Erfolgreich ist der Jurastudent, der sich klar definierte End- und Zwischenziele setzt, sich genau überlegt, in welcher Schrittfolge er sie wann erreichen will und welche Fehler es zu vermeiden gilt. Dazu gibt es viele Ansätze! Nur eines muss man eben immer: den ersten Schritt in die richtige Richtung tun. Und der liegt in der Studien-eingangsphase. Die Studieneingangsphase ist nicht zum Sich-mal-Umsehen da, sondern zum genauesten Hinsehen auf Studium und Examen. Sie werden es kaum glauben: Es ist der wichtigste Teil Ihrer Examensvorbereitung! Sie müssen den Anfang Ihres Studiums mehr vom Ende Ihres Studiums her denken, einem erfolgreichen Examen, und klar stellen, welch überragend wichtige Anteile davon in der Studieneingangsphase erreicht werden sollen. Das Planungsmotto: „Wir fangen erst mal mit Jura an, dann sehen wir weiter“ mag sich für die Planung eines kreativen Events eignen, nicht aber für die Strategie eines Jurastudiums. Es gibt zu viele, die scheitern. Die Ursachen lassen sich fast immer auf Fehler zurückführen, die in den ersten 90 Tagen gemacht worden sind, eben in der Studieneingangsphase.
Und deshalb gleich zu Beginn die sechs Hauptfehler in der Studieneingangsphase, die man für einen gelungenen Anfang unbedingt kennen muss, um sie zu vermeiden.
1. Der Student fängt zu spät mit dem disziplinierten „Studieren“ an. Der Studienbeginn mit seinem juristischen Denken und Arbeiten muss vorverlagert werden auf den ersten Tag des ersten Semesters. Der Berg darf sich gar nicht erst aufbauen. Der Student erfasst nicht, dass das 1. Semester bereits ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Teil seiner Examensvorbereitung ist.
2. Der Student begreift sich selbst nicht als verantwortlich für seine Lernerfolge. „Irgendwann werde ich es schon packen, dafür sind die Professoren doch da!“ Nein, Sie sind auch dafür da! Schuld sind nicht immer die Anderen.
3. Der Student erkennt – wenn überhaupt – zu spät die Kernbereiche und das für das Examen Relevante, verliert sich in den Weiten des Nebensächlichen und hält sich für dumm. Die Dissoziierung tut dem Studenten des Anfangs besonders weh.
4. Der Student beherrscht nicht das Lernen des juristischen Lernens. Das wäre aber angesichts der unfassbaren Stoffmengen besonders wichtig. Ohne das gelernte Lernen „säuft“ er ab.
5. Dem Studenten fällt die Wissensübertragung auf unbekannte Fälle schwer. Er beherrscht nicht den Blick für den Transfer von abstraktem Wissen auf den konkreten Fall. Ihm fehlt die Klausurentechnik!
6. Der Student unterschätzt die alles ent-„scheidende“ Bedeutung der Sekundärtugenden von Fleiß und Disziplin und glaubt zu lange, mit schulischen Lerngewohnheiten durchzukommen.
Und damit wird der Berg dann unbezwingbar.
Was in den Juristischen Fakultäten fehlt, ist das „Missing Link“ zwischen der „Schul-Welt“ der frischen Abiturienten und der „Hochschul-Welt“ der jungen Jurastudenten. Der juristische Geist wird viel zu früh von der Kette gelassen und irrt in den ersten Klausuren ziellos umher. Das Allmähliche ist die passende Gangart für das Orientierungswissen des ersten Semesters, nicht der Galopp. Schritt vor Schritt, der Aufbau des Studiums entwächst aus der Logik der Schritte.
Das 21. Jahrhundert wird von Algorithmen beherrscht. Auch die Studieneingangsphase in das juristische Studium ist ein solcher Algorithmus. Ein Algorithmus ist eine methodische Abfolge von Schritten, mit deren Hilfe Berechnungen angestellt, Probleme gelöst und Entscheidungen getroffen werden können.
Eine algorithmische Schrittfolge für die Studieneingangsphase könnte in etwa so aussehen:
1. Schritt: Ich muss feststellen, ob ich für Jura motiviert und geeignet bin.
2. Schritt: Ich muss mich über die Länge des Jurastudiums, seine Inhalte, seine Anforderungen, seinen Ablauf und seine Leistungskontrollen umfänglich vorab informieren.
3. Schritt: Ich muss mir klar darüber werden, was sich auf meinem Weg vom Abiturienten zum Jurastudenten für mich persönlich ändert.
