolge aus dem Kaufvertrag über ein Bier gem. § 433 Abs. 1 und 2.

Manchmal geschieht dies freilich nur dann, wenn noch weitere Umstände neben die Willenserklärungen hinzutreten. So hängt z.B. der Übergang des Eigentums an einem Grundstück nicht nur davon ab, dass der Veräußerer und Erwerber ihre Einigung über den Eigentumsübergang in Form von Willenserklärungen gem. § 873 Abs. 1 1. Alt. erklären, sondern es ist für den Eintritt der Rechtsänderung darüber hinaus zwecks Aufklärung der Parteien die Einigung vor einem Notar (sog. Auflassung gem. § 925) sowie die zwecks Offenlegung der Eigentumsverhältnisse vom Grundbuchamt vorzunehmende Eintragung in das Grundbuch erforderlich (§ 873 Abs. 1). Entsprechend verlangt das Gesetz auch für den Eigentumserwerb an beweglichen Sachen nach § 929 S. 1 neben der Einigung der Parteien zusätzlich den Wechsel des unmittelbaren Besitzes (das Gesetz umschreibt dies mit dem Wort „Übergabe“), damit der Rechtsübergang offenkundig wird.
Alle diese Voraussetzungen, unter denen eine Rechtsfolge eintritt, bilden das Rechtsgeschäft. Also:
● Zentraler Ausgangspunkt des bürgerlich-rechtlichen Begriffssystems ist das Rechtsgeschäft.
● Ein Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand aus einer oder mehreren Willenserklärungen, an den die Rechtsordnung einen bestimmten Rechtserfolg knüpft, weil er so gewollt ist.
● Eine Willenserklärung ist die Äußerung eines rechtsgeschäftlichen Willens, eine Rechtsfolge auslösen zu wollen.
● Der Zweck des Rechtsgeschäftes ist es, eine Rechtsfolge herbeizuführen.
● Das Mittel, das den Rechtserfolg herbeiführt, ist die Willenserklärung; sie verwandelt den Willen in Recht. Ja! Durch den Abschluss des Kaufvertrages über den Mondeo ist zwischen Max und Moritz „Recht geschaffen worden“.

Die Willenserklärung ist noch ganz schnell vom Realakt abzugrenzen! Realakte sind solche Handlungen, an die die Rechtsordnung unabhängig von einem rechtsgeschäftlichen Willen des Handelnden Rechtsfolgen knüpft.
● Max malt auf ein dem Moritz gehörendes Buch ein Bild. Durch die Verarbeitung des Buches zu einem Bild wird Max – selbst wenn er geisteskrank ist – Eigentümer der „neuen Sache“ (§ 950).
● Otto findet im Garten der Emma beim Umgraben einen Schatz. Wenn Otto einen Schatz – das ist eine wertvolle Sache, die so lange verborgen gelegen hat, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist – entdeckt und an sich nimmt, wird er mit Emma je zur Hälfte Eigentümer des Schatzes (§ 984), unabhängig davon, ob Otto Eigentum erwerben will oder nicht. Er wird es einfach!
Also: Im Gegensatz zu den Willenserklärungen, bei denen der Rechtserfolg eintritt, weil er gewollt ist, schließen sich bei den Realakten die Rechtswirkungen „ganz von selbst“ an.

Nach diesen Überlegungen können wir das gesamte Spektrum menschlicher Handlungen schon einmal wie folgt darstellen:

2. Arten der Rechtsgeschäfte
Die Vielfalt der möglichen Rechtsgeschäfte lässt sich nach bestimmten Klassifikationsmerkmalen in vier spezielle Rechtsgeschäftsarten einordnen.

2.1. Klassifikationsmerkmal „Zahl“
Nach der Zahl der an einem Rechtsgeschäft beteiligten Personen unterscheidet man zwischen einseitigen und mehrseitigen (meist zweiseitigen) Rechtsgeschäften.

2.1.1. Einseitige Rechtsgeschäfte
● E legt seinen letzten Willen in einem Testament nieder (§ 1937)
● Arbeitgeber A kündigt dem Angestellten X fristlos, da dieser ihn bestohlen hat (§ 626)
● B erklärt C, er möge für ihn den Mondeo kaufen (§§ 166 Abs. 2, 167 Abs. 1)
● K ficht gegenüber V den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an (§§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1)
● C schmeißt seine alte Uhr in den Mülleimer (§ 959) – X nimmt sie wieder heraus (§ 958)

Einseitige Rechtsgeschäfts sind solche, die grundsätzlich von einer Person alleine wirksam vorgenommen werden können, bei denen also bereits die Willenserklärung einer Person genügt, um eine beabsichtigte Rechtsfolge herbeizuführen, so: das Testament § 1937, die Kündigung z.B. §§ 620, 626 Abs. 1, die Vollmacht § 166 Abs. 2, die Anfechtung § 142 Abs. 1, die Eigentumsaufgabe § 959 und die Aneignung § 958.

Sieht man sich diese einseitige Art von Rechtsgeschäfte genauer an, so stellt man eine weitere Differenzierung fest.

 Zum einen Teil handelt es sich um Rechtsgeschäfte, durch die nur der Rechtskreis dieser Person unmittelbar berührt wird (Eigentumsaufgabe, Aneignung). Solche einseitigen Rechtsgeschäfte sind unbeschränkt zulässig und führen unmittelbar die Rechtsfolge herbei.

 Zum anderen Teil handelt es sich um Rechtsgeschäfte, durch die auch der Rechtskreis einer anderen Person (Quasi-Geschäftspartner) berührt wird. Wird dieser anderen Person lediglich eine günstige Rechtsposition zugewandt (Testament § 1937, Erteilung einer Vollmacht §§ 166 Abs. 2, 167, Verfügungsermächtigung § 185), so unterliegt die Zulässigkeit des einseitigen Rechtsgeschäfts auch keinen Bedenken; der Rechtserfolg tritt unmittelbar ein, unabhängig davon, ob die „Quasi-Geschäftspartner“ zustimmen oder nicht. Wird dagegen durch das Rechtsgeschäft der Rechtskreis einer anderen Person nachteilig berührt (Kündigung, Anfechtung, Rücktritt), bedarf der Handelnde dazu einer speziellen Rechtsmacht. Diese Rechtsmacht steht ihm entweder deshalb zu, weil derjenige, dessen Rechtskreis nachteilig berührt wird, sich selbst der einseitigen Bestimmung des anderen unterworfen hat, indem er ihm das Gestaltungsrecht durch Rechtsgeschäft eingeräumt hat, oder aber die Rechtsmacht steht dem Erklärenden unmittelbar aus dem Gesetz zu, indem das Gesetz selbst die Interessen der Beteiligten entsprechend gewertet hat (§§ 142, 123; § 626). Ein Rücktritt von einem Vertrag durch einseitiges Rechtsgeschäft ist eben nur dann möglich, wenn diese Rechtsmacht entweder vertraglich eingeräumt worden ist oder das Gesetz diese Rechtsmacht normiert (§ 346). Eine Kündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer sich dieser unterworfen hat oder das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund selbst anerkennt (§ 626). Eine Anfechtung kann nur dann die Rechtsfolge des § 142 Abs. 1 auslösen, wenn das Gesetz durch §§ 119, 123 diese Rechtsmacht normiert.

2.1.2. Mehrseitige Rechtsgeschäfte
Im Allgemeinen bedarf es zur Herbeiführung von Rechtsfolgen der Beteiligung mehrerer Personen. Mehrseitige Rechtsgeschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, bei denen mindestens zwei Willenserklärungen vorliegen. Diese Willenserklärungen müssen einander entsprechen und aufeinander abgestimmt sein. Der Hauptanwendungsfall ist der Vertrag.

Ein Vertrag ist ein mehrseitiges Rechtsgeschäft mit mindestens zwei sich deckenden Willenserklärungen, die auf einen einheitlichen Rechtserfolg gerichtet sind.

Wenn Max dem Verkäufer Moritz gegenüber erklärt: „Ich will dieses Auto für 6.000 € kaufen“, dann heißt das juristisch übersetzt: „Ich, Max, eine geschäftsfähige und rechtsfähige Person, erkläre meinen rechtsgeschäftlichen Willen, die Rechtsfolge eines Kaufvertrages bezüglich des Autos Mondeo zu einem Kaufpreis von 6.000 € dir, Moritz, gegenüber herbeiführen zu wollen.“ Moritz gibt mit seinem Wort: „Einverstanden“ genau die spiegelbildlich entsprechende Erklärung ab. Den Vertrag sehen wir uns später genau an, weil er grundlegende Bedeutung für das ganze juristische Leben haben wird. Er besteht aus zwei solchen Willenserklärungen, nämlich Angebot und Annahme. So steht es klipp und klar in § 151 S. 1 1.Hs. Der Vertrag ist das wichtigste Steuerungs- und Gestaltungsmittel des Zivilrechts. Der einzelne Rechtsgenosse kann seine Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung durch Verträge eigenverantwortlich gestalten – das nennt man Privatautonomie oder Vertragsfreiheit. Diese Vertragsfreiheit, die Ausfluss des allgemeinen Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist (Art. 2 Abs. 1 GG), zerfällt in ihre beiden Komponenten:
● Gestaltungsfreiheit, d.h. es ist grundsätzlich jedem selbst überlassen, mit welchem Inhalt er einen Vertrag gestaltet und
● Abschlussfreiheit, d.h. es ist grundsätzlich jedem selbst überlassen, ob und mit wem er abschließt.
Der Zweck des Kaufvertrages zwischen dem Verkäufer Moritz und dem Käufer Max ist es also, einen Rechtserfolg herbeizuführen, nämlich dem Max den Anspruch auf Übereignung aus § 433 Abs. 1 und Moritz den Anspruch auf den vereinbarten Kaufpreis aus § 433 Abs. 2 zu verschaffen. Dieser Rechtserfolgt tritt ein, weil er von beiden so gewollt ist und weil die Rechtsordnung diesen Rechtserfolg anerkennt. Die Handlungen, die diesen Rechtserfolg herbeiführen, sind die eben angesprochenen Willenserklärungen: wirksames Angebot und wirksame Annahme.

2.2. Klassifikationsmerkmal „Gegenstand“
Nach dem Gegenstand der beabsichtigten Regelung, d.h. seiner juristischen Zuordnung in den 6 BGB-Spezial-Büchern, unterscheidet man kurz und prägnant:
Schuldrechtliche Rechtsgeschäfte
Familienrechtliche Rechtsgeschäfte
Sachenrechtliche Rechtsgeschäfte
Erbrechtliche Rechtsgeschäfte
Arbeitsrechtliche Rechtsgeschäfte
Handelsrechtliche Rechtsgeschäfte

2.3. Klassifikationsmerkmal „Zweck“
Bedeutend wichtiger als die Differenzierung nach dem Gegenstand des Rechtsgeschäfts ist diejenige nach dem Zweck des Rechtsgeschäfts. Nach dem Zweck unterscheidet man:
Verpflichtungs(rechts)geschäfte und Verfügungs(rechts)geschäfte.
 Verpflichtungsgeschäfte sind Rechtsgeschäfte, durch die sich der Eine gegenüber einem Anderen zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichtet (vgl. auch § 241). Man nennt solche Verträge auch schuldrechtliche oder obligatorische (lat.: obligare, verpflichten) Verträge. Dazu gehören der Kaufvertrag, Tausch-, Miet-, Dienst- und Werkvertrag.
Einige dieser Verpflichtungsverträge begründen die Verpflichtung, durch ein weiteres Rechtsgeschäft demnächst eine Rechtsänderung vorzunehmen:
 Gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 verpflichtet sich z.B. ein Verkäufer durch einen Kaufvertrag, die gekaufte Sache demnächst an den Käufer zu übereignen, und der Käufer verpflichtet sich, gem. § 433 Abs. 2, den vereinbarten Kaufpreis demnächst zu zahlen.
 Diese Verpflichtungen werden hinsichtlich einer beweglichen Sache (Ware, Geld) durch ein weiteres Rechtsgeschäft, nämlich nach § 929 S. 1, durch eine weitere Einigung der Parteien über den Eigentumsübergang und durch die Übergabe des gekauften Gegenstandes bzw. des Geldes erfüllt.
Durch das Verpflichtungs(rechts)geschäft ändert sich also die Eigentumslage des verkauften Gegenstandes noch nicht (!) – das geschieht erst durch die jeweiligen Übereignungs(rechts)geschäfte. Der Inhalt eines obligatorischen Geschäftes ist dementsprechend dadurch gekennzeichnet, dass sich die Parteien gegenseitig verpflichten, ein bereits bestehendes Recht demnächst abzuändern; man nennt sie Verpflichtungs(rechts)geschäfte.

