Alle Drei sind methodische Lückenüberbrücker, mit deren Hilfe die Juristen gesetzliche „Lücken schließen“. Gehen wir unter die „Brückenbauer“.
● Zunächst zur Analogie
Gesetzgeber sind auch nur Menschen, also machen sie Fehler. Mal gerät ihnen das Gesetz zu weit, mal zu eng, da muss man auslegen. Das hatten wir schon! Manchmal vergessen sie aber auch einfach etwas, sie hinterlassen Lücken. Da fragt es sich, ob man solche Lücken durch eine entsprechende Anwendung eines anderen Gesetzes oder des Gedankens aus mehreren anderen Gesetzen überbrücken kann. Wo die Auslegungen, ob restriktiv (eng) 0der extensiv (weit), nicht mehr weiterhelfen, weil die Auslegung die Grenzen des Begriffs sprengen würde oder eine offene Lücke klafft, da bestehen mögliche Gesetzeslücken, die man mit Analogien (griech.: analogia, Entsprechung, Übereinstimmung) überbrücken kann. Die Analogie basiert auf der Ähnlichkeit des Sachverhalts mit dem ausgelegten Tatbestandsmerkmal.
Können Richter oder Rechtspfleger Lücken im Gesetz so mir nichts, dir nichts auf eigene Faust schließen? Oder muss da der Gesetzgeber selbst ran? Das StGB gibt wenigstens offen zu, dass es Lücken hat und steht dazu: Kein Verbrechen ohne bestimmtes Gesetz! Der Nullum-crimen-sine-lege-Grundsatz in § 1 StGB, Art. 103 Abs. 2 GG wäre nämlich ohne das ihn flankierende Analogieverbot ein Witz. Eine Lückenschließung zu Lasten des Täters durch Analogie ist daher nicht möglich, sehr wohl allerdings zu Gunsten des Täters!
Mit dem Begriff „Lücken“ ist man schon beim Kern des Analogie-Problems: Im Vordergrund steht bei der Analogie immer das Problem einer Regelungslücke im Gesetz. Diese Lücken zeigen sich bei der Fallbearbeitung dadurch, dass Interessen zwar als schutzwürdig erscheinen, aber durch das Gesetz nicht gedeckt oder nicht angemessen behandelt sind. Das kann einen doppelten Grund haben:
● Entweder der Gesetzgeber hat selbst auf eine vollständige und bestimmte Regelung verzichtet, also absichtlich eine Lücke gelassen – „Extra-Fälle“.
● Oder der Gesetzgeber hat den Sachverhalt übersehen oder noch gar nicht gekannt oder zwei Normen aufgestellt, die sich widersprechen, also unabsichtlich eine Lücke gelassen – „Nicht-extra-Fälle“. Auch dem sorgfältigsten Gesetzgeber können solche Fehler unterlaufen.
Aber eine Antwort müssen die professionellen Rechtsanwender in Beschluss und Urteil und Sie in Klausur, Referat oder Hausarbeit auch in solchen Fällen finden. Keiner kann sich zurücklehnen und den Fall mit dem Bemerken abschließen: „Nicht geregelt, Fall beendet!“ Da einen das Gesetz im Stich lässt, muss man die Antwort selber suchen. Dass eine Lücke in einem „Gesetz“ besteht, heißt nämlich noch lange nicht, dass eine solche auch im „Recht“ besteht. Der Rechtsanwender ist aber an „Gesetz“ und „Recht“ gebunden.
Wie schließt man nun eine Lücke?
Zunächst muss man feststellen, dass eine solche Lücke überhaupt besteht, dass einen also das Gesetz – auch nach gebotener und erfolgter Auslegung mit Hilfe der Auslegungsmethoden – im Stich lässt. Dann kommt das Wichtigste: Man muss den gesetzgeberischen Willen erforschen und ihn dann konsequent weiterdenken auf den Fall, der vom Gesetzeswortlaut nicht mitumfasst wird, nunmehr losgelöst vom Gesetzeswortlaut. Ein solches Erstrecken eines Gesetzes (oder gar mehrerer) auf sich auftuende Gesetzeslücken im Wege einer Analogie ist wie eine juristische Allzweckwaffe.
Die Schließung der Lücke erfolgt regelmäßig durch Gesetzesanalogie oder Rechtsanalogie.
