Das Rechtsgeschäft ist das Steuerungsmittel, wodurch der einzelne Rechtsgenosse durch zielbewusstes Handeln seine Rechtsbeziehungen begründen, verändern oder auch lösen kann. Mittels des Rechtsgeschäfts gestaltet der einzelne Mensch seine Rechtsbeziehungen zu anderen selbst, er schafft „sein“ Recht. Damit ist das Rechtsgeschäft, also der Akt, durch den der Einzelne privatrechtliche Rechtsfolgen setzt, der Mittelpunkt des Begriffssystems des BGB.
Lassen Sie sich nicht entmutigen auf Ihrem begonnenen Weg zum BGB. So gut wie jedem Anfänger präsentiert sich das BGB mit seinen fünf Büchern als uneinnehmbare Wehrburg, deren Mauern in Form von Gesetzen, abstraktem Sprachstil, unübersichtlichen Verweisungen und komplexen Systemen keinerlei Eindringen erlauben. Sie werden bald die Erfahrung machen, dass die einzelnen Trakte der „Burg BGB“ zwar meisterlich gebaut sind, mit Methodik, Logik, System, Ausdauer und Fleiß aber ein Eindringen dennoch ermöglichen.
2.1. Begriff des Rechtsgeschäfts
Überfliegen Sie einmal diese 11 „Minifälle“!
1. K vereinbart mit V, dessen Mondeo für 8.000 € zu erwerben.
2. F wirft nach bestandenem Abitur seine gesammelten Schulbücher in den Papiercontainer.
3. F lädt seine Studienkollegen zu einer Fete ein.
4. V verpflichtet sich, M für einen Monat sein Auto gegen Zahlung von 150 € zur Verfügung zu stellen.
5. A verschuldet mit seinem Auto einen Unfall.
6. D entwendet aus einer Portokasse 500 €.
7. S und W vereinbaren für den Nachmittag einen Spaziergang.
8. T bezahlt am Monatsanfang seine Zechschulden vom vergangenen Monat i.H. von 300 €.
9. Der berühmte Maler M zeichnet mit Einverständnis des E auf die Rückseite eines dem E gehörenden Druckes ein Porträt.
10. V verspricht in einer Zeitungsannonce, dem ehrlichen Finder seiner verloren gegangenen Diplomarbeit 300 € zu zahlen.
11. V übereignet K den für 8.000 € gekauften Mondeo.
Sie wissen schon, dass der Zusammenlauf aller rechtlichen Fragen, die sich aus dem Zusammenleben der Menschen in Gesellschaft, Staat, Ehe, Familie und Beruf ergeben, in der Rechtsordnung erfolgt. Die Rechtsordnung haben wir als ein System erkannt, das den unermesslichen Reichtum des Rechtsstoffes beherrschbar machen soll. Sie ist die Einheit der aufeinander abgestimmten Rechtssätze eines Staates zur Schaffung von Recht. Dem Recht hatten wir die Funktion zugeschrieben, Konflikte im Zusammenleben der Menschen zu vermeiden, Konflikte zu schlichten und sie notfalls zu entscheiden. Diese dem Recht zukommende Regelungsaufgabe erfolgt durch Gesetze. Den Gesetzen hatten wir das ihnen eingeborene Muster ihres Konditionalprogramms entnommen, die Wenn/Dann-Beziehung: Sie wissen, dass auf diese Weise sich die Lenkung von Recht vollzieht: Gesetze „setzen“ Rechtsfolgen, wenn „gesetzte“ Tatbestandsmerkmale vorliegen.
Unberücksichtigt geblieben ist bislang, wodurch im BGB, diesem wichtigsten Teil des Privatrechts, diese Rechtsfolgen eigentlich zustande kommen können.
● Max verschuldet einen Unfall, wodurch Moritz schwer verletzt wird.
● Max „kauft“ von Moritz einen gebrauchten Mondeo.
Im „Verkehrsunfallfall“ stellt man fest, dass mit einer widerrechtlichen und schuldhaften Handlung der Person Max durch § 823 Abs. 1 für diese Person Max „automatisch“ die Pflicht ausgelöst wird, den eingetretenen Schaden bei Moritz zu ersetzen.
Im „Mondeokauffall“ stellt man fest, dass Max durch den Kaufvertrag verpflichtet wird, den vereinbarten Kaufpreis an Moritz zu zahlen (§ 433 Abs. 2), während Moritz durch denselben Kaufvertrag verpflichtet wird, das Auto an Max zu übereignen (§ 433 Abs. 1).