 Solche Geschäfte aber, die darauf gerichtet sind, auf ein bestehendes Recht unmittelbar einzuwirken, es also zu übertragen (z.B. §§ 398, 929), es zu belasten (z.B. § 1113), es inhaltlich zu ändern (z.B. § 877) oder aufzuheben (z.B. § 397), nennt man Verfügungen, das entsprechende Rechtsgeschäft wird als Verfügungs(rechts)geschäft bezeichnet.

Zur Verdeutlichung der Unterschiede zwischen Verpflichtungs(rechts)- und Verfügungs(rechts)geschäften möge Ihnen folgendes Beispiel dienen:

K bestellt beim Versandhaus V ein Fahrrad für 300 €. V bestätigt die Bestellung und kündigt die alsbaldige Lieferung an.

V und K haben hier einen Kaufvertrag gem. § 433 geschlossen.
Der Kaufvertrag ist ein Rechtsgeschäft, das aus zwei Willenserklärungen (Vertragsangebot des K, Annahme dieses Angebotes durch V) besteht.
An diesen Tatbestand knüpft das Gesetz die in § 433 genannten Rechtsfolgen, nämlich die Pflicht des V zur Übereignung und Übergabe des Fahrrades (§ 433 Abs. 1) und die Pflicht des K zur Zahlung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2). Der Kaufvertrag ist hier das Verpflichtungsgeschäft, das lediglich Handlungspflichten entstehen lässt, in unserem Fall also die Handlungspflicht des K zur Zahlung und die Handlungspflicht des V zur Übereignung des Fahrrads.

Die Erfüllung dieser Verpflichtungen erfolgt durch zwei gesonderte, weitere Rechtsgeschäfte, die Verfügungsgeschäfte. In unserem Falle müssen V und K also jeweils noch eine Übereignung des Fahrrades und eine Übereignung des Geldes nach § 929 S. 1 vornehmen, um ihre Handlungspflichten aus dem Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 und Abs. 2) zu erfüllen.

Unserem Beispielsfall können Sie entnehmen, dass das Verpflichtungsgeschäft „Kaufvertrag“ hier der Zweck und Grund für die anschließend von V und K vorgenommenen Verfügungsgeschäfte „Übereignung der Ware“ und „Übereignung des Kaufpreises“ ist. Die Verfügungsgeschäfte hatten dagegen den Zweck, die jeweiligen Handlungspflichten zu erfüllen.

2.4 Klassifikationsmerkmal „Inhalt“: das Abstraktionsprinzip
Noch wichtiger als die Unterscheidung nach dem Zweck ist die nach dem Inhalt der Rechtsgeschäfte. Danach grenzt man
abstrakte Rchtsgeschäfte von
kausalen Rechtsgeschäften ab.
Aus unserem Beispielsfall können Sie bereits entnehmen, dass das „Verpflichtungsgeschäft Kaufvertrag“ über das Fahrrad hier der Grund für die anschließend von V und K vorgenommenen Verfügungsgeschäfte „Übereignung des Fahrrades“ und „Übereignung des Kaufpreises i.H.v. 300 €“ ist. Diese Feststellung führt uns zu einem weiteren Abgrenzungsmerkmal für Rechtsgeschäfte. Das entscheidende Kriterium ist hier der Inhalt der Willenserklärung.
Jedes Rechtsgeschäft enthält zumindest eine Willenserklärung. Dieser rechtsgeschäftliche Wille steht unter dem Einfluss bestimmter Beweggründe, der sog. Motive. So kann z.B. K das Fahrrad deshalb bei V bestellen, weil er eine Fahrradtour durch Mallorca plant. Diese Motive sind von dem weitergehenden rechtlichen Zweck zu unterscheiden, der mit dem Rechtsgeschäft verfolgt wird. Der rechtliche Zweck wird als Rechtsgrund oder Causa bezeichnet. Darunter versteht man den von der Rechts-ordnung als rechtserheblich anerkannten nächsten – ersten und unmittelbaren – Zweck eines Rechtsgeschäftes. Die Causa ist also der mit einem Rechtsgeschäft verfolgte Rechtszweck.
Wenn wir auf unseren „Fahrradkauf“ zurückkommen, können wir einen bedeutsamen Unterschied zwischen den hierzu notwendigen Rechtsgeschäften Verpflichtungs- und Verfügungs(rechts)geschäft im Hinblick auf die Causa feststellen.
 Der unmittelbare Rechtszweck – also die Causa – der Verpflichtung des Verkäufers V zur Übergabe und Eigentumsverschaffung des Fahrrades ist die (Gegen-)Ver-pflichtung des Käufers K zur Zahlung des Kaufpreises. Umgekehrt ist es ebenso. Das Verpflichtungsgeschäft ist also in sich selbst kausal, der Rechtszweck, sein Rechtsgrund, für das Geschäft ist Bestandteil des Rechtsgeschäftes; er gehört zu seinem Inhalt.
 Der unmittelbare Rechtszweck (die Causa) der anschließend vorzunehmenden Eigentumsübertragungen bzgl. des Fahrrades und des Geldes gem. § 929 S. 1 durch V und K ist dagegen die Erfüllung der schon bestehenden Verbindlichkeiten aus dem Kaufvertrag gem. § 433 Abs. 1 und 2. Das Verfügungsgeschäft enthält also seinen Rechtsgrund nicht in sich, die Causa ist also nicht sein Bestandteil, sein Inhalt, sondern enthält ihn nur aus dem vorangegangenen Verpflichtungsgeschäft „Kaufvertrag“. Das Verfügungsgeschäft ist also von seinem Rechtsgrund losgelöst; es ist ein abstraktes Rechtsgeschäft. Deswegen ist das Verfügungsgeschäft auch dann wirksam, wenn der Rechtsgrund, dessentwegen es vorgenommen wurde, fehlt.

Diesen Grundsatz nennt man das Abstraktionsprinzip. Das behandeln wir im nächsten Beitrag!

Beitrag: 30 Die Zirkusnummer des Abstraktionsprinzips

Bei diesem Gipfelpunkt juristischer Akrobatik muss man gerade im Anfang behutsam vorgehen. Es nützt den Beginnern nämlich gar nichts, wenn man juristengottähnlich zur Illustration dieses Prinzips einen alltäglichen „Handkauf“ aus dem Zylinder zaubert, in dem alle drei Rechtsgeschäfte (Kaufvertrag; Übereignung der Ware; Übereignung des Geldes) in einem Akt zusammenfallen.
Besonders beliebt ist der „Professor“, der schweigend am Kiosk 5 Euro über die Ladentheke schiebt, eine Schachtel Zigaretten schweigend zurückerhält und mit einem freundlichen „Guten Morgen“ seines Weges geht.
Dieser Fall gehört an das Ende! Zugegeben, es ist schon verführerisch, einem Zauberer gleich, die „drei Kaninchen“: § 433; § 929 Ware; § 929 Geld aus dem Zylinder eines solchen Sachverhalts zu zaubern und den staunenden Anfängern zu präsentieren, um damit zu demonstrieren, was man alles weiß. Zunächst müsste man die „drei Kaninchen“ vorstellen und zeigen, wie man sie mit List und Tücke in dem Hut versteckt hat.
Der Student hat erfahrungsgemäß weniger Schwierigkeiten, das Abstrakte im Abstraktionsprinzip zu verstehen, als die drei konkreten Rechtsgeschäfte mit ihren sechs Willenserklärungen auseinander zu halten. Für ein solches Verständnis ist es unabdingbar, einen Lebensausschnitt auszuwählen, in dem die drei Rechtsgeschäfte auf einem „didaktischen“ Zeitstrahl auseinander gezogen werden, die wirtschaftliche Einheit „Kauf“ chronologisch zerlegt und der Ablauf in Zeitlupe geschildert wird, bevor man alles in einem Zeitmoment zusammenfallen lässt.

Zur Konkretisierung, Verdeutlichung und Erhellung der Unterschiede zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften ziehen wir auf dem Zeitstrahl dreier Daten unseren Modellfall auseinander:

 Am 1.1. bestellt K beim Versandhaus V ein Fahrrad. V bestätigt die Bestellung und kündigt die alsbaldige Lieferung an.
 Am 1.2. liefert V dem K das Fahrrad.
 Am 1.3. überweist K auf das Konto des V den vereinbarten Kaufpreis i.H. von 1.000 €, wo er am gleichen Tage gutgeschrieben wird.

Datum 1.1.: Zunächst konzentrieren wir uns nur auf das Geschehen am 1.1. Was ist passiert?

V und K haben hier einen Kaufvertrag geschlossen. Der Kaufvertrag ist ein Rechtsgeschäft, das aus zwei Willenserklärungen (Vertragsangebot des K und Annahme dieses Angebotes durch V) besteht. An diesen Tatbestand knüpft das Gesetz die in § 433 genannten Rechtsfolgen, nämlich die Pflicht des V zur Übereignung der Ware (§ 433 Abs. 1) und die Pflicht des K zur Zahlung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2). Umgekehrt erwächst aus dieser jeweiligen Pflicht des V und K das jeweilige Recht des K und V, die Erfüllung dieser Verpflichtungen verlangen zu können. Ein solches „Recht“ nennt man ja bekanntlich Anspruchsgrundlage (vgl. § 194). Der Kaufvertrag ist hier das Verpflichtungsgeschäft, das lediglich Handlungspflichten entstehen lässt, in unserem Fall also die Zahlungspflicht des K und die Pflicht des V zur Übereignung des Fahrrades. Die Erfüllung dieser Verpflichtungen erfolgt durch zwei gesonderte Rechtsgeschäfte, die Verfügungsgeschäfte, die noch vorgenommen werden müssen. Der Kaufvertrag begründet also lediglich wechselseitige Handlungspflichten; es erfolgt noch keine Änderung der Eigentumslage, weder an der Ware noch an dem Geld.
Die Wirkungen des Kaufvertrages sind also folgende:
 Es entsteht der Anspruch des Verkäufers gegen den Käufer auf Kaufpreiszahlung gem. § 433 Abs. 2.
 Es entsteht der Anspruch des Käufers gegen den Verkäufer auf Übereignung der Ware gem. § 433 Abs. 1.

Datum 1.2.: Lenken wir nunmehr den Blick auf den 1.2. Was ist an diesem Tage geschehen?

V und K haben hier die Übereignung der Ware bewerkstelligt. Dieses Rechtsgeschäft erfolgt gem. § 929 S. 1. Es handelt sich hierbei um eine sachenrechtliche Vorschrift, welche die Übereignung einer beweglichen Ware zum Gegenstand hat. Dieser Paragraph setzt voraus:
 Einigung über den Eigentumsübergang
 Übergabe der Sache
 Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe
 Berechtigung, d.h. der Übereignende muss verfügungsbefugter Eigentümer sein

Am 1.2. ist auf das Eigentum an der Ware dergestalt eingewirkt worden, dass das Eigentum an dem Fahrrad von dem Verkäufer V auf den Käufer K gem. § 929 S. 1 übergegangen ist. Dadurch tritt die rechtliche Wirkung ein, dass der Anspruch des K gegen den V aus § 433 Abs. 1 durch Erfüllung gem. § 362 Abs. 1 erloschen ist; denn der richtige Schuldner V hat an den richtigen Gläubiger K die richtige Leistung, nämlich das Eigentum, erbracht. Also ist das Schuldverhältnis – der Anspruch des K gegen den V auf Übereignung gem. § 433 Abs. 1 – erloschen. Damit hat V gegenüber K seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllt.

Datum 1.3.: Schauen wir uns nunmehr das Geschehen am 1.3. an.

An diesem Tage ist das Eigentum an den vereinbarten 1.000 € von K auf V gem. § 929 S. 1 übergegangen. Damit hat K seine Verpflichtung aus § 433 Abs. 2 dem V gegenüber gem. § 362 Abs. 1 erfüllt, denn der richtige Schuldner K hat gegenüber dem richtigen Gläubiger V die richtige Leistung, nämlich die Übereignung der 1.000 €, bewirkt. Also ist das Schuldverhältnis aus § 433 Abs. 2 erloschen. (Später werden Sie noch lernen, dass mit der Gutschrift auf dem Konto des Gläubigers die richtige Leistung bewirkt ist. Denn es gilt der Satz: „Buchgeld ist gleich Bargeld.“)

Wir wollen das Darlegte noch einmal zusammenfassen:

 1.1.: Kaufvertrag über das Fahrrad zu 1.000 € (§ 433)

 1.2.: Übereignung des Fahrrades gem. § 929 S. 1; § 433 Abs. 1 gem. § 362 Abs. 1 erloschen

 1.3.: Übereignung des Geldes gem. § 929 S. 1; § 433 Abs. 2 gem. § 362 Abs. 1 erloschen

Wenn man genau hinschaut, hat man es bei einem „normalen Kauf“ also mit drei Rechtsgeschäften, bestehend aus sechs Willenserklärungen zu tun: einem Verpflichtungsgeschäft, nämlich dem Kaufvertrag, bestehend aus zwei Willenserklärungen (Angebot und Annahme); zwei Verfügungsgeschäften, nämlich zum einen dem Verfügungsgeschäft über die Ware, bestehend aus zwei Willenserklärungen (Einigung) und der Übergabe, sowie zum anderen dem Verfügungsgeschäft über die Übereignung am Geld, wiederum bestehend aus zwei Willenserklärungen (Einigung) und der Übergabe des Geldes.