4. Schritt: Ich muss wissen, was die Vielfältigkeit der Juristen ausmacht und wie man ein solcher Jurist wird.
5. Schritt: Ich muss den Studienaufbau kennen, einen Überblick über die Vorlesungen, deren Inhalte und deren Quantitäten gewinnen und wissen, was mich an Professoren, Kommilitonen und Curricula erwartet.
6. Schritt: Ich muss eine individuell angepasste Studienstrategie entwickeln, mir meinen ganz persönlichen Studienplan zusammenstellen und beides mit meinen privaten Freizeitbeschäftigungen abgleichen.
7. Schritt: Ich muss entdecken, was es mit den juristischen Gegenständen „Recht“, „Gesetz“, „Rechtssprache“ und „Rechtswissenschaft“ auf sich hat.
8. Schritt: Ich muss das System der Rechtsordnung erfassen und die ersten Studieninhalte aus BGB, StGB und GG darin einordnen können.
9. Schritt: Ich muss die Paragrafen aus den Gesetzen BGB AT, StGB AT und die Artikel der Grundrechte auseinandernehmen und wieder zusammenbauen können.
10. Schritt: Ich muss einüben, juristisch zu denken und zu arbeiten, also lernen, mit den Antwortnormen der Anspruchsgrundlagen und Straftatbeständen umzugehen, sie zu erschließen und in Fällen zu bearbeiten.
11. Schritt: Ich muss das Handwerk der juristischen Methodik in Gestalt von Gesetzeskunde, Auslegung, Gutachten und Subsumtion beherrschen.
12. Schritt: Ich muss Definition definieren, Tatbestandsmerkmale nach allen Richtungen hin auslegen und gutachtliche Präsentationen in BGB und StGB inszenieren können.
13. Schritt: Ich muss wissen, wie ich Vorlesungen optimieren, die Literaturlawine bändigen und juristische Texte individuell erarbeiten kann.
14. Schritt: Ich muss lernen, juristisch zu lernen, indem ich meinen Studienalltag plane, Lerneinheiten intensiviere, das Assoziations- und Baumdiagrammlernen schule, die Komplexität reduziere und … mir die Erfahrungen Erfahrener zu eigen mache.
15. Schritt: Ich muss ständig die Klausurentaktik und Klausurentechnik erst am Normalfall, dann erst am Exoten erproben.
16. Schritt: Ich muss die Sekundärtugenden Fließ, Disziplin und Ordnung aufbauen.
17. Schritt: Ich muss der Rechtswirklichkeit bei einem Gang durch die Gerichtstempel einen Besuch abstatten, um auch die Praxis einmal zu schauen.
Es gibt Tausende von Juraeinsteigern an Hunderten von Universitäten und Hochschulen. Der Algorithmus der Studieneingangsphase aber bleibt für alle der gleiche! Und genau den werden wir ab jetzt einhalten!
Ein wesentliches Merkmal des misslungenen Studieneingangs ist das Hineinstolpern in diese beschriebene Schrittfolge. Wenn der juristische Problemzuwachs schneller steigt als die juristischen Problemverarbeitungskapazitäten des Studenten, ist die methodische Abfolge missglückt. Eine Zeit der zwei Geschwindigkeiten erlebt man im Hörsaal: Der juristische Stoff bewegt sich viel schneller als das jurastudentische Bewusstsein. Weite Kreise der jungen Juraeinsteiger sind deshalb gerade im Anfang ständig Misserfolgserlebnissen ausgesetzt. Sie fühlen sich geradezu überrumpelt. Sie verstehen wenig und werden mutlos. Hinzu kommt, dass die Anfänger sich meist selbst für dumm halten, so dass schwer verständliche, ja geradezu vorbeifliegende Informationen in Vorlesung und Literatur sie nicht nur nicht informieren, sondern darüber hinaus ihr Selbstwertgefühl beschädigen. Die Verzweiflung wächst! Manch einer scheitert! Das muss keineswegs so sein. Es ist eben nicht normal, nach dem 1. Semester überhaupt keinen Durchblick zu haben.