Der Unterschied beider ausgelösten Rechtsfolgen liegt auf der Hand: Während ersterenfalls die Schadenersatzpflicht als Rechtsfolge aus § 823 Abs. 1 von Gesetzes wegen (lat.: ex lege, d.h. kraft Gesetzes) entsteht, übernehmen die Parteien die Rechtsfolgen eines Autokaufs aus § 433 Abs. 1 und 2 aus freien Stücken. Abstrakter ausgedrückt heißt das, dass Rechtsfolgen zum einen dadurch ausgelöst werden, weil sie von den Parteien gewollt sind (freiwillig), zum anderen dadurch, dass sie – unabhängig davon, ob sie gewollt sind – kraft Gesetzes eintreten (unfreiwillig), eben deshalb, weil das Gesetz von sich aus die Rechtsfolge bei Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale (TBM) anordnet.
Danach können wir das Zustandekommen von Rechtsfolgen wie folgt darstellen:
An dieser Stelle interessiert uns zunächst nur der Bereich, in welchem die Rechtsfolgen absichtlich ausgelöst werden. Solche freiwilligen Verpflichtungsübernahmen kennzeichnen wir zusammenfassend als Rechtsgeschäfte.
Wenn durch ein Rechtsgeschäft ein Rechtserfolg herbeigeführt wird, weil dies von den daran beteiligten Personen so und nicht anders frei-„willig“ gewollt ist, muss deren Wille notwendig wesentlicher Bestandteil des Rechtsgeschäfts sein. Damit rückt ein zweiter zentraler Begriff in unser Blickfeld: die Willenserklärung.
Die Handlung, durch die sich der Wille, einen bestimmten Rechtserfolg herbeizuführen, verwirklicht, ist die „Erklärung“ dieses „Willens“, juristisch: eine Willenserklärung (den Begriff findet man wieder im allgemeinen Teil in der Überschrift des 2. Titels). Der Handelnde gibt, meist gegenüber einem bestimmten Empfänger, nach außen zu erkennen, dass die Rechtsfolge entsprechend seinem Willen eintreten soll und führt sie eben dadurch – gemäß der Rechtsordnung – herbei.
Es kann sich dabei um eine mündliche oder um eine schriftliche Äußerung, um die Verwendung gebräuchlicher Zeichen oder einer zwischen diesen Personen besonders vereinbarten Zeichensprache handeln. Entscheidend ist, dass der auf die Herbeiführung der Rechtsfolge gerichtete Wille in einer Weise zum Ausdruck kommt, die wenigstens dem, für den die Erklärung bestimmt ist, verständlich ist. Ob Sie also abends in der Kneipe wörtlich ein Bier bestellen oder lediglich auf Ihr leergetrunkenes Glas zeigen – egal, beide Male erklären Sie Ihren Willen, über ein weiteres Glas Bier einen Kaufvertrag abschließen zu wollen und binden sich eben dadurch Ihrem Vertragspartner gegenüber entsprechend. An Ihre Willenserklärung und an die übereinstimmende Willenserklärung des Kneipenwirts, die darin zum Ausdruck kommt, dass er Ihnen ein gefülltes Glas hinstellt, knüpft das Gesetz jetzt die von Ihnen beiden gewünschte Rechtsfolge aus dem Kaufvertrag über ein Bier gem. § 433 Abs. 1 und 2.
Manchmal geschieht dies freilich nur dann, wenn noch weitere Umstände neben die Willenserklärungen hinzutreten. So hängt z.B. der Übergang des Eigentums an einem Grundstück nicht nur davon ab, dass der Veräußerer und Erwerber ihre Einigung über den Eigentumsübergang in Form von Willenserklärungen gem. § 873 Abs. 1 1. Alt. erklären, sondern es ist für den Eintritt der Rechtsänderung darüber hinaus zwecks Aufklärung der Parteien die Einigung vor einem Notar (sog. Auflassung gem. § 925) sowie die zwecks Offenlegung der Eigentumsverhältnisse vom Grundbuchamt vorzunehmende Eintragung in das Grundbuch erforderlich (§ 873 Abs. 1). Entsprechend verlangt das Gesetz auch für den Eigentumserwerb an beweglichen Sachen nach § 929 S. 1 neben der Einigung der Parteien zusätzlich den Wechsel des unmittelbaren Besitzes (das Gesetz umschreibt dies mit dem Wort „Übergabe“), damit der Rechtsübergang offenkundig wird.