 Verpflichtungs(rechts)geschäft: Kaufvertrag über das Fahrrad (§ 433)
1. Willenserklärung: Angebot zum Abschluss
2. Willenserklärung: Annahme des Angebots

 Erstes Verfügungs(rechts)geschäft: Übereignung der Ware (§ 929)
3. Willenserklärung: Angebot zur Übereignung des Rades
4. Willenserklärung: Annahme dieses Angebots

 Zweites Verfügungs(rechts)geschäft: Übereignung des Geldes (§ 929)
5. Willenserklärung: Angebot zur Übereignung des Geldes
6. Willenserklärung: Annahme dieses Angebots

Das mit dem Abstraktionsprinzip verbundene Trennungsprinzip war beileibe nicht immer so. Bis zum Jahre 1900 galt auch in Deutschland, wie in allen anderen Rechtsordnungen der Welt auch heute noch, das sogenannte Einheitsprinzip. Das Abstraktionsprinzip ist regelrecht erfunden worden, und zwar von Friedrich Carl von Savigny, einem großen Juristen des 19. Jahrhunderts.
Selbst die Römer, die großen Baumeister der juristischen Architektur, kannten es nicht. Carl von Savigny schraubte damit das deutsche Recht auf den Gipfel juristischer Akrobatik und Abstraktion.
Die Römer waren ja auch keine schlechten Juristen, vielleicht die besten, die die Welt gesehen hat. Für sie waren der Kauf und seine Abwicklung eine Einheit, ein einziger Vertrag; auch mit 3 Silberlingen beim Zigarettenkauf. Für sie hatte man sich sozusagen in der Einigung des schuldrechtlichen (obligatorischen) Kaufvertrages schon gleichzeitig darauf einigend verständigt, dass sowohl das Eigentum am Geld wie auch das Eigentum an den Zigaretten übergehen soll, wenn das Geld bzw. die Ware dann später dem Käufer bzw. Verkäufer tatsächlich übergeben wird. Deshalb war die Übereignung nach römischem Recht automatisch unwirksam, wenn der Kaufvertrag unwirksam war, da ja dann keine Einigung vorlag.
Die drei Einigungen, nämlich
● die Einigung beim Kaufvertrag,
● die Einigung zur Übereignung der Ware nach § 929 S. 1
● sowie die Einigung zur Übereignung am Geld gem. § 929 S. 1,
die das Abstraktionsprinzip fein säuberlich trennt, waren für sie eine einzige Einigung. Für den Römer genügte beim Zigarettenkauf am römischen Kiosk eine einmalige Einigung – deshalb: Einheitsprinzip.

Nun verstehen Sie vielleicht, warum Jura manchmal als „schwierig“ bezeichnet wird.

Wenn darum in unserem Beispiel der Verkäufer dem Käufer das Fahrrad übereignet, um seine Verpflichtung aus § 433 Abs. 1 zu erfüllen, so ist das Bestehen dieser Verpflichtung Rechtsgrund (lat.: causa) der anschließenden Übereignung des Fahrrades. Diese Übereignung ist aber auch dann wirksam, wenn eine derartige Pflicht nicht bestand, der Verkäufer also nur irrtümlich vom Bestehen eines wirksamen Kaufvertrages ausgegangen ist.
Zweck der rechtlichen Trennung von (kausalem) Verpflichtungs- und (abstraktem) Verfügungsgeschäft ist es, die Sicherheit des Rechtsverkehrs zu erhöhen. Dritte sollen sich auf die Berechtigung des Erwerbers K verlassen dürfen (etwa wenn K sich von V das Fahrrad nun übereignen lässt und es dann an Dritt weiterveräußert), ohne nach der Wirksamkeit des Grundgeschäftes forschen zu müssen.

Nunmehr das letzte Stück des Weges durch unseren Tunnel des Abstraktionsprinzips (Trennungsprinzips).
An dem vorstehenden Beispiel wird ein Problem deutlich, das mit dem Abstraktionsprinzip verbunden ist. Wenn unabhängig von der Wirksamkeit des Kaufvertrages die deswegen vorgenommenen (abstrakten) Verfügungsgeschäfte rechtlichen Bestand haben, so fragt man sich in unserem Beispiel, wie V das Fahrrad zurückbekommt, wenn K wegen irgendeiner Unwirksamkeit des Kaufvertrages (z.B. Anfechtung) die Zahlung des Kaufpreises verweigert. Die Grausamkeit des Abstraktionsprinzips, die darin besteht, dass die Übereignungen an Ware und Geld auch dann wirksam sind, wenn der zugrunde liegende, die „causa“ beherbergende Kaufvertrag aus irgendeinem Grunde nichtig ist, muss ausgeglichen werden.
Diesen Ausgleich vollbringt die juristische Wunder- und Allzweckwaffe des § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. Dieser Anspruch, der Leistungskondiktion genannt wird, dient dazu, rechtsgrundlose, also „ungerechtfertigte“ Zuwendungen, also Bereicherungen (TBM „etwas“ in § 812 Abs. 1 S. 1) rückgängig zu machen. Das ist sein einziger Zweck! Wer A – wie Abstraktionsprinzip – sagt, muss auch B – wie Bereicherungsrecht – sagen!
Sezieren Sie bitte diesen § 812 Abs. 1 und stanzen Sie aus ihm zwei selbständige Paragraphen heraus: § 812 Abs. 1 1. Alt. (a) und § 812 Abs. 1 2. Alt. (b). Uns interessiert in diesem Zusammenhang nun die erste Alternative (Alt.).

Der Tatbestand dieser Anspruchsgrundlage des § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. (a) enthält drei Voraussetzungen:
1. Der Anspruchsgegner muss „etwas“ erlangt haben, er muss also bereichert sein. Eine Bereicherung liegt vor, wenn ein irgendwie gearteter Vermögensvorteil feststellbar ist. Hier ist unser Käufer um das Eigentum und den Besitz an dem Fahrrad bereichert.
2. Die Bereicherung muss durch eine „Leistung des Anspruchsstellers“ eingetreten sein. Dabei wird unter Leistung jede bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens zur Erfüllung einer bestehenden oder vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit verstanden. Hier wollte der Verkäufer V das Vermögen seines Käufers K zum Zwecke der Erfüllung des Kaufvertrags durch Übereignung des Fahrrades und Besitzverschaffung vermehren.
3. Schließlich muss diese Vermögensmehrung „ohne rechtlichen Grund“ (sine causa) erfolgt sein. Rechtsgrund für die Vermögensverfügung könnte hier der Kaufvertrag über das Fahrrad gewesen sein (§ 433). Ist der Kaufvertrag jedoch unwirksam, so fehlt es an einer Causa für die Eigentumsübertragung.

Für diesen Fall des kumulativen Zusammentreffens der drei Tatbestandsmerkmale bestimmt § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rechtsfolge, dass das Erlangte (etwas), also das Eigentum und der Besitz am Fahrrad, wieder an den ursprünglichen Berechtigten herauszugeben ist. V hätte gegen K in unserem Falle also einen Anspruch auf Rückübereignung des Fahrrades aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt., wenn der Kaufvertrag aus irgendeinem, vom Klausurersteller in dem Sachverhalt versteckten Grund unwirksam gewesen wäre. K ist dann „ungerechtfertigt“, d.h. ohne Rechtsgrund auf Verpflichtungsebene, auf Verfügungsebene um Eigentum und Besitz „bereichert“.

Zusammenfassend:
Nach dem Zweck der beabsichtigten Rechtsfolge unterscheidet man bei Rechtsgeschäften zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften, die für uns in diesem Kapitel wichtigste Unterscheidung. Die praktische Bedeutung dieser Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft als jeweils eigener Kategorie von Rechtsgeschäften liegt in Folgendem:
 Verpflichtungsgeschäfte liegen vor, wenn wenigstens eine der am Rechtsgeschäft beteiligten Personen für sich eine bestimmte Verpflichtung eingeht. Die Rechtsfolge dieses Rechtsgeschäfts ist somit die Begründung eines Schuldverhältnisses, kraft dessen sich der eine gegenüber dem anderen zu einem Tun (oder Dulden oder Unterlassen) verpflichtet (§ 241). Durch Verpflichtungsgeschäfte (§§ 433, 535, 611, 631) werden Ansprüche neu begründet.
Verfügungsgeschäfte zielen demgegenüber darauf ab, bereits vorhandene Rechte an Rechtsgegenständen (z.B. Eigentum) unmittelbar zu verändern. Ihre Definition lautet: Verfügungsgeschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, durch die ein bestehendes Recht unmittelbar übertragen (z.B. §§ 929, 873, 398), belastet (z.B. §§ 873 Abs. 1, 1113), aufgehoben (z.B. §§ 397, 875) oder geändert (§ 877) wird.
 Verpflichtungs-(Rechts-)geschäft und Verfügungs-(Rechts-)geschäft sind getrennt (Abstraktionsprinzip oder Trennungsprinzip).
 Die Rückabwicklung rechtsgrundloser Zuwendungen (das Gesetz nennt es „ungerechtfertigte Bereicherung“), also wirksamer Verfügungsgeschäfte ohne wirksame Verpflichtungsgeschäfte, erfolgt über den Anspruch des § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt., der Leistungskondition genannt wird. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. setzt voraus:
Der Anspruchsgegner hat „etwas“ erlangt. Ein Etwas ist jede Verbesserung der Vermögensverhältnisse.
Die Bereicherung erfolgte durch die „Leistung“ des Anspruchsstellers. Dabei ist Leistung jede zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens in Erfüllung einer bestehenden oder vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit.
Die Bereicherung erfolgte „ohne Rechtsgrund“. Rechtsgrund könnte immer ein Verpflichtungsgeschäft sein (causa).
• Das Verfügungsgeschäft trägt seinen unmittelbaren Grund, seine „causa“, seinen Rechtsgrund, nicht in sich, sondern erfährt ihn nur von außerhalb aus dem vorangegangenen Verpflichtungsgeschäft; es ist von seinem Rechtsgrund losgelöst, es ist abstrakt. Das Verpflichtungsgeschäft ist in sich selbst kausal, da der Rechtsgrund, nämlich die Verpflichtung, Bestandteil des Rechtsgeschäfts ist. Der unmittelbare Grund – also die Causa – der Verpflichtung zur Übereignung z.B. eines Autos (§ 433 Abs. 1) ist die (Gegen-) Verpflichtung des Käufers zur Übereignung (Zahlung) des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2). Wenn der Verkäufer dem Käufer nun das Auto gem. § 929 S. 1 übereignet, um seine Verpflichtung aus § 433 Abs. 1 zu erfüllen, so ist das Bestehen dieses Verpflichtungsgeschäfts der Rechtsgrund (causa) für diese Übereignung.

Beitrag: 31 Die Geschäftsfähigkeit: Wer kann Rechtsgeschäfte selbstständig vornehmen?

Im Gegensatz zur Rechtsfähigkeit, die lediglich einen statischen, eher passiven, Zustand beschreibt („Träger von Rechten und Pflichten zu sein“), beschreibt die Geschäftsfähigkeit die Möglichkeit, selbst eine Änderung der Rechtslage vorzunehmen. Ist jemand geschäftsfähig, also in der Lage, Rechtsgeschäfte wirksam vorzunehmen, so kann er eben durch deren Abschluss eine bestehende Rechtslage ändern.
Können also Max und Moritz, die durch ihre Geburt die Rechtsfähigkeit erlangt haben, auch rechtlich bedeutsame Handlungen vornehmen? Können sie Vertragsangebot und Vertragsannahme wirksam abgeben und empfangen? Können sie für Rechtshandlungen verantwortlich gemacht werden, wenn z.B. Max auf seiner Nachhausefahrt gleich einen Unfall „baut“? – Ja! Wenn sie denn „geschäftsfähig“ bzw. „delikts-fähig“ sind.

Die Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam vorzunehmen.

