Beitrag: 58 Wie Jura ins Gedächtnis kommt? – Teil I: Die Lern-Technik der assoziativen Verbindung

Sie müssen das, was Sie an Informationen über Ihren Lernkanal „Vorlesungs-Ohr“ und Ihren Lernkanal „Lehrbuch-Auge“ aufnehmen, so schnell wie möglich in Ihr Gedächtnis transportieren und in Ihrem „Jura-Langzeitgedächtnis“ so dauerhaft wie möglich derart verankern, dass es Ihnen im entscheidenden Moment der Klausur jederzeit einsprungbereit und abrufbar zur Verfügung steht. „Fix“ (dauerhaft) und „fertig“ (abrufbereit) muss Jura in Ihr Gedächtnis! „Schön und gut! Aber wie setze ich diese Alltagsweisheit am besten um?“

Durch erstens „assoziative Verbindungen“ (Teil I) und zweitens „Entkomplizierung des Komplizierten“ (Teil II) im nächsten Blog.

Zunächst also zur Assoziationstechnik. Das wichtigste Kapital des Jurastudenten ist sein Erinnerungsvermögen! Der Kampf ums Lernen ist immer gleichzeitig ein Kampf ums Speichern von „Etwas“. Und ein Kampf gegen das Vergessen. Und damit ein Kampf für das Erinnerungsvermögen! Da juristische Kenntnisse und Fähigkeiten beim Menschen nun einmal nicht vererbt werden, muss das juristische Wissen und Können in jedem Studentenleben neu erworben, das heißt, gelernt werden.
Zur effektiven Speicherung von juristischen Informationen haben Sie als Student neben Ihren externen Speichern der Gesetzestexte im „Schönfelder“, des Wissens in Büchern, Kommentaren, Ihren Mitschriften und hoffentlich Ihrem „eigenen Skript“ – wie jeder andere Organismus auch – zwei interne Informationsspeicher, nämlich Ihr Genom und Ihr Gedächtnis. Ihr Genom können wir hier vernachlässigen, es ist angeboren und verkörpert die Ihnen durch Vererbung mitgegebenen Informationen: Dazu gehört Jura sicher nicht! Ihr Gedächtnis dagegen entsteht im Laufe Ihrer Individualgeschichte. Es ist Ihr Erinnerungsvermögen, Ihr ganz spezielles Denken an früher Geschehenes, Erlerntes und gemachte Erfahrungen in Ihrem Leben: Man spricht von – Lernen. Beim Menschen gibt es Lernen durch das Anhäufen eigener Erkenntnisse und durch die Übernahme fremder Erkenntnisse: Dazu gehört nun Jura sehr wohl! Die Frage ist nur: Wie gelangen die für den Jurastudenten wichtigen Mitteilungen in sein Gedächtnis? – Einfache Antwort: Durch Sammeln!

Jurastudenten sind Gedankensammler! Schon das „Lesen“, diese Uraktivität des Studenten, ist eine Art Sammeln. Beide Wörter, „Lesen“ und „Sammeln“ bedeuteten ursprünglich ohnehin dasselbe, nämlich das Heraussortieren von Dingen, die es wert sind, aufbewahrt zu werden. Noch heute wird von der „Weinlese“ gesprochen. Und eine Art juristischer Weinlese ist auch das Sammeln der Gedanken eines Lehrbuches oder einer Vorlesung, die es wert sind, als geistige Früchte aufbewahrt zu werden.

Für Sie gibt es im Laufe des Jurastudiums zwei Arten von Gedankensammlungen:
 Die Gedanken, die Sie sammeln, weil Sie sie durch eigenes Nachdenken erschlossen haben.
 Die Gedanken, die Sie sammeln, weil fremde Autoritäten sie Ihnen gesagt haben.