Von Gesetzesanalogie spricht man dann, wenn der Leitgedanke einer in einer Norm angesprochenen Rechtsfolge auf einen vom Gesetz nicht geregelten Sachverhalt übertragen wird.
Von Rechtsanalogie spricht man dagegen dann, wenn der Leitgedanke mehrerer in Normen angesprochener Rechtsfolgen auf einen vom Gesetz nicht geregelten Sachverhalt übertragen wird.
Sie werden bei der Analogie zum eigenen Gesetzgeber!!! Besser als Art. 1 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) kann man es nicht formulieren:
„Kann den Gesetzen keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung.“
Ein paar Beispiele:
Fall 1: Otto will seinen Hund „Pluto“ an seinen Nachbarn Jupp veräußern. Kann er das so einfach nach § 929 BGB? Ist sein „Pluto“ etwa wie ein Auto zu übereignen?
Fall 2: Otto zapft die Stromleitung seines Nachbarn Jupp an, um seine Wohnung zu heizen. Kann er nach § 242 StGB wegen Diebstahls bestraft werden? Ist elektrischer Strom eine Sache?
Fall 3: Otto kauft beim Metzger Wurstsalat, der durch unsachgemäße Behandlung verdorben ist. Otto erleidet eine schwere Fleischvergiftung. Ihm entsteht hierdurch ein beträchtlicher Schaden durch Krankenhauskosten und Verdienstausfall. Kann Otto vom Metzger Schadenersatz verlangen?
Fall 4: Otto entwendet im Supermarkt ein Krabbendöschen und steckt es in seine
Manteltasche. Kurz vor der Kasse bekommt er Gewissensbisse und legt die Ware zurück in das Warenregal. Tätige Reue?
Zu Fall 1: Dieser Fall ist methodisch unproblematisch, da hier eine gesetzlich angeordnete Analogie vorliegt. Nach § 90 a S. 3 BGB sind auf Tiere „die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden“. Also gilt § 929 BGB auch für „Pluto“.
Zu Fall 2: Dieser Fall führt zu einem historischen Denkmal des Strafrechts. Immer wieder hatten vor 1900 die unteren Instanzgerichte den „Elektrizitätsdiebstahl“ als Diebstahl von Sachen gem. § 242 StGB bestraft: Elektrizität sei eine Sache. Das Reichsgericht hob diese Urteile mit der Begründung auf: Elektrizität sei keine Sache – die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals finde ihre Grenze an der Nachvollziehbarkeit im Volk. Gott sei Dank, denn der Sachbegriff wäre ins Uferlose verschwommen.
Nur zu lehrreichen Übungszwecken: Gäbe es § 1 StGB nicht, wäre an eine Lückenschließung über die Analogie zu denken. Gesetzesanalogie? – Der Leitgedanke der Bestrafung wegen Diebstahls könnte sein, dass kriminologisch (Abschreckung der Allgemeinheit) auch andere Gegenstände, die nicht Sachen sind (also ein vom Gesetz nicht geregelter Sachverhalt), den Schutz des § 242 StGB genießen müssten. Rechtsanalogie? – Aus dem Leitgedanken der §§ 242, 249, 303 StGB könnte gefolgert werden, dass jeder Eingriff in fremde Herrschaftsrechte bestraft werden sollte, also auch die Wegnahme fremder Energie. Beide Formen der Analogie sind jedoch gem. § 1 StGB im Strafrecht zuungunsten des Täters unzulässig.
Da infolge der hartnäckigen Rechtsprechung des Reichsgerichtes zu § 242 StGB nunmehr der große „Stromklau“ in Deutschland einsetzte, war der Gesetzgeber gezwungen, ein Gesetz zu erlassen, welches den „Stromdiebstahl“ unter Strafe stellte. Dieses Gesetz finden Sie heute noch im Denkmal des § 248 c StGB als ewige Erinnerung an die Problematik „Auslegung versus Analogie“!
Zu Fall 3: Der Schaden des Otto ließ sich bis zum 1.1.2002 nach keiner gesetzlichen Vorschrift ausgleichen. Der Metzger hatte geliefert und zwar pünktlich, so dass Schadenersatzansprüche aus Unmöglichkeit oder Verzug ausschieden. Der Wurstsalat hatte zwar einen „Mangel“, aber dieser Mangel hätte nach § 459 ff. BGB lediglich dazu geführt, dass Otto den ohnehin geringen Kaufpreis mindern oder den Kaufvertrag hätte wandeln können (Geld zurück – Ware zurück). Was hülfe das dem kranken Otto? Nichts! Die entdeckte Gesetzeslücke lautete also: Was kann der Gläubiger verlangen, wenn der Schuldner zwar pünktlich erfüllt, aber so schlecht erfüllt hat, dass Mängelfolgeschäden entstehen?