Auch bei der Geschäftsfähigkeit ist zwischen natürlichen und juristischen Personen zu unterscheiden. Nichtrechtsfähige Personenvereinigungen kommen demgegenüber nicht in Betracht, weil ihnen schon die vorrangig notwendige Fähigkeit fehlt, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.

Die juristischen Personen sind ausnahmslos geschäftsunfähig.
Dies erklärt sich ohne weiteres daraus, dass sie als lediglich rechtstheoretische Gebilde (e.V., Aktiengesellschaft oder GmbH) selbst keine Handlungen vornehmen oder Erklärungen abgeben können. Alle juristischen Personen müssen vielmehr, um am Rechtsleben teilnehmen zu können, vertreten werden, und zwar regelmäßig durch eine oder mehrere natürliche Personen, ihre Organe. Wie das geschieht, wird in dem Kapitel über die Vertretung darzulegen sein. Wenn die juristische Person wirksam vertreten ist, spielt die Frage der Geschäftsfähigkeit keine Rolle mehr. Das Gesetz verleiht der betreffenden Personenvereinigung nämlich gerade mit dem Ziel Rechtsfähigkeit, dass sie am Rechtsleben teilnehmen kann. Die juristischen Personen können daher – immer ihre wirksame Vertretung durch ihre Vertretungsorgane vorausgesetzt – unbeschränkt am Rechtsleben teilnehmen.
Unsere folgenden Erläuterungen befassen sich aus diesem Grunde ausschließlich mit den natürlichen Personen.

Auch die natürlichen Personen sind nicht etwa alle unbeschränkt geschäftsfähig.
Dies bedarf keiner näheren Begründung, wäre doch sonst z.B. jeder Vierjährige in der Lage, sein Dreirad einem Freund zu schenken, und könnte jeder Geisteskranke für ihn völlig nutzlose Geschäfte tätigen und so sein Vermögen verschleudern.

 Das Gesetz macht die Geschäftsfähigkeit des Menschen zu seinem Schutz in erster Linie von dem Erreichen eines bestimmten Alters abhängig.

 Auch wenn der Betreffende das für die Geschäftsfähigkeit notwendige Alter erreicht hat, ist er dennoch – auch hier zu seinem Schutz – nicht geschäftsfähig, wenn er an einer bestimmten krankhaften Beeinträchtigung seiner Geistestätigkeit leidet.

Im Überblick: Das BGB unterscheidet bei einer stillschweigend zugrunde gelegten Handlungsfähigkeit zwischen Geschäftsfähigkeit und Deliktsfähig-keit.

Nimmt man die Verästelungen feiner vor, so gelangt man zu folgender Übersicht:

Liest man die aufgewiesenen Paragraphen nach, so stellt man schon eine Korrespondenz zwischen beiden Spielarten der Handlungsfähigkeit fest.

Das Erreichen der Geschäftsfähigkeit
Der Mensch erlangt die uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit erst mit der Volljährigkeit. Dies ergibt sich allerdings nicht ausdrücklich aus dem Gesetz. Das Gesetz geht vielmehr stillschweigend von der Geschäftsfähigkeit des Volljährigen aus und regelt umgekehrt nur die Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit des Minderjährigen. Die Volljährigkeit tritt gem. § 2 mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein.
Juristisch interessanter ist der vorhergehende Zeitraum, in dem der Heranwachsende noch minderjährig ist. Außer der Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 1) sieht das Gesetz in § 106 für eine bestimmte Altersstufe des Minderjährigen nämlich noch die beschränkte Geschäftsfähigkeit vor, die deshalb einen Schwerpunkt der nachfolgenden Erörterungen bildet, weil sie juristisch der einzige wirklich schwierige Altersabschnitt ist und vom Gesetzgeber mit einer genialen Idee ausgestattet worden ist.
Die sich auf diese Weise ergebende Dreiteilung der „Geschäftsfähigkeit“ stellt sich wie folgt dar:
● Bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres ist das Kind geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 1).
● Nach der Vollendung des 7. Lebensjahres ist der Minderjährige beschränkt geschäftsfähig (§ 106).
● Mit der Erreichung der Volljährigkeit ist der dann Erwachsene (voll) geschäftsfähig (§ 2).

Diese Abstufung verfolgt den Zweck, dem Minderjährigen entsprechend seiner reifemäßigen Entwicklung ein langsames Hereinwachsen in die Fähigkeit zu ermöglichen, alleinverantwortlich am Rechtsleben teilzunehmen. Das ist ohne Zweifel nur in einer sehr groben Einteilung gelungen, wie schon der unterschiedliche Reifegrad eines gerade 7-jährigen gegenüber einem gerade noch 17-jährigen zeigt. Eine noch weitere Unterteilung wäre jedoch, wie die nachfolgenden Ausführungen deutlich machen dürften, nicht mehr praktikabel.

Der nachfolgende Eingangsfall „Tante Lydia“ soll im aufziehenden Paragraphensturm über der Geschäftsfähigkeit Navigationshilfe leisten.

„Tante Lydia“
Das Ehepaar Jupp und Emma Schmitz hat drei Kinder, nämlich den 6-jährigen Fritz, die 14-jährige Ottilie und den am 24.08.10 geborenen und am heutigen Tage, 24.08.28, seinen 18. Geburtstag feiernden Karl. Zu diesem Fest ist auch die reiche, aber äußerst geizige Tante Lydia, eine Schwester des Jupp, zum Kaffeetrinken eingeladen. Als die Kaffeetafel zu Ende ist, ruft Tante Lydia die drei Kinder zu sich und erklärt: „Ich will Euch etwas schenken und zwar jedem 2 €. Bin ich nicht großzügig?“ Obwohl die Eltern ihren Kindern ausdrücklich verboten hatten, von Tante Lydia irgendein Geschenk anzunehmen, greifen die Kinder zu. Bei der Verabschiedungszeremonie erfährt Tante Lydia von dem vorlauten Fritz, dass die Eltern sie als „geizige alte Schachtel“ bezeichnet und den Kindern jedwede Geschenkannahme streng untersagt hatten. Sie ist darüber so erbost, dass sie auf der Stelle von Fritz, Ottilie und Karl das jeweilige Geldstück herausverlangt, das diese noch in den Händen halten. Die drei Kinder weigern sich mit dem Bemerken: „Geschenkt ist geschenkt! Wiederholen ist gestohlen!“

Wir werden in den nachfolgenden Darstellungen begutachten, ob Tante Lydia jeweils von Karl, von Fritz und von Ottilie das 2-€-Stück zu Recht herausverlangen kann.

1. Die Geschäftsfähigkeit eines volljährigen Menschen
Hat jemand, wie Karl, die Volljährigkeit erreicht, ist er also mindestens 18 Jahre alt (§ 2), so geht das Gesetz – ohne dies ausdrücklich zu regeln – davon aus, dass der Betreffende uneingeschränkt geschäftsfähig ist. Checken wir das mit dem „Tante-Lydia-Fall“ gegen.
Lydia gegen Karl
A. Tante Lydia könnte von Karl gem. § 985 die Herausgabe des 2 €-Stückes verlangen.
Dann müsste Tante Lydia Eigentümerin und Karl Besitzer ohne Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 S. 1 sein.
Ursprüngliche Eigentümerin war Lydia. Sie hat jedoch gem. § 929 S. 1 das Eigentum am Geld durch wirksame Einigung mit Karl, Übergabe an ihn, Einigsein und ihre vorhandene Berechtigung als Eigentümerin verloren, wenn Karl an seinem Geburtstag schon volljährig und damit geschäftsfähig war. Die für das Erreichen der Volljährigkeit maßgebliche Frist von 18 Jahren beginnt mit dem Tag der Geburt, hier am 24.8.10 und zwar gem. § 187 Abs. 2 S. 2 um 0.00 Uhr und endet somit gem. § 188 Abs. 2 2. Alt. am 23.08.28 um 24.00 Uhr. Also war Karl am 24.08.28 fähig, die für die Einigung notwendigen Willenserklärungen von Angebot und Annahme selbst wirksam abzugeben.
Also ist Lydia nicht mehr Eigentümerin. Lydia kann von Karl die Herausgabe des Geldes nicht gem. § 985 verlangen.

B. Tante Lydia könnte von Karl gem. § 812 Abs. 1 1. Alt. die Rückübereignung des 2 €-Stückes verlangen.
Das setzt voraus, dass Karl „etwas“ durch die „Leistung“ der Lydia „ohne Rechtsgrund“ erlangt hat.
Zwar hat Karl das Eigentum und den Besitz als ein Etwas, also vermögensrechtliche Positionen am Geld, durch die Leistung der Lydia erlangt. Diese Vermögensverschiebung erfolgte jedoch mit Rechtsgrund, nämlich aufgrund eines wirksamen Schenkungsvertrages gem. §§ 516 Abs. 1, 518 Abs. 1 S. 1, Abs. 2. Die fehlende Form wurde durch die wirksame Vornahme der Übereignung gem. § 929 S. 1 (s.o.) geheilt (sog. Handschenkung).
Also kann Lydia von Karl gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des Geldes nicht verlangen.

Der Grundsatz, dass man mit 18 Jahren als Volljähriger uneingeschränkt geschäftsfähig ist, erfährt eine Ausnahme durch die Regelung des § 104 Nr. 2, der bestimmte Fälle einer geistigen Erkrankung betrifft.
Geschäftsunfähig ist nach dieser Vorschrift auch der Volljährige unter folgenden Voraussetzungen: Er muss sich gerade bei der Abgabe seiner Willenserklärung in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, der seine freie Willensbestimmung ausschließt und seiner Natur nach nicht nur vorübergehend ist.
Die missverständliche Formulierung des § 104 Nr. 2 stellt also zwei Voraussetzungen auf:
● Der Betroffene muss zum einen an einem dauerhaften Krankheitszustand leiden, und zum anderen muss – was nicht selbstverständlich ist –
● seine Erkenntnisfähigkeit gerade im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung aufgrund dieser Krankheit ausgeschlossen gewesen sein.

Die Unterschiedlichkeit der beiden Anforderungen soll am Beispiel der phasenweisen geistigen Erkrankung deutlich werden:
Ist jemand etwa dauerhaft manisch-depressiv erkrankt, so ist er nur in solchen Phasen der Erkrankung geschäftsunfähig, in denen er krankheitsbedingt die Tragweite seiner Erklärungen nicht erkennen kann. Befindet er sich demgegenüber in einer Phase geistiger Klarheit, sog. lucidum intervallum, d.h. lichter Augenblick, so ist er auch voll geschäftsfähig.
Voraussetzung der Geschäftsunfähigkeit ist in diesen Fällen also immer, dass der Betreffende (wie der manisch-depressive Mensch) auf Dauer erkrankt ist. Handelt es sich bei der krankhaften Beeinträchtigung der Geistestätigkeit demgegenüber lediglich um einen vorübergehenden Zustand, so kommt eine Geschäftsunfähigkeit überhaupt nicht in Betracht § 104 Nr. 2 a.E., auf dessen Fallkonstellation sogleich zurückzukommen sein wird).
Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass unter den Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 ein Mensch selbstverständlich auch dann geschäftsunfähig ist, wenn er zwischen sieben und 18 Jahre alt ist, also ohne die Krankheit beschränkt geschäftsfähig wäre.