Alle diese Voraussetzungen, unter denen eine Rechtsfolge eintritt, bilden das Rechtsgeschäft. Also:
● Zentraler Ausgangspunkt des bürgerlich-rechtlichen Begriffssystems ist das Rechtsgeschäft.
● Ein Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand aus einer oder mehreren Willenserklärungen, an den die Rechtsordnung einen bestimmten Rechtserfolg knüpft, weil er so gewollt ist.
● Eine Willenserklärung ist die Äußerung eines rechtsgeschäftlichen Willens, eine Rechtsfolge auslösen zu wollen.
● Der Zweck des Rechtsgeschäftes ist es, eine Rechtsfolge herbeizuführen.
● Das Mittel, das den Rechtserfolg herbeiführt, ist die Willenserklärung; sie verwandelt den Willen in Recht. Ja! Durch den Abschluss des Kaufvertrages über den Mondeo ist zwischen Max und Moritz „Recht geschaffen worden“.
Die Willenserklärung ist noch ganz schnell vom Realakt abzugrenzen! Realakte sind solche Handlungen, an die die Rechtsordnung unabhängig von einem rechtsgeschäftlichen Willen des Handelnden Rechtsfolgen knüpft.
● Max malt auf ein dem Moritz gehörendes Buch ein Bild. Durch die Verarbeitung des Buches zu einem Bild wird Max – selbst wenn er geisteskrank ist – Eigentümer der „neuen Sache“ (§ 950).
● Otto findet im Garten der Emma beim Umgraben einen Schatz. Wenn Otto einen Schatz – das ist eine wertvolle Sache, die so lange verborgen gelegen hat, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist – entdeckt und an sich nimmt, wird er mit Emma je zur Hälfte Eigentümer des Schatzes (§ 984), unabhängig davon, ob Otto Eigentum erwerben will oder nicht. Er wird es einfach!
Also: Im Gegensatz zu den Willenserklärungen, bei denen der Rechtserfolg eintritt, weil er gewollt ist, schließen sich bei den Realakten die Rechtswirkungen „ganz von selbst“ an.
Nach diesen Überlegungen können wir das gesamte Spektrum menschlicher Handlungen schon einmal wie folgt darstellen:
2. Arten der Rechtsgeschäfte
Die Vielfalt der möglichen Rechtsgeschäfte lässt sich nach bestimmten Klassifikationsmerkmalen in vier spezielle Rechtsgeschäftsarten einordnen.
2.1. Klassifikationsmerkmal „Zahl“
Nach der Zahl der an einem Rechtsgeschäft beteiligten Personen unterscheidet man zwischen einseitigen und mehrseitigen (meist zweiseitigen) Rechtsgeschäften.
2.1.1. Einseitige Rechtsgeschäfte
● E legt seinen letzten Willen in einem Testament nieder (§ 1937)
● Arbeitgeber A kündigt dem Angestellten X fristlos, da dieser ihn bestohlen hat (§ 626)
● B erklärt C, er möge für ihn den Mondeo kaufen (§§ 166 Abs. 2, 167 Abs. 1)
● K ficht gegenüber V den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an (§§ 142 Abs. 1, 123 Abs. 1)
● C schmeißt seine alte Uhr in den Mülleimer (§ 959) – X nimmt sie wieder heraus (§ 958)
Einseitige Rechtsgeschäfts sind solche, die grundsätzlich von einer Person alleine wirksam vorgenommen werden können, bei denen also bereits die Willenserklärung einer Person genügt, um eine beabsichtigte Rechtsfolge herbeizuführen, so: das Testament § 1937, die Kündigung z.B. §§ 620, 626 Abs. 1, die Vollmacht § 166 Abs. 2, die Anfechtung § 142 Abs. 1, die Eigentumsaufgabe § 959 und die Aneignung § 958.
Sieht man sich diese einseitige Art von Rechtsgeschäfte genauer an, so stellt man eine weitere Differenzierung fest.
Zum einen Teil handelt es sich um Rechtsgeschäfte, durch die nur der Rechtskreis dieser Person unmittelbar berührt wird (Eigentumsaufgabe, Aneignung). Solche einseitigen Rechtsgeschäfte sind unbeschränkt zulässig und führen unmittelbar die Rechtsfolge herbei.