Diese Gesetzeslücke wurde von der Rechtsprechung nach der Regel: „Wie würden wir als Gesetzgeber entscheiden?“ dadurch geschlossen, dass über die Leistungsstörung der Unpünktlichkeit (Verzug) und Unmöglichkeit hinaus jede schuldhafte Leistungsstörung zum Schadenersatz verpflichtet. Der Leitgedanke dieser Normen, dass Spät- und Nichterfüllung zu der Rechtsfolge des Schadenersatzes führen, wurde in Rechtsanalogie auf Schlechterfüllung übertragen. Demnach konnte Otto jedenfalls gegen den Metzger unter dem Gesichtspunkt der sog. „positiven Forderungsverletzung“ Schadenersatzansprüche wegen der schlimmen Folgen seiner Fleischvergiftung geltend machen gem. den alten §§ 280, 286, 325, 326 BGB analog. Diese Analogie ist nunmehr nach der Schuldrechtsnovelle v. 26.11.2001 mit § 280 BGB Gesetz geworden! Richterrecht zu einer Analogie wurde zum Gesetzesrecht!
Zu Fall 4: Nach h.M. liegt mit dem Einstecken in die Manteltasche (Gewahrsams-enklave) ein vollendeter Diebstahl vor, also kein bloßer Versuch. Tätige Reue, ja oder nein? Sehen Sie in § 24 StGB einerseits und §§ 139 Abs. 4, 239 a Abs. 4, 306 e, 264 Abs. 5, 314 a, 320 StGB andererseits nach! Rechtsanalogie zugunsten des Täters – ja oder nein? Die herrschende Meinung verneint eine solche Analogie.
Weitere Beispiele für eine Analogie sind: §§ 170-173 BGB (Rechtsanalogie) auf das Nichtentstehen einer Vertretungsmacht, da die Paragraphen dem Wortlaut nach nur das Erlöschen der erteilten (!) Vertretungsmacht, also das Fortbestehen, regeln. § 1629 Abs. 1 S. 2 2. Hs. BGB analog auf § 48 Abs. 2 HGB.
Tipp: Sie haben gesehen, dass es oft schwer ist festzustellen, was die gewöhnliche, was die außergewöhnliche und was die äußerst außergewöhnliche Bedeutung eines Wortes in Gesetz, Willenserklärung oder Vertrag ist. Deshalb ist es auch von äußerster Schwierigkeit, wenn nicht gar unmöglich, die Grenze zu finden, um das Begriffspaar Analogie/Auslegung ganz exakt voneinander abzugrenzen: Noch Auslegung oder schon Analogie? Hier hilft die sog. Putzhilfenformel:
Würde Putzhilfe Emma die Frage, ob diese Person, dieser Gegenstand oder diese Gegebenheit noch unter das gesetzliche Merkmal passt, bejahen, dann handelt es sich um erlaubte Auslegung, würde sie diese Frage schroff verneinen, dann liegt eine unerlaubte (StGB) oder erlaubte (BGB) Analogie vor.
Diese Formel bietet einen alltagstheoretischen Zugang zum Gesetz und ist ein letztes Hilfsmittel für die Auslegung von Gesetzen, Willenserklärungen oder Verträgen. Die Auslegung eines Wortes findet ihre Grenze in der natürlichen Nachvollziehbarkeit im Volk, bei Putzhilfe Emma eben. Was ihr nicht plausibel ist, ist meistens falsch.
● Nun zum Umkehrschluss
Der Lückenüberbrücker des Umkehrschlusses (lat.: argumentum e contrario, Beweis aus dem Gegenteil) basiert zwar auch auf der Verschiedenheit des Sachverhalts mit dem ausgelegten Tatbestandsmerkmal. Daraus wird aber nun abgeleitet, dass auf der Basis dieser Verschiedenheiten nicht nur das Tatbestandsmerkmal X nicht vorliegt, sondern sogar die gegenteilige Rechtsfolge zu der im Falle der Tatbestandsbejahung vorgesehenen eintreten soll. Das Argumentum e contrario beruht auf dem Schluss: Wenn A für B gilt, gilt A nicht für C. Steht auf einem Verbotsschild: „Fußballspielen verboten“, folgt daraus im Umkehrschluss, dass andere Spiele (C) von diesem Verbot für Fußball (A gilt nur für B) nicht erfasst werden. Daraus folgt aber nicht, dass andere Spiele nicht aus anderen Gründen verboten werden könnten. Im vorangegangenen Fall 4 (tätige Reue, ja oder nein?) zog die h.M. den Umkehrschluss, dass die tätige Reue ausschließlich für die Fälle gelten soll, für die sie normiert ist.