2. Willenserklärungen von und gegenüber Geschäftsunfähigen
● Gibt ein Geschäftsunfähiger, wie Fritz (§ 104), eine Willenserklärung ab, so ist diese gem. § 105 Abs. 1 nichtig. Der Gesetzgeber gibt diesem Personenkreis mit der Rechtsfolge aus § 105 Abs. 1 den besten juristischen Schutz, den er überhaupt geben kann: Seine Willenserklärungen lösen, egal ob vorteilhaft oder nachteilhaft, keine Rechtsfolgen aus. Punktum!
● Durch diese gesetzliche Regelung wird die Richtigkeit der obigen Definition der Geschäftsfähigkeit („Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam abzuschließen“) bestätigt. Jede andere Rechtsfolge wäre mit ihr nicht vereinbar.
● Wird eine empfangsbedürftige Willenserklärung nicht von, sondern gegenüber einem Geschäftsunfähigen abgegeben, so greift die Regelung des § 131 Abs. 1 ein: Die Willenserklärung ist nicht etwa auch unwirksam, sie wird aber erst wirksam mit Zugang bei dem „gesetzlichen Vertreter“ des Geschäftsunfähigen.
● Der Geschäftsunfähige wird also mit dem bestmöglichen juristischen „Rundumschutz“ versehen: Von ihm geht nichts ab (§ 105 Abs. 1) und ihm geht nichts zu (§ 131 Abs. 1). Mehr kann der Gesetzgeber für ihn einfach nicht tun.
Wer geschäftsunfähig ist, hat im Regelfall (Ausnahmen sind im Falle des § 104 Nr. 2 denkbar) einen gesetzlichen Vertreter, der an seiner Stelle und mit Wirkung für ihn am Rechtsverkehr teilnimmt. Bei den Minderjährigen sind regelmäßig gem. § 1629 Abs. 1 i.V. mit § 1626 Abs. 1 die Eltern gesetzliche Vertreter und in besonderen Fällen an ihrer Stelle gem. § 1793 ein Vormund. Schauen Sie doch einfach mal nach in diesen familienrechtlichen Vorschriften, es lohnt!
Diese Regelung reicht zum Schutze des Geschäftsunfähigen aus: Wird nämlich die Willenserklärung erst mit Zugang bei seinem gesetzlichen Vertreter wirksam, so kann dieser, wie jeder andere voll Geschäftsfähige, der am Rechtsleben teilnimmt, auch frei entscheiden, ob er – allerdings mit Wirkung für den von ihm vertretenen Geschäftsunfähigen – auf die Willenserklärung eingehen soll oder nicht, also z.B. ein in ihr enthaltenes Vertragsangebot annimmt oder ablehnt. Die einschneidendere Rechtsfolge der völligen Nichtigkeit der Willenserklärung, wie sie § 105 Abs. 1 für die durch den Geschäftsunfähigen abgegebene Willenserklärung anordnet, gebietet der Schutz des Geschäftsunfähigen beim Wirksamwerden durch Zugang also nicht.
Demonstriert werden soll das „Geschäftsunfähigenprogramm“ wiederum am „Tante-Lydia-Fall“!

Lydia gegen Fritz

A. Tante Lydia könnte von Fritz gem. § 985 die Herausgabe des Geldstückes verlangen.

Das setzt voraus, dass Lydia Eigentümerin ist und Fritz Besitzer ohne Recht zum Besitz i.S. von § 986.
1. Ursprüngliche Eigentümerin war Lydia. Sie könnte ihr Eigentum gem. § 929 S. 1 an Fritz verloren haben.
Dann müsste zwischen ihr und Fritz eine Einigung stattgefunden haben, das Geldstück müsste übergeben worden sein, zum Zeitpunkt der Übergabe müssten sich beide noch einig gewesen sein und Lydia müsste Berechtigte, d.h. verfügungsbefugte Eigentümerin gewesen sein.
a. Die Einigung ist ein dinglicher Vertrag und setzt sich gem. § 151 S. 1 aus wirksamem Angebot und wirksamer Annahme, die inhaltlich und zeitlich deckungsgleich sein müssen, zusammen.
aa. Ein vollständiges, präzises und mit Rechtsbindungswillen abgegebenes Angebot von Lydia zur Übertragung des Eigentums hat vorgelegen.
ab. Das Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Um im Rechtsverkehr wirksam zu werden, müsste es gem. § 130 Abs. 1 Fritz zugegangen sein. Da es sich um eine nicht verkörperte Willenserklärung unter Anwesenden handelt, geht es wirksam zu mit Vernehmen. Zwar hat Fritz das Angebot vernommen, jedoch könnte § 131 Abs. 1 einem Wirksamwerden des Angebots entgegenstehen. Das setzt voraus, dass Fritz geschäftsunfähig ist und das Angebot nicht seinen Eltern als dessen gesetzliche Vertreter (§§ 1629 Abs. 1, 1626 Abs. 1) wirksam zugegangen ist. Geschäftsunfähig ist gem. § 104 Nr. 1, wer nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat. Fritz ist 6 Jahre alt, also geschäftsunfähig. Auch ist seinen Eltern das Angebot nicht zugegangen. Dazu müsste es von Tante Lydia an diese gerichtet gewesen sein, ein rein zufälliges Mithören genügt nicht.
Also ist das Angebot gem. §§ 131 Abs. 1, 104 Nr. 1 nicht wirksam geworden.
ac. Im Übrigen wäre die Annahmeerklärung des Fritz gem. §§ 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 nichtig gewesen.
Also ist kein wirksamer Einigungsvertrag zwischen Lydia und Fritz zustande gekommen, folglich hat Lydia ihr Eigentum am Geldstück nicht gem. § 929 S. 1 verloren, also ist Lydia Eigentümerin geblieben.
2. Weiterhin müsste Fritz Besitzer sein. Besitzer ist gem. § 854 derjenige, der die tatsächliche Herrschaftsgewalt ausübt. Besitz ist kein Rechts-, sondern ein tatsächliches Verhältnis. Nötig ist die Erlangung der tatsächlichen Gewalt und ein Besitzbegründungswille. Dieser Wille ist kein rechtgeschäftlicher Wille, sondern ein natürlicher Wille, so dass die Geschäftsfähigkeit nicht Voraussetzung für den Besitzerwerb ist. („Ist das Fritzchen noch so klein, kann es doch Besitzer sein“). Fritz übt die tatsächliche Herrschaftsgewalt über das Geldstück aus und sein Wille ist reif genug, um sich auf diese Sachherrschaft richten zu können (natürlicher Wille).
Also ist Fritz Besitzer des Geldstückes gem. § 854.
3. Letztlich dürfte Fritz gegenüber der Eigentümerin Tante Lydia kein Recht zum Besitz i.S. von § 986 Abs. 1 S. 1 zustehen. Ein solches Besitzrecht könnte sich aus einem wirksamen Schenkungsvertrag gem. § 516 ergeben.
Ein Vertrag könnte gem. § 151 durch wirksames Angebot, wirksame Annahme und inhaltliche wie zeitliche Deckungsgleichheit zustande gekommen sein.
a. Ein vollständiges, präzises und mit Rechtsbindungswillen abgegebenes Angebot zum Abschluss eines Schenkungsvertrages ist konkludent (§§ 133, 157) im Darreichen des Geldstückes zu sehen.
b. Dieses Angebot ist jedoch gem. § 131 Abs. 1, 104 Nr. 1 nicht wirksam geworden, da Fritz – wie oben dargelegt – nicht geschäftsfähig ist.
c. Im Übrigen wäre auch die Annahmeerklärung des Fritz gem. § 104 Nr. 1, 105 Abs. 1 unwirksam.
Also ist zwischen Lydia und Fritz kein wirksamer Schenkungsvertrag gem. § 516 zustande gekommen.
Also hat Fritz gegenüber Lydia kein Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 S. 1.

Also kann Lydia von Fritz die Herausgabe des 2 €-Stückes gem. § 985 verlangen.

B. Tante Lydia könnte von Fritz gem. § 812 Abs. 1 S. 1 die Herausgabe des Geldstückes verlangen.
Das setzt voraus, dass Fritz durch die Leistung der Anspruchstellerin Lydia etwas ohne Rechtsgrund erlangt hat.
1. Ein „Etwas“ ist jede vermögenswerte Rechtsposition. Wie oben angezeigt, hat Fritz (zwar nicht das Eigentum, aber) den Besitz an dem Geldstück erlangt. Der Besitz stellt, wie man den Vorschriften über die Miete unschwer entnehmen kann, eine vermögenswerte Rechtsposition dar.
2. Eine Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens (im Regelfall: Vertrag). Lydia hat zum Zwecke der Erfüllung des vermeintlich wirksamen Schenkungsvertrages Fritz den Besitz am Geldstück verschafft, mithin geleistet.
3. Schließlich müsste diese Vermögensverschiebung am Besitz ohne Rechtsgrund erfolgt sein.
Als Rechtsgrund käme ein wirksamer Schenkungsvertrag gem. § 516 in Betracht.
Wie oben gezeigt, ist ein solcher wegen des Fehlens eines wirksamen (zugegangenen) Angebots seitens der Lydia nicht zustande gekommen, §§ 131 Abs. 1, 104 Nr. 1.
Also hat Lydia Fritz den Besitz am Geldstück ohne Rechtsgrund geleistet.
Also kann Lydia gem. § 812 Abs. 1 S. 1 von Fritz die Herausgabe des Erlangten, nämlich den Besitz, verlangen.
3. Die Wirksamkeit von Verträgen mit beschränkt Geschäftsfähigen
Nachdem soeben die Fragen der Wirksamkeit von Willenserklärungen, die von oder gegenüber einem Geschäftsunfähigen und von oder gegenüber einem Geschäftsfähigen abgegeben wurden, abgehandelt worden sind, soll nunmehr die gleiche Frage für die Gruppe der beschränkt Geschäftsfähigen erörtert werden.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen Willenserklärungen, die Bestandteil eines einseitigen Rechtsgeschäftes (dazu später), und solchen, die Bestandteil eines zweiseitigen Rechtsgeschäftes, also eines Vertrages, sind. Mit diesen haben wir uns zunächst zu beschäftigen.
Schließt ein beschränkt Geschäftsfähiger, also etwa eine Minderjährige wie Ottilie, die mindestens 7 aber noch keine 18 Jahre alt ist, einen Vertrag, so ist dieser gem. §§ 106, 107 nur dann sofort wirksam, wenn
● die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters zur Abgabe der Willenserklärung vorliegt oder
● der beschränkt Geschäftsfähige lediglich einen rechtlichen Vorteil durch seine Willenserklärung erlangt.

Durch diese Regelungen versucht der Gesetzgeber, dem unterschiedlichen Schutzbedürfnis des nur beschränkt Geschäftsfähigen Rechnung zu tragen: In allen Fällen, in denen er eine Verpflichtung eingeht oder für ihn aus sonstigen Gründen das Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, bedarf er der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (der ihn ja rechtlich „beschützt“). Bringt die Willenserklärung des beschränkt Geschäftsfähigen ihm dagegen lediglich einen rechtlichen Vorteil ein, so ist sie sogleich uneingeschränkt wirksam. Er braucht in diesem Fall ja keinen Schutz, da sie ausschließlich (lediglich) vorteilhaft sein muss.

Beispiel: Der 15-jährige Benjamin Blitz erhält die Erlaubnis seiner Eltern, sich von seinem ersparten Geld ein Fahrrad zu kaufen.
a. Benjamin kauft im Geschäft des Fahrradhändlers Siegfried Speich von diesem ein Fahrrad der Marke „Tretmühle“, an dem noch am selben Tage eine Gangschaltung montiert werden soll. Kann Benjamin am nächsten Tag die Auslieferung der „Tretmühle“ verlangen?
b. Im Geschäft des Herrn Speich entschließt sich Benjamin, anstatt des Fahrrades ein Mofa der Marke „Feuerstuhl“ von dem Geld zu erwerben. Beide werden sich auch hier einig, und Benjamin fährt mit dem Feuerstuhl nach Hause. Wer ist Eigentümer des Mofas?

● Die Einwilligung
Gibt der gesetzliche Vertreter des beschränkt Geschäftsfähigen (also gem. § 1629 Abs. 1 die Eltern oder gem. § 1793 der Vormund) seine Einwilligung zum Abschluss des Vertrages, so kann der beschränkt Geschäftsfähige anschließend wie ein uneingeschränkt Geschäftsfähiger den betreffenden Vertrag wirksam abschließen. Dieses findet seine Begründung darin, dass der notwendige Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen durch die für den gesetzlichen Vertreter bestehende Möglichkeit gewährleistet ist, vorher eine verantwortliche Entscheidung darüber zu treffen, ob er durch die Erteilung der Einwilligung den wirksamen Abschluss des Geschäftes durch den beschränkt Geschäftsfähigen ermöglichen will oder nicht.
Unter einer Einwilligung ist die vorherige Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Abgabe einer bestimmten Willenserklärung zu verstehen, unter Genehmigung die nachträgliche Zustimmung. Entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch werden im juristischen Sinne die Begriffe „Einwilligung“ und „Genehmigung“ sehr präzise nur für die Fälle der vorherigen oder nachträglichen Zustimmung gebraucht (§§ 183, 184, 185). Eine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters im Sinne des § 107 liegt also nur dann vor, wenn der gesetzliche Vertreter vor Abschluss des Geschäftes seine Zustimmung erteilt hat.
Ein Beispiel für das Vorliegen der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bildet der obige Fall mit der „Tretmühle“: Die Eltern als gesetzliche Vertreter von Benjamin (§ 1629 Abs. 1) haben diesem vor Abschluss des Vertrages mit Siegfried Speich den Kauf des Fahrrades gestattet, dem Abschluss des Kaufvertrages also zugestimmt.
Benjamin kann die Lieferung (Übergabe und Übereignung) des Fahrrades gem. § 433 Abs. 1 verlangen, weil durch die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen zwischen ihm und Speich ein Kaufvertrag über das Fahrrad zustande gekommen ist.
Benjamin ist zwar als 15-jähriger gem. §§ 2, 106 nur beschränkt geschäftsfähig; seine Vertragserklärung (Angebot oder Annahme) ist jedoch jeweils wirksam, weil die Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter vorlag, §§ 433, 183, 182.