Zum anderen Teil handelt es sich um Rechtsgeschäfte, durch die auch der Rechtskreis einer anderen Person (Quasi-Geschäftspartner) berührt wird. Wird dieser anderen Person lediglich eine günstige Rechtsposition zugewandt (Testament § 1937, Erteilung einer Vollmacht §§ 166 Abs. 2, 167, Verfügungsermächtigung § 185), so unterliegt die Zulässigkeit des einseitigen Rechtsgeschäfts auch keinen Bedenken; der Rechtserfolg tritt unmittelbar ein, unabhängig davon, ob die „Quasi-Geschäftspartner“ zustimmen oder nicht. Wird dagegen durch das Rechtsgeschäft der Rechtskreis einer anderen Person nachteilig berührt (Kündigung, Anfechtung, Rücktritt), bedarf der Handelnde dazu einer speziellen Rechtsmacht. Diese Rechtsmacht steht ihm entweder deshalb zu, weil derjenige, dessen Rechtskreis nachteilig berührt wird, sich selbst der einseitigen Bestimmung des anderen unterworfen hat, indem er ihm das Gestaltungsrecht durch Rechtsgeschäft eingeräumt hat, oder aber die Rechtsmacht steht dem Erklärenden unmittelbar aus dem Gesetz zu, indem das Gesetz selbst die Interessen der Beteiligten entsprechend gewertet hat (§§ 142, 123; § 626). Ein Rücktritt von einem Vertrag durch einseitiges Rechtsgeschäft ist eben nur dann möglich, wenn diese Rechtsmacht entweder vertraglich eingeräumt worden ist oder das Gesetz diese Rechtsmacht normiert (§ 346). Eine Kündigung ist nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer sich dieser unterworfen hat oder das Gesetz eine Kündigung aus wichtigem Grund selbst anerkennt (§ 626). Eine Anfechtung kann nur dann die Rechtsfolge des § 142 Abs. 1 auslösen, wenn das Gesetz durch §§ 119, 123 diese Rechtsmacht normiert.
2.1.2. Mehrseitige Rechtsgeschäfte
Im Allgemeinen bedarf es zur Herbeiführung von Rechtsfolgen der Beteiligung mehrerer Personen. Mehrseitige Rechtsgeschäfte sind solche Rechtsgeschäfte, bei denen mindestens zwei Willenserklärungen vorliegen. Diese Willenserklärungen müssen einander entsprechen und aufeinander abgestimmt sein. Der Hauptanwendungsfall ist der Vertrag.
Ein Vertrag ist ein mehrseitiges Rechtsgeschäft mit mindestens zwei sich deckenden Willenserklärungen, die auf einen einheitlichen Rechtserfolg gerichtet sind.
Wenn Max dem Verkäufer Moritz gegenüber erklärt: „Ich will dieses Auto für 6.000 € kaufen“, dann heißt das juristisch übersetzt: „Ich, Max, eine geschäftsfähige und rechtsfähige Person, erkläre meinen rechtsgeschäftlichen Willen, die Rechtsfolge eines Kaufvertrages bezüglich des Autos Mondeo zu einem Kaufpreis von 6.000 € dir, Moritz, gegenüber herbeiführen zu wollen.“ Moritz gibt mit seinem Wort: „Einverstanden“ genau die spiegelbildlich entsprechende Erklärung ab. Den Vertrag sehen wir uns später genau an, weil er grundlegende Bedeutung für das ganze juristische Leben haben wird. Er besteht aus zwei solchen Willenserklärungen, nämlich Angebot und Annahme. So steht es klipp und klar in § 151 S. 1 1.Hs. Der Vertrag ist das wichtigste Steuerungs- und Gestaltungsmittel des Zivilrechts. Der einzelne Rechtsgenosse kann seine Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung durch Verträge eigenverantwortlich gestalten – das nennt man Privatautonomie oder Vertragsfreiheit. Diese Vertragsfreiheit, die Ausfluss des allgemeinen Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist (Art. 2 Abs. 1 GG), zerfällt in ihre beiden Komponenten:
● Gestaltungsfreiheit, d.h. es ist grundsätzlich jedem selbst überlassen, mit welchem Inhalt er einen Vertrag gestaltet und
● Abschlussfreiheit, d.h. es ist grundsätzlich jedem selbst überlassen, ob und mit wem er abschließt.
Der Zweck des Kaufvertrages zwischen dem Verkäufer Moritz und dem Käufer Max ist es also, einen Rechtserfolg herbeizuführen, nämlich dem Max den Anspruch auf Übereignung aus § 433 Abs. 1 und Moritz den Anspruch auf den vereinbarten Kaufpreis aus § 433 Abs. 2 zu verschaffen. Dieser Rechtserfolgt tritt ein, weil er von beiden so gewollt ist und weil die Rechtsordnung diesen Rechtserfolg anerkennt. Die Handlungen, die diesen Rechtserfolg herbeiführen, sind die eben angesprochenen Willenserklärungen: wirksames Angebot und wirksame Annahme.