Nach den ersten 90 Tagen des Jurastudiums (Studieneingangsphase) müsste jeder Jurastudent sagen können:
„Ich kann mir das juristische Wissensangebot aus Vorlesung und Literatur selbstständig und individuell aneignen!“ (Juristische Lerntechnik)
„Ich kann einen juristischen Fall mit meiner Klausurentechnik methodisch sicher und angstfrei angehen!“ (Juristische Klausurentechnik)
„Ich habe das juristisch-subsumierende Denken und gutachtliche Arbeiten im Prinzip begriffen!“ (Juristische Denk- und Arbeitsweise)
„Ich kann die wesentlichen Inhalte des GG, BGB und StGB jeweils in einen Gesamtzusammenhang stellen und blicke durch deren allgemeine Teile durch!“ (Juristisches Wissen)
Das kann aber leider kaum einer sagen! Denn es fehlt schlicht eine propädeutisch-juristische Orientierungsphase als erfolgreiche Studieneingangsphase. Der Studierende findet oft auf seine Frage „Wo und wie, bitte, geht’s zur Juristerei?“ nicht die richtige Antwort. Der erste Elan ist schnell verpufft. Seine Bereitschaft, kluge Gedanken anderer über das Jurastudium als klug zu erkennen und den Rat und die Erfahrung dieser anderen anzunehmen, ist da, aber findet zu wenig Gegenliebe.
Zusammenfassend lassen sich m.E. sechs Funktionen dieser den Anfang fundierenden Studieneingangsphase für das Jurastudium ausmachen.
1. Funktion: Orientierung an der Universität
Der Jurastudent muss seine neue Rolle an der Uni kennenlernen und annehmen. Dazu muss er seine Universität als Organisation, sich als „freien“ Studenten, seinen individuellen Studienaufbau an seine Uni und seine Wissenschaft der Jurisprudenz wahrnehmen. Eine wesentliche Aufgabe kommt dabei dem Hineinwachsen in die Hochschulgemeinschaft (Sozialisation), der allmählichen Vereinigung mit dem Fach Jura (Integration), der Begegnung mit den Lehrinhalten in Vorlesung und Literatur (Lehr-Lern-Kultur) und der Art und Weise der Präsentation und Darstellung in Klausuren (Klausurentechnik) zu.
2. Funktion: Einführung in die Studiengegenstände
Hier geht es um die Überblicke und Einblicke in den juristischen Lehrstoff des ersten Semesters, nämlich die drei Säulen Bürgerliches Recht, Strafrecht und Verfassungsrecht, und speziell um tiefere Ein- und Durchblicke in deren allgemeine Teile BGB AT, StGB AT und die Grundrechte.
3. Funktion: Erlernen der juraspezifischen Denk- und Arbeitsweise
Dieser Teil des Studienanfangs dient dem Erlernen der juristischen Handwerkskunst, hochtrabender: der Methodik, um Lebenssachverhalt und Gesetz in problemlösende Stellung bringen zu können. Zu Deutsch: Fälle lösen zu können. Die unsichtbaren Methoden des Gutachtens und der Subsumtion machen diese Frontstellung erst sicht-bar.
4. Funktion: Selektion
Man muss sich in dieser Statuspassage zwischen Schüler und Jurastudent kritisch überprüfen, ob die Erwartungen, die man an sich und das Jurastudium gestellt hat, der vorgefundenen Realität entsprechen. Man muss testen, ob die Vorstellungen zum Jurastudium eingelöst worden sind. Die rationale Welt, wie sie unsere Juristerei beherrscht, ist nicht jedermanns Sache.
5. Funktion: Juristisches Verständnis anstreben
Das „Juristische Verständnis“ geistert als verwaschener Standardbegriff bis ins Examen um den Studenten herum, ohne dass er jemals weiß, was damit genau gemeint ist. Juristisches Verständnis bedeutet, den Inhalt einer Norm oder einer Normengruppe erkannt, die dahinter stehenden Interessen, Zwecke und gesellschaftlichen Kompromisse ihrer Entstehung hinterfragt, einen Überblick über die Gesetzessystematik erworben und Andockstellen im Langzeitgedächtnis für neue Informationen geschaffen zu haben. Es ist die Überwölbung der Fachsäulen: BGB, StGB, Öffentliches Recht und kann auf sämtliche jurafachbezogenen Bereiche übertragen werden. Um dieses Verständnis muss man sich frühzeitig bemühen.
6. Funktion: Erlernen des juristischen Lernens
Alle Juristen wissen, wie schwer das Erlernen dieser „Juristerei“ ist und wie leicht man scheitern kann. Vielen Studenten fehlt es an einer klaren kurz-, mittel- und langfristigen Konzeption des Lernens und damit an einem sicheren Fundament für ihr juristisches Studium. Studienstrategien für die Juristerei und „fundiertes fundierendes“ Wissen sind aber kein Naturprodukt, das man hat oder nicht hat. Man kann es sich aneignen! Das juristische Studium funktioniert nicht von selbst. Man muss in ihm mit viel Fleiß und viel Disziplin üben, planen, organisieren, variieren, optimieren, trainieren – kurz: viel lernen. Das Jurastudium ist eine Freude für den, der seine Ziele, Arbeitsweisen und Methoden von Beginn an gelernt hat, und es ist eine Qual für den, der ihnen widerstrebt.