● „Lediglich rechtlich vorteilhaft“
Ebenfalls wirksam sind Willenserklärungen von beschränkt Geschäftsfähigen, denen zwar nicht eine Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters zugrunde liegt, durch die der beschränkt Geschäftsfähige jedoch „lediglich einen rechtlichen Vorteil“ erlangt (§ 107). „Lediglich“ bedeutet: nur, weiter nichts als, ausschließlich.
Durch eine Willenserklärung erlangt der Erklärende einen lediglich rechtlichen Vorteil, wenn er eine für ihn günstige Rechtsposition erwirbt, ohne zugleich eine rechtliche Verpflichtung einzugehen.
Umgekehrt: Rechtlich nachteilig sind Willenserklärungen, durch die der beschränkt Geschäftsfähige eine schuldrechtliche Verpflichtung eingeht oder einen Rechtsverlust aus seinem Vermögen herbeiführt.

In diesem Zusammenhang müssen Sie streng das Abstraktionsprinzip anwenden! Dies bedeutet, dass für die Frage, ob das Rechtsgeschäft dem Erklärenden neben einem rechtlichen Vorteil auch rechtliche Nachteile einbringt, das Verpflichtungs- und das Verfügungsgeschäft streng isoliert zu untersuchen sind.
Dies sei Ihnen am obigen Beispiel „Feuerstuhl“ erläutert:
Nachdem ursprünglich Speich Eigentümer des Mofas gewesen war, ist Benjamin gem. § 929 S. 1 Eigentümer geworden, wenn neben der Übergabe eine wirksame Einigung zwischen beiden vorliegt. Beide waren sich einig, dass das Eigentum an dem Mofa auf Benjamin übergehen solle. Die Einigungserklärung von Benjamin ist jedoch gem. § 107 nur dann wirksam, wenn er durch sie lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, weil die ansonsten notwendige Einwilligung (§ 183) der Eltern von Benjamin nicht vorliegt. Diese waren zwar mit dem Erwerb eines Fahrrades, nicht jedoch eines Mofas einverstanden.
Benjamin erlangt tatsächlich lediglich einen rechtlichen Vorteil, da er durch die (abstrakte) Übereignung nach § 929 Eigentümer des Mofas wird, also einen ausschließlichen Vermögenszuwachs erfährt, ohne dass er unmittelbar und gerade durch die Übereignung auch einen rechtlichen Nachteil in Kauf nehmen müsste.
Ob Benjamin durch seine Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, ist allein bezogen auf die Übereignung und nicht etwa auf das gesamte Geschäft (Kaufvertrag, Übereignung des Geldes etc.) zu prüfen.
Demgegenüber ist der von der Übereignung getrennt zu prüfende Kaufvertrag für Benjamin wegen der schuldrechtlichen Zahlungsverpflichtung aus § 433 Abs. 2 rechtlich nachteilig, also gem. § 107 nicht lediglich rechtlich vorteilhaft; den Kaufvertrag über den „Feuerstuhl“ kann er also nicht alleine (ohne Eltern) bewerkstelligen.

Dies alles ist eine Auswirkung der juristischen Zirkusnummer „Abstraktionsprinzip“! Das Prinzip besagt ja, dass die Eingehung einer schuldrechtlichen Verpflichtung und die Erfüllung dieser Verpflichtung, also insbesondere die Wirksamkeit von Verfügungsgeschäften, im Rahmen juristischer Beurteilungen immer voneinander „getrennt“ behandelt werden müssen und die Wirksamkeit des einen Rechtsgeschäftes nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit des anderen Rechtsgeschäftes ist. Dies gilt auch dann, wenn – was in der täglichen Rechtspraxis überaus häufig ist – die Geschäfte gleichzeitig und durch ein und dieselbe Erklärung vorgenommen werden, also wie bei den sog. Bargeschäften des täglichen Lebens in einem Akt zusammenfallen.

Eine Vielzahl von folgenschweren Fehlern in Klausuren gerade im Zusammenhang mit der Geschäftsfähigkeit beruht auf der Vernachlässigung dieses Grundsatzes.
Noch einmal, ich wiederhole mich hier bewusst: Benjamin erlangt tatsächlich lediglich einen rechtlichen Vorteil durch die Übereignung; er wird nämlich Eigentümer des Mofas, ohne dass er gerade durch die Übereignung auch einen rechtlichen Nachteil in Kauf nehmen müsste. Als nicht lediglich vorteilhaft ist zwar die Verpflichtung von Benjamin anzusehen, den Kaufpreis zu begleichen, diese Verpflichtung ist jedoch Bestandteil des schuldrechtlichen Verpflichtungs-(Kauf-)vertrages und nicht der sachenrechtlichen Übereignung des Mofas. Benjamin ist somit gem. § 929 S. 1 Eigentümer des Mofas geworden.
Demgegenüber kann Speich die Bezahlung des Mofas gem. § 433 Abs. 2 nicht verlangen, weil – wie sich aus dem Vorstehenden ergibt – ein wirksamer Kaufvertrag zwischen ihm und Benjamin nicht zustande gekommen ist. Dieser bringt nämlich mit der Verpflichtung, den Kaufpreis zahlen zu müssen, für Benjamin wegen § 433 Abs. 2 nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil.

Die Erörterung der – naheliegenden – Frage, ob Speich aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des „Feuerstuhls“ verlangen kann, oder welche Rechte ihm sonst zustehen, kennen Sie schon. Sie soll Ihnen zur eigenständigen Arbeit im Anschluss an diesen Beitrag aber zur Wiederholung (Wieder(hervor)holung) überlassen bleiben.

Merken Sie sich bitte: Bei der Beurteilung der Frage, ob der beschränkt Geschäftsfähige durch eine Willenserklärung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, kommt es allein auf rechtliche und nicht etwa auf wirtschaftliche Vorteile an. Dies beruht auf Gründen der Rechtssicherheit und führt z.B. dazu, dass im obigen Fall b. der Kaufvertrag mit Siegfried Speich auch dann nicht wirksam zustande gekommen wäre, wenn etwa das als Sonderangebot für 150 € angebotene Mofa in Wahrheit einen Wert von 700 € hätte.

Bei der Prüfung eventueller rechtlicher Nachteile ist schließlich zu beachten, dass diese nur dann der Wirksamkeit der Willenserklärung entgegenstehen, wenn sie unmittelbar aus dem Abschluss des Rechtsgeschäftes herrühren.

So kann z.B. der Patenonkel dem Benjamin Blitz zu Weihnachten einen Rauhhaardackel schenken, obwohl Benjamin als Hundehalter für diesen Hundesteuer zu zahlen hat und mit der Tierhalter(gefährdungs)haftung des § 833 überzogen werden kann. Der Abschluss des Schenkungsvertrages kommt auch ohne Einwilligung der gesetzlichen Vertreter wirksam zwischen dem Patenonkel und Benjamin zustande, weil Benjamin aus § 516 Abs. 1 lediglich einen Anspruch auf Übereignung des Hundes erlangt, nicht aber eine rechtliche Verpflichtung übernimmt. Die Verpflichtung zur Zahlung der Hundesteuer sowie die Gefährdungshaftung des § 833 folgen erst mittelbar aus seiner späteren Stellung als Hundehalter und bleiben daher in diesem Zusammenhang bei der unmittelbaren rechtlichen Vorteilserlangung in Form des Eigentums am Dackel außer Betracht.

4. Der Fall des § 108 Abs. 1 BGB
Jetzt taucht Neues auf. Es wird kniffelig und zwar deshalb, weil der Gesetzgeber zum einen selbst ein wenig „geschludert“, zum anderen eine „geniale Idee“ geboren hat.
Liegt nun keine der beiden alternativen Voraussetzungen des § 107 vor (Einwilligung oder lediglich rechtlicher Vorteil), so ist die Willenserklärung nicht etwa – wie Sie aus dem Wortlaut der Vorschrift fälschlich ableiten könnten – sogleich unwirksam. Vielmehr räumt das Gesetz jetzt in § 108 Abs. 1 dem gesetzlichen Vertreter bei Verträgen die Möglichkeit ein, die vor Abgabe der vertraglichen Willenserklärung nicht erteilte Zustimmung in Form einer Einwilligung (§ 183) anschließend im Wege einer nachträglichen Zustimmung noch nachzuholen, die das Gesetz in § 184 Abs. 1 als Genehmigung bezeichnet.
Diese gesetzliche Regelung beruht auf der listigen Überlegung, dass es für den in diesem Zusammenhang allein maßgeblichen Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen unerheblich ist, ob sein gesetzlicher Vertreter vor oder nach Abschluss des Rechtsgeschäftes seine Zustimmung erteilt. In beiden Fällen tritt die Wirksamkeit des Vertrages nämlich nicht ohne Erteilung der Zustimmung ein. In beiden Fällen hat daher der gesetzliche Vertreter gleichermaßen die Möglichkeit, im Interesse des beschränkt Geschäftsfähigen zu prüfen, zu wägen und zu entscheiden, ob der Vertrag wirksam werden soll oder nicht. Einmal vor dem beabsichtigten Geschäft, zum anderen danach.
Die Bestimmung des § 184 Abs. 1 enthält noch eine weitere in diesem Zusammenhang bedeutsame Regelung: Die Genehmigung hat nämlich rückwirkende Kraft. Dies bedeutet, dass mit Erteilung der Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter der Vertrag, der bis dahin nicht wirksam war, rückwirkend, also vom Zeitpunkt seines Abschlusses an, voll wirksam wird.

Im obigen Beispielsfall „Feuerstuhl“ ist der Kaufvertrag zwischen Benjamin und Herrn Speich zunächst nicht über § 107 von Anfang an wirksam zustande gekommen, weil er Benjamin nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil verschafft (Benjamin ist verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen) und die deswegen erforderliche Einwilligung seiner Eltern nicht vorlag (diese hatten lediglich den Erwerb eines Fahrrades gestattet). Andererseits ist er auch nicht von Anfang an unwirksam. Gelingt es Benjamin nun z.B. zwei Tage später, von seinen Eltern die Erlaubnis zu ergattern, das Mofa zu behalten, so bewirkt die darin zu sehende Genehmigung der Eltern über § 184 Abs. 1, dass der Kaufvertrag zwischen Benjamin und Herrn Speich vom Zeitpunkt seines Abschlusses an rückwirkend wirksam zustande gekommen ist (§§ 433, 108 Abs. 1).
Die in diesen Fällen erforderliche Genehmigungserklärung kann der gesetzliche Vertreter sowohl gegenüber dem beschränkt Geschäftsfähigen als auch gegenüber dem Vertragspartner abgeben (§ 182 Abs. 1). Diese Wahlmöglichkeit besteht im Übrigen auch für die vor Abschluss des Geschäftes zu erteilende Einwilligung, wie sich aus der Verwendung des Oberbegriffs „Zustimmung“ im § 182 Abs. 1 ergibt.
Wird der beschränkt Geschäftsfähige „Benjamin“ selbst voll geschäftsfähig, bevor sein gesetzlicher Vertreter die Genehmigung erteilt oder verweigert hat, so steht gem. § 108 Abs. 3 nunmehr ihm das Recht selbst zu, durch Genehmigung die rückwirkende Wirksamkeit des Vertrages oder durch Verweigerung der Genehmigung dessen endgültige Unwirksamkeit herbeizuführen.
Die soeben erläuterte Rückwirkung der Genehmigung hat gem. § 184 Abs. 1 zur Folge, dass im Nachhinein gesehen das Rechtsgeschäft des beschränkt Geschäftsfähigen in ein und demselben Zeitpunkt getätigt und wirksam wird. Solange die Genehmigungserklärung allerdings noch nicht abgegeben ist, besteht ein Schwebezustand, der dadurch gekennzeichnet ist, dass einerseits der Vertrag noch nicht wirksam, andererseits der Vertragspartner Speich aber bereits nahezu genauso gebunden ist, als wäre dies schon der Fall. Da die Entscheidung über die Erteilung der Genehmigung oder ihre Verweigerung ohne sein Zutun erfolgt, muss er sich nämlich während der Schwebezeit immer damit rechnen, infolge einer jederzeit möglichen Genehmigung nunmehr uneingeschränkt vertraglich gebunden zu sein.