Abgrenzung Analogie – Umkehrschluss
Der Analogieanwender behauptet: Der Sachverhalt ist zwar kein Fall des Tatbestandsmerkmals X, ist diesem X aber sehr ähnlich und nicht, wie der Extensiv-Ausleger behauptet, noch ein Fall von X.
Der Umkehrschlussanwender behauptet: Weil das Gesetz die Rechtsfolge ausschließlich an einen bestimmten Tatbestand geknüpft hat, gilt diese Rechtsfolge für andere Tatbestände nicht, auch dann nicht, wenn diese ähnlich liegen, vielmehr soll die gegenteilige Konsequenz eintreten.
Ein interessantes Beispiel, das Sie sicher weiterbringt: Eheliche und nichteheliche Gemeinschaft – glatt dasselbe?
Ein Paar lebt nichtehelich zusammen. Gegen den Mann Jupp Schmitz ergeht ein rechtskräftiges Zahlungsurteil des Landgerichts wegen nichtbezahlter Geldforderungen. Deswegen soll nun sein wertvolles Auto gepfändet werden. Dagegen erhebt seine Partnerin Emma Meier Klage (§ 771 ZPO). Begründung: Sie sei Miteigentümerin des Wagens. Und da es gegen sie keine titulierte Geldforderungen gebe, dürfe das Auto nicht gepfändet werden. Der Gläubiger will das nicht akzeptieren. Er vertritt die Auffassung, dass § 1362 Abs. 1 BGB aus dem Eherecht auch für den Partner nichtehelicher Gemeinschaften gelten müsse: Innerhalb einer Ehe ist gem. § 1362 Abs. 1 BGB davon auszugehen, dass Sachen beiden Ehepartnern gehören. Zusammen mit einer Regelung im Vollstreckungsrecht (§ 739 ZPO) bedeute dies: Auf gemeinsame Gegenstände eines Ehepaares (Vermutung aus § 1362 Abs. 1 BGB) könne der Gläubiger so zugreifen, als ob nur einer der Partner Alleineigentümer sei; es genüge also ein Zahlungstitel gegen einen der Ehepartner (Jupp), um die Zwangsvollstreckung in den Wagen zu betreiben. Die für den vollstreckenden Gläubiger vorteilhafte Vorschrift wurde geschaffen, um zu verhindern, dass Gegenstände in der Ehe hin und her geschoben werden, um Pfändungen zu vermeiden. Diese Regelung müsse doch auch für die Partner einer nichtehelichen Partnerschaft gelten, argumentiert der Gläubiger und verlangt vom Richter, die vorliegende Regelungslücke zu schließen.
Problem: §§ 1362 Abs. 1 BGB, 739 ZPO analog auf die nichteheliche Partnerschaft?
Lösung 1: Eine Meinung sagt: Lücke! Die Eigentumsvermutung der Zwangsvollstreckung (§§ 1362 Abs. 1 BGB, 739 ZPO) zu Gunsten des Gläubigers eines Ehegatten gilt auch bei der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, da eine Lücke besteht: Die Ratio legis, nämlich der Vermögensvermischungs- und Vermögensverschleierungsgefahr im Interesse des Gläubigerschutzes entgegenzuwirken, treffe ebenso auf den Gläubiger nichtehelicher Partner zu. Also: Lücke, die überbrückt werden muss durch Analogie (Palandt).
Lösung 2: Eine andere Meinung sagt: Keine Lücke! Der Gesetzgeber hat ja die Möglichkeit gehabt, den für die Ehe geltenden § 1362 BGB auch auf nichteheliche Lebensgemeinschaften auszudehnen. Das hat er aber nicht getan. Wenn der Gesetzgeber aber bewusst etwas nicht regele, also absichtlich eine Lücke lasse, müsse der Richter sich zurückhalten und dürfe nicht als gesellschaftspraktischer Nachbesserer korrigierend auftreten. Also: Keine Lücke, die überbrückt werden muss (BGH).