2.2. Klassifikationsmerkmal „Gegenstand“
Nach dem Gegenstand der beabsichtigten Regelung, d.h. seiner juristischen Zuordnung in den 6 BGB-Spezial-Büchern, unterscheidet man kurz und prägnant:
Schuldrechtliche Rechtsgeschäfte
Familienrechtliche Rechtsgeschäfte
Sachenrechtliche Rechtsgeschäfte
Erbrechtliche Rechtsgeschäfte
Arbeitsrechtliche Rechtsgeschäfte
Handelsrechtliche Rechtsgeschäfte
2.3. Klassifikationsmerkmal „Zweck“
Bedeutend wichtiger als die Differenzierung nach dem Gegenstand des Rechtsgeschäfts ist diejenige nach dem Zweck des Rechtsgeschäfts. Nach dem Zweck unterscheidet man:
Verpflichtungs(rechts)geschäfte und Verfügungs(rechts)geschäfte.
Verpflichtungsgeschäfte sind Rechtsgeschäfte, durch die sich der Eine gegenüber einem Anderen zu einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen verpflichtet (vgl. auch § 241). Man nennt solche Verträge auch schuldrechtliche oder obligatorische (lat.: obligare, verpflichten) Verträge. Dazu gehören der Kaufvertrag, Tausch-, Miet-, Dienst- und Werkvertrag.
Einige dieser Verpflichtungsverträge begründen die Verpflichtung, durch ein weiteres Rechtsgeschäft demnächst eine Rechtsänderung vorzunehmen:
Gemäß § 433 Abs. 1 S. 1 verpflichtet sich z.B. ein Verkäufer durch einen Kaufvertrag, die gekaufte Sache demnächst an den Käufer zu übereignen, und der Käufer verpflichtet sich, gem. § 433 Abs. 2, den vereinbarten Kaufpreis demnächst zu zahlen.
Diese Verpflichtungen werden hinsichtlich einer beweglichen Sache (Ware, Geld) durch ein weiteres Rechtsgeschäft, nämlich nach § 929 S. 1, durch eine weitere Einigung der Parteien über den Eigentumsübergang und durch die Übergabe des gekauften Gegenstandes bzw. des Geldes erfüllt.
Durch das Verpflichtungs(rechts)geschäft ändert sich also die Eigentumslage des verkauften Gegenstandes noch nicht (!) – das geschieht erst durch die jeweiligen Übereignungs(rechts)geschäfte. Der Inhalt eines obligatorischen Geschäftes ist dementsprechend dadurch gekennzeichnet, dass sich die Parteien gegenseitig verpflichten, ein bereits bestehendes Recht demnächst abzuändern; man nennt sie Verpflichtungs(rechts)geschäfte.
Solche Geschäfte aber, die darauf gerichtet sind, auf ein bestehendes Recht unmittelbar einzuwirken, es also zu übertragen (z.B. §§ 398, 929), es zu belasten (z.B. § 1113), es inhaltlich zu ändern (z.B. § 877) oder aufzuheben (z.B. § 397), nennt man Verfügungen, das entsprechende Rechtsgeschäft wird als Verfügungs(rechts)geschäft bezeichnet.
Zur Verdeutlichung der Unterschiede zwischen Verpflichtungs(rechts)- und Verfügungs(rechts)geschäften möge Ihnen folgendes Beispiel dienen:
K bestellt beim Versandhaus V ein Fahrrad für 300 €. V bestätigt die Bestellung und kündigt die alsbaldige Lieferung an.
V und K haben hier einen Kaufvertrag gem. § 433 geschlossen.
Der Kaufvertrag ist ein Rechtsgeschäft, das aus zwei Willenserklärungen (Vertragsangebot des K, Annahme dieses Angebotes durch V) besteht.
An diesen Tatbestand knüpft das Gesetz die in § 433 genannten Rechtsfolgen, nämlich die Pflicht des V zur Übereignung und Übergabe des Fahrrades (§ 433 Abs. 1) und die Pflicht des K zur Zahlung des Kaufpreises (§ 433 Abs. 2). Der Kaufvertrag ist hier das Verpflichtungsgeschäft, das lediglich Handlungspflichten entstehen lässt, in unserem Fall also die Handlungspflicht des K zur Zahlung und die Handlungspflicht des V zur Übereignung des Fahrrads.