Man spricht zur Bezeichnung des Zeitraumes zwischen Abschluss und späterer Genehmigung des Vertrages (oder der Verweigerung der Genehmigung) geradezu bildhaft von der „schwebenden Unwirksamkeit“ des Vertrages.
Der Vertrag wird sozusagen dem gesetzlichen Vertreter auf dem „Silbertablett des § 108 Abs. 1“ zur Begutachtung vorgelegt. Er kann jetzt prüfen, ob der Vertrag für den Minderjährigen günstig oder ungünstig ist. Je nachdem erteilt er eine Genehmigung mit der Folge, „Vertrag wird gem. §§ 433, 108 Abs. 1, 184 wirksam“, oder er verweigert die Genehmigung mit der Folge, „Vertrag wird gem. §§ 433, 108 Abs. 1, 184 unwirksam“. Eine wirklich geniale Idee!

Da der Zustand der „schwebenden Unwirksamkeit“ des Vertrages – wie soeben dargestellt – besonders für den Vertragspartner Speich nachteilige Auswirkungen hat, räumt das Gesetz diesem zwei Möglichkeiten ein, den Schwebezustand zu beenden.
● So kann er, solange die Genehmigung nicht erteilt ist, in Abweichung von dem
Grundsatz, dass Vertragserklärungen bindend sind (§ 145 ff.), gem. § 109 Abs. 1 seinerseits seine Vertragserklärung – Angebot oder Annahme – widerrufen und so den Vertrag endgültig zu Fall bringen. Diese Möglichkeit ist allerdings durch § 109 Abs. 2 wegen mangelnder Schutzwürdigkeit des Vertragspartners in den Fällen eingeschränkt, in denen er wusste, dass er den Vertrag mit einem beschränkt Geschäftsfähigen abschloss. Er kann dann nur widerrufen, wenn der beschränkt Geschäftsfähige wahrheitswidrig behauptet hat, es liege die Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters vor. Auch in diesem Fall kann der Vertragspartner allerdings nicht widerrufen, wenn er wusste, dass diese Behauptung nicht zutraf.
● Will der Vertragspartner sich nicht durch Widerruf vom Vertrag lösen, aber den inzwischen eingetretenen Schwebezustand beenden, so kann er aufgrund der Regelung des § 108 Abs. 2 eine Entscheidung über die endgültige Wirksamkeit des Vertrages erzwingen. Speich kann dazu den gesetzlichen Vertreter seines beschränkt geschäftsfähigen Vertragspartners zur Erklärung darüber aufzufordern, ob die Genehmigung erteilt werde oder nicht. Diese Aufforderung bewirkt zunächst, dass eine Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung, die der gesetzliche Vertreter in Wahrnehmung seines bereits erwähnten Wahlrechtes aus § 182 Abs. 1 gegenüber dem beschränkt Geschäftsfähigen selbst (!) schon erklärt hat, automatisch unwirksam wird. Weiter bewirkt diese Aufforderung unter Einschränkung des § 182 Abs. 1, dass die Genehmigung der Eltern nunmehr nur noch gegenüber dem auffordernden Vertragspartner und nur noch bis zum Ablauf von zwei Wochen nach dem Empfang der Aufforderung wirksam erklärt werden kann. Erfolgt bis dahin keine Genehmigung, so gilt sie als verweigert. Schweigen fingiert hier ausnahmsweise eine ablehnende Willenserklärung.

Zusammenfassend können wir schon einmal grob feststellen, dass ein Vertrag, an dem ein beschränkt Geschäftsfähiger beteiligt ist,
● entweder – nämlich unter den Voraussetzungen des § 107 – sofort wirksam
● oder bis zu einer Entscheidung über die Genehmigung des Vertrages gem. § 108 Abs. 1 schwebend unwirksam ist.

Der Schwebezustand kann beendet werden,
● indem der Vertragspartner widerruft (§ 109 Abs. 1),
● der Vertragspartner die 2-Wochen-Frist auslöst
● oder indem die Eltern genehmigen oder die Genehmigung verweigern.

5. Der Vertrag „an sich“
Beide Fälle, § 107 einerseits und §§ 108 Abs. 1, 184 Abs. 1 andererseits, setzen allerdings voraus, dass die allgemeinen Regeln über den Vertragsschluss beachtet sind. Der Vertrag „an sich“, d.h. unter Ausblendung der Beteiligung des beschränkt geschäftsfähigen Minderjährigen, muss ordnungsgemäß zustande gekommen sein.
Dies bedeutet z.B., dass auch bei Einwilligung der Eltern im Fall a. „Tretmühle“ der Vertrag zwischen Benjamin und Speich solange nicht zustande kommt, wie nicht objektiv zwei sich deckende Willenserklärungen nach unserer 6-Säulen-Theorie abgegeben wurden.

Bei der mithin notwendigen Prüfung der Frage, ob überhaupt zwei sich deckende Willenserklärungen vorliegen, taucht ein Paradoxität auf, die in der beschränkten Geschäftsfähigkeit des einen Vertragspartners begründet und zunächst bewusst zurückgestellt worden ist. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass die einzelnen Willenserklärungen, Angebot und Annahme, trotz der beschränkten Geschäftsfähigkeit des einen oder beider Beteiligten ohne weiteres wirksam werden.
Wir müssen jetzt die Frage untersuchen, ob denn die Willenserklärungen Angebot und Annahme, die den Vertrag unter Beteiligung beschränkt Geschäftsfähiger bilden sollen, ihrerseits überhaupt wirksam werden können. Hierzu ist danach zu differenzieren, ob der beschränkt Geschäftsfähige die Willenserklärung abgibt oder sie ihm gegenüber abgegeben wird.
Bei jedem Vertragsschluss ist der beschränkt Geschäftsfähige allerdings in beiden Funktionen beteiligt: Entweder nimmt er zunächst ein ihm gegenüber abgegebenes Angebot als Empfänger entgegen und gibt dann seinerseits die Annahmeerklärung ab oder der beschränkt Geschäftsfähige macht zunächst das Angebot und nimmt sodann die Annahmeerklärung seines Vertragspartners als Empfänger entgegen.
● Die Abgabe der Willenserklärung durch den beschränkt Geschäftsfähigen
Diese ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 107 sogleich wirksam, wenn dessen Voraussetzungen (Einwilligung oder Erlangung eines lediglich rechtlichen Vorteils) vorliegen. Ist dies nicht der Fall und handelt es sich wie bei allen bisher erörterten Fällen um eine Willenserklärung des beschränkt Geschäftsfähigen, die zum Abschluss eines Vertrages führen soll (Vertragserklärung), so wird die Willenserklärung ebenfalls sogleich wirksam, weil sich eine abweichende Regelung im Gesetz nicht findet. Eine derartige Regelung ist auch nicht erforderlich, weil der Schutz des beschränkt Geschäftsfähigen in diesen Fällen schon durch das bereits erläuterte Genehmigungserfordernis aus § 108 Abs. 1 gewährleistet wird.
● Die Abgabe einer Willenserklärung gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen
Hierzu hat der Gesetzgeber in § 131 Abs. 2, Abs. 1 eine ausdrückliche Regelung getroffen: Danach wird die Willenserklärung grundsätzlich erst dann wirksam, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter des beschränkt Geschäftsfähigen zugeht.
Schon mit dem Zugang bei dem beschränkt Geschäftsfähigen wird die Willenserklärung demgegenüber nur in zwei Ausnahmefällen wirksam, nämlich dann, wenn die Erklärung dem beschränkt Geschäftsfähigen lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt oder der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilt hat.
Wie wir schon gesehen haben, kann der beschränkt Geschäftsfähige je nach Fallkonstellation entweder das Angebot des Vertragspartners oder dessen Vertragsannahme entgegennehmen.
 Geht bei einem beschränkt Geschäftsfähigen ein Vertragsangebot ein, so wird es mit diesem Zugang bei ihm wirksam. Denn die Entgegennahme eines Vertragsangebotes stellt lediglich einen rechtlichen Vorteil dar: Die Rechtslage verbessert sich für den beschränkt Geschäftsfähigen, weil dieser in die Lage versetzt wird, durch die Annahme des Angebotes einen Vertrag zu schließen; er gewinnt an Rechtsmacht. Dem steht ein rechtlicher Nachteil noch nicht gegenüber, weil der beschränkt Geschäftsfähige zur Annahme des Angebotes nicht gezwungen ist.
 Anders ist die Situation nun aber für die Entgegennahme der Vertragsannahme. Diese stellt im Regelfall keinen lediglich rechtlichen Vorteil dar, weil durch das Wirksamwerden der Annahmeerklärung nach den allgemeinen Regeln der Vertrag zustande kommt und so (zumeist) auch rechtliche Nachteile für den beschränkt Geschäftsfähigen entstehen, wie z.B. die Zahlungspflicht nach § 433 Abs. 2. Liegt in diesem Fall auch keine Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vor, so kann die Willenserklärung nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 erst mit Zugang bei dem gesetzlichen Vertreter wirksam werden.

Dieses Ergebnis würde allerdings zu der eben als Paradoxität bezeichneten Konsequenz führen, dass für die Anwendung der §§ 108, 184 kein Raum bliebe: Denn die durch diese Vorschriften vorgesehene Genehmigung würde nicht zur Wirksamkeit des Vertrages führen können, weil nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 131 Abs. 2 eine solche Willenserklärung nicht durch Genehmigung nachträglich Wirksamkeit erlangen kann. Aus diesem Grunde ist § 131 Abs. 2 über seinen Wortlaut hinaus erweiternd dahin auszulegen, dass gem. §§ 108 Abs. 1, 184 Abs. 1 auch solche Verträge durch Genehmigung nachträglich rückwirkend wirksam werden, bei denen das sich aus § 131 Abs. 2 S. 1 i.V. mit Abs. 1 ergebende Zugangserfordernis bei dem gesetzlichen Vertreter nicht eingehalten worden ist (vgl. BGHZ 47, 352, 358).
Im Übrigen: Wenn § 108 Abs. 1 das Tatbestandsmerkmal „Vertrag“ voraussetzt und gleichzeitig § 131 Abs. 2 Anwendung fände, so würde sich das Gesetz selbst ad absurdum führen, da ja mit § 131 Abs. 2 gerade kein „Vertrag“ zustande käme. Kann aber das Gesetz etwas Absurdes verlangen? Nein! Deshalb fällt die Prüfung des § 131 Abs. 2 im Rahmen des § 108 Abs. 1 flach! § 131 Abs. 2 gilt ab jetzt nur noch für den Zugang einseitiger Willenserklärungen gegenüber einem beschränkt Geschäftsfähigen.
Für die Lösung von Fällen in Klausuren ermöglicht das soeben erarbeitete Ergebnis eine Vereinfachung, die wir gleich bei den Aufbaufragen praktisch-technisch kennen lernen werden: Bei der Untersuchung der Frage, ob die dem beschränkt Geschäftsfähigen gegenüber abgegebene Erklärung der Annahme eines Vertragsangebotes wirksam geworden ist, braucht die Frage des Zuganges der Willenserklärung (auch) bei dem gesetzlichen Vertreter nicht erörtert zu werden, da das Fehlen keine rechtlichen Auswirkungen hat. Es braucht auch nicht etwa in der Klausur erläutert zu werden, warum das nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 2 eigentlich erforderliche Zugangserfordernis bei den Eltern nicht näher erörtert wird. (Das Paradoxe besteht darin, dass § 108 Abs. 1 einen „Vertrag“ voraussetzt, der nach § 131 Abs. 2 niemals zustande kommen könnte!)
Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass in diesen Fällen auf das Zugangserfordernis generell verzichtet werden könnte. Die vorstehenden Ausführungen ändern vielmehr nichts daran, dass unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 eine gegenüber dem beschränkt Geschäftsfähigen abgegebene Willenserklärung erst mit Zugang bei diesem wirksam wird. Lediglich auf den nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 2 daneben notwendigen Zugang der Willenserklärung bei dem gesetzlichen Vertreter des beschränkt Geschäftsfähigen kommt es bei den Vertragserklärungen aus den oben dargelegten Gründen nicht an.