● Schließlich die teleologische Reduktion
Der Lückenschließer der teleologischen Reduktion ist das Gegenstück zur Analogie und zum Umkehrschluss.
Bei der Analogie ist der zu entscheidende Fall zwar nicht vom Wortlaut der Norm gedeckt, wohl aber von deren Normzweck. Der Tatbestand einer Norm wird erweitert.
Beim Umkehrschluss wird der Fall vom Wortlaut der Norm nicht erfasst, und der Normzweck verbietet eine erweiternde Anwendung der Rechtsfolge auf ähnliche Fälle. Der Tatbestand einer Norm verbietet eine solche Erweiterung
Bei der teleologischen Reduktion wird der Fall zwar vom Wortlaut erfasst, jedoch nicht vom Normzweck. Der Tatbestand einer Norm wird unterschritten.
Beispiel: „Frauen müssen eine Badekappe tragen“, so lautet ein Schild in einem Hallenbad.
Analogie: Männer werden zwar vom Wortlaut nicht erfasst, wenn sie aber langhaarig sind, gilt das Gebot entsprechend: Sie müssen eine Badekappe tragen.
Umkehrschluss: Da es dem Normzweck offensichtlich um die Vermeidung langer Haare in den Filteranlagen geht, gilt das Gebot nur für Frauen, nicht für Männer. Männer müssen keine Badekappe tragen.
Teleologische Reduktion: Wenn Frauen kurzhaarig sind, werden sie als „Frauen“ zwar vom Wortlaut erfasst, nicht aber vom Normzweck. Sie müssen keine Badekappe tragen.
Die teleologische Reduktion wendet sich gegen den auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers beruhenden Gesetzeswortlaut. Mit der Reduktion beginnt deshalb der gefährliche Bereich, in dem Gesetzgeber und Gesetz im Wege des Richterrechts durch die Judikative (Richter oder Rechtspfleger) korrigiert werden.
Ein Beispiel einer teleologischen Reduktion ist § 167 Abs. 2 BGB. Danach ist für eine Vollmacht die für das Rechtsgeschäft vorgesehene Form nicht notwendig, selbst dann nicht, wenn das vorzunehmende Rechtsgeschäft formbedürftig ist. Die Rechtsprechung hat nun im Wege der teleologischen Reduktion entwickelt, dass gegen den eindeutigen Wortlaut des § 167 Abs. 2 BGB eine Form auch für die Vollmacht notwendig ist, wenn sie als unwiderrufliche Vollmacht erteilt werden soll, da sich damit der Vollmachtgeber des ansonsten gem. § 168 S. 1 BGB möglichen Widerrufs begibt –, er also durch die „Form der Vollmacht“ geschützt werden muss.
Ein „Aber“ zum Abschluss der „Lückenüberbrückungsprogramme“:
„Aber“ gibt es denn für jeden Juristen einen, der das Gegenteil behaupten kann? – Kann man so „locker“ mit Gesetzen umgehen? Wenn das Amtsgericht X so auslegt und das Amtsgericht Y im gleichen Fall anders und das Amtsgericht Z wieder anders, wie soll da jemals Rechtssicherheit eintreten? – Das eine Gericht entscheidet sich für die Analogie, das andere genau für das Gegenteil, für das Argumentum e contrario, den Umkehrschluss ; das eine sieht eine Lücke und das andere nicht.
Chaos? – Auf den ersten Blick erscheint das in der Tat so. In Wahrheit ist es aber ein demokratischer, rechtsstaatlich gewollter Prozess. Es ist ein Prozess der juristischen Meinungsbildung, der Weiterentwicklung von Recht und Gesetz, der sich in Gerichtssälen, Literatur, Zeitschriften, Seminaren und Hörsälen vollzieht und nach dem sich am Ende alle richten. Hier können die Rechtswissenschaft und die Rechtsprechung zeigen was sie können! Das Ende heißt Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht oder auch Bundesarbeitsgericht, zuletzt Bundesverfassungsgericht. Frei nach dem katholischen Spruch: „Roma locuta, causa finita“ heißt es jetzt, „Der ‚BGH-Papst‘ hat gesprochen, die Sache ist beendet“. Damit hat der Prozess der juristischen Meinungsbildung im Regelfall auch tatsächlich seinen Ruhezustand gefunden.