Die Erfüllung dieser Verpflichtungen erfolgt durch zwei gesonderte, weitere Rechtsgeschäfte, die Verfügungsgeschäfte. In unserem Falle müssen V und K also jeweils noch eine Übereignung des Fahrrades und eine Übereignung des Geldes nach § 929 S. 1 vornehmen, um ihre Handlungspflichten aus dem Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1 und Abs. 2) zu erfüllen.
Unserem Beispielsfall können Sie entnehmen, dass das Verpflichtungsgeschäft „Kaufvertrag“ hier der Zweck und Grund für die anschließend von V und K vorgenommenen Verfügungsgeschäfte „Übereignung der Ware“ und „Übereignung des Kaufpreises“ ist. Die Verfügungsgeschäfte hatten dagegen den Zweck, die jeweiligen Handlungspflichten zu erfüllen.
2.4 Klassifikationsmerkmal „Inhalt“: das Abstraktionsprinzip
Noch wichtiger als die Unterscheidung nach dem Zweck ist die nach dem Inhalt der Rechtsgeschäfte. Danach grenzt man
abstrakte Rchtsgeschäfte von
kausalen Rechtsgeschäften ab.
Aus unserem Beispielsfall können Sie bereits entnehmen, dass das „Verpflichtungsgeschäft Kaufvertrag“ über das Fahrrad hier der Grund für die anschließend von V und K vorgenommenen Verfügungsgeschäfte „Übereignung des Fahrrades“ und „Übereignung des Kaufpreises i.H.v. 300 €“ ist. Diese Feststellung führt uns zu einem weiteren Abgrenzungsmerkmal für Rechtsgeschäfte. Das entscheidende Kriterium ist hier der Inhalt der Willenserklärung.
Jedes Rechtsgeschäft enthält zumindest eine Willenserklärung. Dieser rechtsgeschäftliche Wille steht unter dem Einfluss bestimmter Beweggründe, der sog. Motive. So kann z.B. K das Fahrrad deshalb bei V bestellen, weil er eine Fahrradtour durch Mallorca plant. Diese Motive sind von dem weitergehenden rechtlichen Zweck zu unterscheiden, der mit dem Rechtsgeschäft verfolgt wird. Der rechtliche Zweck wird als Rechtsgrund oder Causa bezeichnet. Darunter versteht man den von der Rechts-ordnung als rechtserheblich anerkannten nächsten – ersten und unmittelbaren – Zweck eines Rechtsgeschäftes. Die Causa ist also der mit einem Rechtsgeschäft verfolgte Rechtszweck.
Wenn wir auf unseren „Fahrradkauf“ zurückkommen, können wir einen bedeutsamen Unterschied zwischen den hierzu notwendigen Rechtsgeschäften Verpflichtungs- und Verfügungs(rechts)geschäft im Hinblick auf die Causa feststellen.
Der unmittelbare Rechtszweck – also die Causa – der Verpflichtung des Verkäufers V zur Übergabe und Eigentumsverschaffung des Fahrrades ist die (Gegen-)Ver-pflichtung des Käufers K zur Zahlung des Kaufpreises. Umgekehrt ist es ebenso. Das Verpflichtungsgeschäft ist also in sich selbst kausal, der Rechtszweck, sein Rechtsgrund, für das Geschäft ist Bestandteil des Rechtsgeschäftes; er gehört zu seinem Inhalt.
Der unmittelbare Rechtszweck (die Causa) der anschließend vorzunehmenden Eigentumsübertragungen bzgl. des Fahrrades und des Geldes gem. § 929 S. 1 durch V und K ist dagegen die Erfüllung der schon bestehenden Verbindlichkeiten aus dem Kaufvertrag gem. § 433 Abs. 1 und 2. Das Verfügungsgeschäft enthält also seinen Rechtsgrund nicht in sich, die Causa ist also nicht sein Bestandteil, sein Inhalt, sondern enthält ihn nur aus dem vorangegangenen Verpflichtungsgeschäft „Kaufvertrag“. Das Verfügungsgeschäft ist also von seinem Rechtsgrund losgelöst; es ist ein abstraktes Rechtsgeschäft. Deswegen ist das Verfügungsgeschäft auch dann wirksam, wenn der Rechtsgrund, dessentwegen es vorgenommen wurde, fehlt.
Diesen Grundsatz nennt man das Abstraktionsprinzip. Das behandeln wir im nächsten Beitrag!