Was Sie heute in Hochschulen sofort vermittelt bekommen, ist viel abstraktes Wissen, meist Spezialwissen. –Das juristisch unvorbereitete studentische Gehirn vermag so viele Gesetze, Paragraphen, ihre Absätze, Sätze und Wörter, ihre Ziele und Bedeutungen, ihre Kombinationen und Verweisungen, gar nicht einzeln zu speichern, geschweige denn bei Bedarf in der Klausur ins Bewusstsein zu holen. Was es aber leisten kann, ist, die generellen Weisen der Verknüpfung, die Knoten der Fäden, die die konkrete Methodik unter diesen Gesetzen und für die zu entscheidenden Fälle herstellen kann, zu verstehen. Damit kann der Student, der diese Kompetenzen früh beherrscht, jederzeit erkennen, dass jedes ihm neu begegnende Gesetz immer nach derselben Methodik (Konditionalprogramm) gebildet und nach derselben Methodik (Subsumtion) auf einen Lebenssachverhalt, einen Fall nämlich, sinnvoll anwendbar sind.
Die wahrhaft staunenswerte Fähigkeit des Juristen ist es
aus einem endlichen Reservoir von Gesetzen
unter Benutzung einer relativ kleinen Anzahl von methodischen Regeln,
eine unendliche Zahl von Fällen zu lösen.
Diese Fähigkeit ist das wahrhaft Bewunderungswerte an der Juristerei. Das Geheimnis der Juristen besteht eben in der Beherrschung dieser Formel.
Und diese spezifischen Fähigkeiten muss man sich möglichst früh im Jurastudium aneignen, „zu eigen“ machen, um ein guter Jurist zu werden. Und das passiert in der Studieneingangsphase!
Die anfängliche enorme Breite und Tiefe von juristischen Wissens- und Paragrafenangeboten aus BGB und StGB stiftet ständig neue Verwirrungen in den Studentenköpfen. Im raschen Pulsieren des juristischen Anfangs verlieren sie immer mehr den Überblick, wenn sie diese wuchernde Komplexität nicht durch ein fundierendes Orientierungswissen und einen systematischen Orientierungsrahmen reduzieren würden. Ich werde Ihnen beim Aufräumen des anfänglichen Durcheinanders ab jetzt helfen. Gesetze überleben sich. Die Sternbilder der Methodik und Systematik aber schimmern in ewiger Unvergänglichkeit über den Friedhöfen der Paragraphen, Gesetze und Entscheidungen. Aber nur an ihnen kann man sich orientieren.
Die fundierende Herstellung klarer Stufungen und methodischer Ordnungsstrukturen hat die Bedeutung einer Schutzmaßnahme gegen psychische und kognitive Des-organisation bei allen Nachfragern von juristischem Ausbildungswissen. Deshalb müssen wir jetzt den juristischen Anfängerstoff methodisch aufbauen und für Sie systematisch ordnen, um ihn dann für Ihre juristisch geschärften Augen sehen zu machen.
Das Ganze der juristischen Anfangs-Welt ist ohne Hilfe für den Anfänger ganz einfach nicht mehr zu fassen, es ist zuviel geworden. Die zunehmende Stofffülle und zunehmende Kompliziertheit des Rechts lassen sich ohne Fremderfahrung nicht bewältigen. Im Anfang der juristischen Ausbildung gibt es – so wie in der Kindheit auch – bestimmte „Entwicklungsfenster“, d.h. optimale Zeitpunkte für den Erwerb bestimmter kognitiver Grundfähigkeiten und eines Wissens, auf dem man aufbauen muss. Diese „Fenster“ muss man nutzen! Nach Ablauf bestimmter Zeitintervalle schließt sich nämlich ein solches Fenster, und der junge Student läuft ohne diese schützenden juristischen Prägungen seiner Studienzeit hinterher. Entwicklungsfenster für den Anfang der juristischen Ausbildung sind Entwicklungsfenster mit der Aufschrift „Juristische Denk- und Arbeitsweise“, „Juristische Wissensinhalte“, „Juristisches Lernen“ und „juristische Klausurentechnik“. Die Traumstraßen und Irrwege zigtausender frustrierter Studienabbrecher in Jura haben mir die Erkenntnis hinterlassen, dass ganz am Anfang das Fundament gebaut werden muss, um darauf die Säulen der Juristerei zu errichten.