6. Aufbaufragen, Musterbeispiele für juristische Kunst
Die verschiedenen, sich aus der gesetzlichen Regelung der §§ 106, 107, 108 ergebenden Prüfungspunkte sind verwirrend. Dennoch müssen Sie in einer Klausur alles in systematischer Reihenfolge, logisch und vollständig erörtern. Dabei hat sich ein bestimmter „Aufbau“ in der Praxis bewährt. Es handelt sich nicht um ein starres Aufbauschema, das unbedingt eingehalten werden müsste. Auch jede andere Prüfungsreihenfolge, die systematisch alle sich ergebenden Fragen erfasst, können Sie Ihren Klausuren zugrunde legen. Ich finde nachfolgende Darstellung allerdings am besten:
 Wenn Sie auf einen Vertrag unter Beteiligung eines beschränkt Geschäftsfähigen stoßen, dann steuern Sie sofort auf die Rechtsfolge der §§ 106, 108 Abs. 1 – schwebende Unwirksamkeit – zu.
Dies geschieht am besten durch eine Formulierung wie: „… Da Benjamin erst 15 Jahre alt ist, könnte der Kaufvertrag gem. §§ 433, 106, 108 Abs. 1 schwebend unwirksam sein.“
Dieser direkte Einstieg hat damit zu tun, dass § 108 Abs. 1 m.E. eine Spezialvorschrift für sämtliche Verträge unter Beteiligung eines beschränkt Geschäftsfähigen ist.
Wählten Sie diesen direkten Einstieg nicht und würden die Grundvoraussetzungen eines Vertragsschlusses, nämlich zwei sich deckende, wirksam gewordene Willenserklärungen prüfen, müssten Sie klar machen, warum Sie die Problematik des § 131 Abs. 2 nicht erwähnen. Prüften Sie losgelöst von der beschränkten Geschäftsfähigkeit des Beteiligten Benjamin die Voraussetzungen der 6 Säulen des Vertrages außerhalb des § 108 Abs. 1, würde jeder Leser Sie fragen: „Ja, warum geht der denn einfach über § 131 Abs. 2 hinweg?“ „Versteh ich nicht!“ Steigen Sie aber direkt über § 108 Abs. 1 ein, weiß jeder Kundige, dass Sie die Spezialnorm des § 108 Abs. 1 anziehen. Diese sieht aber gerade als Tatbestandsmerkmal einen „Vertrag“ des Minderjährigen vor, der zwar zur Schwebe gebracht werden kann, aber in seinen objektiven Bestandteilen vorhanden sein muss (Säule 1-6). Hier muss der Gesetzgeber logischerweise einen „Vertrag an sich“, also einen objektiven Vertragsschluss unter Ausblendung der Minderjährigkeit, vorgesehen haben, anderenfalls der § 108 Abs. 1 keinen Sinn machte. Es drehte sich alles im Kreise wie bei der berühmten Katze, die sich immer in den Schwanz beißt.
 Anschließend prüfen Sie, ob die Tatbestandsmerkmale des § 108 Abs. 1 (die Wenn’s) vorliegen oder nicht.
§ 108 Abs. 1 setzt voraus, dass
 ein beschränkt Geschäftsfähiger beteiligt ist,
 ein „Vertrag an sich“, d.h. unter Ausblendung der beschränkten Geschäftsfähigkeit, zustande gekommen ist,
 die Einwilligung gem. § 107 erforderlich ist und
 diese Einwilligung nicht vorliegt.
Also: Rechtsfolge „schwebende Unwirksamkeit“ gem. § 108 Abs. 1 immer an die Spitze!

 Konkret am Fall „Feuerstuhl“:
 Speich könnte von Benjamin gem. § 433 Abs. 2 den Kaufpreis i.H.v. … € verlangen.
 Das setzt voraus, dass zwischen ihm und Benjamin ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen ist.
 Da Benjamin als 15-jähriger am Vertragsschluss beteiligt ist, könnte der Kaufvertrag gem. §§ 433, 108 Abs. 1 schwebend unwirksam sein.
 Benjamin ist erst 15 Jahre alt und somit gem. §§ 106, 2 beschränkt geschäftsfähig.
 Der Vertrag „an sich“, d.h. unter Ausblendung der Minderjährigkeit des Benjamin, ist zwischen ihm und Speich fraglos zustande gekommen.
 Die Einwilligung ist gem. §§ 106, 107 erforderlich, wenn der beschränkt Geschäftsfähige nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Durch den Kaufvertrag erlangt Benjamin zwar § 433 Abs. 1, aber § 433 Abs. 2 … (hier folgt die Subsumtion zum rechtlichen Vorteil). Also war die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erforderlich.
 Die Einwilligung ist gem. § 183 die vorherige Zustimmung. Gesetzliche Vertreter des Benjamin sind gem. §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 dessen Eltern. Diese waren nur mit dem Kauf eines Fahrrades, nicht aber eines Mofas einverstanden; die erforderliche Einwilligung lag daher nicht vor.
 Also ist der Kaufvertrag zunächst gem. § 108 Abs. 1 schwebend unwirksam. (Nämlich deshalb, weil alle Tatbestandsmerkmale des § 108 Abs. 1 vorliegen)
Oder: „Also ist der Kaufvertrag von Anfang an wirksam“. (Nämlich deshalb, weil die Einwilligung nicht erforderlich war (§ 107) oder die Einwilligung (§ 183) vorlag (Fall „Tretmühle“))

Taucht also eine Person zwischen 7 und 18 Jahren im Sachverhalt im Zusammenhang mit Verträgen auf: Rein in den § 108 Abs. 1!

Das sollten wir einmal bei Ottilie mit unserer schon verinnerlichten Gutachtentechnik im „Tante-Lydia-Fall“ üben.

Tante Lydia gegen Ottilie

A. Tante Lydia könnte von Ottilie gem. § 985 die Herausgabe des Geldstücks verlangen.
Dann müsste Lydia Eigentümerin und Ottilie Besitzerin ohne Recht zum Besitz gem. § 986 Abs. 1 S. 1 sein.
Ursprüngliche Eigentümerin war Lydia. Sie könnte ihr Eigentum gem. § 929 S. 1 an die 14-jährigeOttilie verloren haben.
Das setzt voraus, dass zwischen ihr und Ottilie eine Einigung stattgefunden hat, das Geldstück übergeben worden ist, sich beide zum Zeitpunkt der Übergabe noch einig waren und Lydia Berechtigte, d.h. verfügungsbefugte Eigentümerin war.
1. Die Einigung ist ein dinglicher Vertrag. Da an dem Vertragsschluss ein Minderjähriger, der das 7. Lebensjahr vollendet hat (vgl. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 2. Alt.), beteiligt ist, könnte der Vertrag gem. § 108 Abs. 1 schwebend unwirksam sein. (§ 108 Abs. 1 ist eben eine Spezialprüfungseingangsvorschrift für sämtliche Verträge, an denen beschränkt Geschäftsfähige beteiligt sind.) Das setzt voraus, dass Ottilie beschränkt geschäftsfähig ist, ein Einigungsvertrag „an sich“, d.h. unter Ausblendung der Minderjährigkeit, zustande gekommen ist, eine Einwilligung erforderlich war und eine solche nicht vorliegt.
a. Ottilie ist 14 Jahre alt und somit gem. §§ 2, 106 beschränkt geschäftsfähig.
b. Ein Vertrag kommt zustande durch wirksames Angebot und wirksame Annahme gem. § 151. Ein Einigungsvertrag „an sich“ ist zwischen Lydia und Ottilie abgeschossen worden, da beide darüber einig waren, dass das Eigentum an dem 2 €-Stück von Lydia auf Ottilie übergehen sollte. (In diesem Zusammenhang bleibt die beschränkte Geschäftsfähigkeit der Ottilie unberücksichtigt.) Also ist ein Vertrag „an sich“ zustande gekommen.
c. Eine Einwilligung ist gem. § 107 erforderlich, wenn der Minderjährige durch das Rechtsgeschäft nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Rechtlich nachteilig sind alle Geschäfte, durch welche der beschränkt Geschäftsfähige eine schuldrechtliche Verpflichtung eingeht oder einen rechtlichen Vermögensverlust erleidet. Bei dem Eigentumserwerb („Abstraktionsprinzip“) erfährt die Ottilie einen Eigentumszuwachs, also einen lediglich rechtlichen Vorteil. Also war eine Einwilligung der gesetzlichen Vertreter (Eltern) nicht erforderlich, das ausdrückliche Verbot der Eltern ist irrelevant.
Also ist der Einigungsvertrag zwischen Lydia und Ottilie nicht schwebend unwirksam: Er ist von Anfang an wirksam.
Eine wirksame Einigung zwischen Lydia und Ottilie gem. § 929 liegt vor.
2. Weiterhin müsste das Geldstück übergeben worden sein. Da ein tatsächlicher Besitzwechsel stattgefunden hat, liegt eine Übergabe an Ottilie vor.
3. Da ein mehraktiger Tatbestand vorliegt, nämlich Einigung und Übergabe, muss zum Zeitpunkt des Vollzugsmomentes (Übergabe) das Willensmoment Einigung noch andauern. (Allgemeiner Rechtsgedanke aus § 873 Abs. 2.) Zum Zeitpunkt der Übergabe wirkte die Einigung zwischen den Beteiligten noch fort.
Also waren sich beide noch einig.
4. Letztlich müsste Lydia berechtigte Eigentümerin des 2 €-Stücks gewesen sein. Lydia war verfügungsbefugte Rechtsinhaberin, also berechtigte Eigentümerin.
Also ist das Eigentum wirksam von Lydia auf Ottilie gem. § 929 S. 1 übergegangen, Lydia ist nicht mehr Eigentümerin.
Also kann Lydia das 2 €-Stück nicht gem. § 985 von Ottilie herausverlangen.

B. Tante Lydia könnte von Ottilie gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des Geldstückes (Herausgabe des Erlangten) verlangen.
Das setzt voraus, dass Ottilie als Anspruchsgegnerin ein „Etwas“ durch die Leistung der Antragstellerin Lydia ohne Rechtsgrund erlangt hat. (§ 812 Abs. 1 ist ein juristischer Mechanismus zum Ausgleich der Härten, die durch das Abstraktionsprinzip eintreten. Ist das Verpflichtungsgeschäft aus irgendeinem Grund unwirksam, das Verfügungsgeschäft aber wirksam – liegt also eine ungerechtfertigte (durch keinen Schuldgrund gedeckte) Bereicherung (auf Verfügungsebene) vor – so muss rückabgewickelt werden.)
1. Ein „Etwas“ ist jede vermögensrechtliche Position. Wie oben gezeigt, hat Ottilie Eigentum und Besitz am Geld erlangt, mithin ein „Etwas“.
2. Eine Leistung ist jede bewusste zweckgerichtete Vermehrung fremden Vermögens in Erfüllung einer bestehenden oder vermeintlich bestehenden Verbindlichkeit (Verpflichtung, schuldrechtlicher Vertrag). Lydia hat Ottilie das Eigentum und den Besitz verschafft in der Meinung, aufgrund eines Schenkungsvertrages dazu verpflichtet zu sein.
3. Letztlich müsste diese Vermögensverschiebung ohne Rechtsgrund erfolgt sein. Als Rechtsgrund kommt ein wirksamer Schenkungsvertrag gem. § 516 in Betracht. Ein Vertrag kommt gem. § 151 durch wirksames Angebot und wirksame Annahme zustande. Da Ottilie erst 14 Jahre alt ist, könnte der Schenkungsvertrag gem. § 108 Abs. 1 schwebend unwirksam sein. Das setzt voraus, dass ein beschränkt Geschäftsfähiger am Vertrag beteiligt ist, der Vertrag „an sich“ zustande gekommen ist, die Einwilligung erforderlich ist und eine solche nicht vorliegt.
a. Ottilie ist gem. §§ 2, 106 beschränkt geschäftsfähig.
b. Der durch wirksames Angebot und wirksame Annahme geschlossene Schenkungsvertrag könnte aber gem. § 125 S. 1 nichtig sein. Das setzt voraus, dass gegen eine gesetzlich vorgeschriebene Form verstoßen worden ist. Gem. § 518 Abs. 1 bedarf das Schenkungsversprechen der Lydia der notariellen Beurkundung. Diese Form ist nicht eingehalten worden. Gem. § 518 Abs. 2 wird aber der Mangel der Form durch die (wirksame!!) Bewirkung der Leistung geheilt (Handschenkung). Da – wie oben dargelegt – Lydia das Geldstück wirksam gem. § 929 S. 1 an Ottilie übereignet hat, ist der Mangel der Form gem. § 518 Abs. 2 geheilt.
Also ist ein Vertrag „an sich“ zwischen Lydia und Ottilie zustande gekommen.
c. Eine Einwilligung ist gem. § 107 erforderlich, wenn der beschränkt Geschäftsfähige nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Rechtlich vorteilhaft sind alle Rechtsgeschäfte, durch die der beschränkt Geschäftsfähige keine schuldrechtliche Verpflichtung eingeht und keinen Rechtsverlust aus seinem Vermögen erleidet. Durch einen Schenkungsvertrag als einseitig verpflichtender Vertrag entsteht keine Verpflichtung der Ottilie; also ist die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter nicht erforderlich.
Der Schenkungsvertrag ist also nicht schwebend unwirksam gem. § 108 Abs. 1, sondern wirksam; er ist damit Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung.

Somit kann Lydia von Ottilie nicht gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. die Rückübereignung des Geldstückes verlangen.

Hoffentlich vergessen Sie Tante Lydia und ihre Neffen und Nichte nie mehr!