Seit langer Zeit genießen an den juristischen Fakultäten die Gedanken der ersten Sorte ein besonders hohes Prestige. Leonardo da Vincis kühnem Satz, der die Rechtfertigung für alles freie Denken enthält, kann man sich hörbar seufzend nur anschließen: „Wer im Streite der (juristischen) Meinungen sich auf die (juristische) Autorität beruft (Palandt hier, BGH dort), der arbeitet mit seinem Gedächtnis anstatt mit seinem Verstand.“ Für einen jungen Jurastudenten ist es aber entgegen dem großen Leonardo sehr vernünftig, wenn er zunächst fremde Gedanken von Autoritäten sammelt und diese „juristische Gedankenlese“ als Jurawissen in die Kelter seines Gedächtnisses einfährt. Wobei er weiß: Das Gedächtnis darf zwar das Denken nicht ersetzen, aber ohne Gedächtnis gibt es auch kein Denken, lieber Leonardo. Machen wir uns auf die Suche nach Ihrem Gedächtnis! Denn diesen Speicher gilt es aufzufüllen, ihn zu beschicken dient Ihre ganze juristische Ausbildung.

Sie haben, wie jeder Mensch, drei Gedächtnisstufen zum Speichern. Bevor eine der wichtigen juristischen Informationen (ein Vertrag kommt zustande durch …; Notwehr setzt voraus …) in Ihrem Langzeitgedächtnis abgespeichert werden kann, trifft sie zunächst auf Ihr Ultrakurzzeitgedächtnis (UKZG). Dieser Gedächtnisteil hat nur eine einzige Funktion: Er entscheidet darüber, ob die Nachricht für Sie wichtig oder unwichtig ist. Kommt er zu dem Ergebnis „wichtig“, leitet er sie weiter an Ihr Kurzzeitgedächtnis, wo sie erneut abgeprüft wird, bevor sie an den beiden Türstehern vorbei endgültig ins Langzeitgedächtnis gelangt. Kommen Ihre Kurzzeitgedächtnisse als strenge Wächter zu dem Ergebnis „unwichtig“, dann wird die Information respektlos gelöscht, sie kommt nicht ins Langzeitgedächtnis. Die Folge ist, dass Sie sich nie mehr an diese vielleicht doch „wichtige“ Nachricht (Vertrag; Notwehr) erinnern können. Beide Kurzzeitgedächtnisse müssen von Ihnen überwunden werden, wenn Sie beim Lernen des „Zustandekommens eines Vertrages“ oder der „Notwehr“ Erfolg haben wollen.

Was kann man nun dafür tun, dass das Kurzzeitgedächtnis nichts Wichtiges wegfiltert und nicht blockiert, die Barrieren vor dem Langzeitgedächtnis überwunden werden und Jura in Ihr Gedächtnis gerät? – Die Kurzzeitgedächtnisse arbeiten unerbittlich, um als Filter und Barriere Ihr Gehirn vor einer Informationsüberflutung zu schützen. Wenn Sie jede Information, die Sie z.B. als Autofahrer benötigen, um unfallfrei zur Hochschule zu gelangen (Auto von rechts, Auto von links, Ampel auf Rot, Fußgänger von vorn) nicht sofort nach Gebrauch wieder löschen würden, wäre Ihr Gehirn mit einem Ballast nunmehr nutzloser Informationen zugemauert. Sie führen gegen den nächstbesten Baum! Das Löschen und das Rausschmeißen haben die Funktion, Ihre begrenzten Speicherkapazitäten wieder freizumachen. Ihr Kurzzeitgedächtnis (KZG) hat nämlich nur ein sehr begrenztes Fassungsvermögen.

Wahrnehmung tritt ein → Wahrnehmung gewertet als: „unwichtig“ → Wahrnehmung wird gelöscht

Das so überlebensnotwendige löschende Vergessen ist nun für Sie als lernender Jurastudent leider sehr nachteilig. Die beschränkte Aufnahmekapazität der Kurzzeitgedächtnisse drängt nämlich respektlos auch auf das Vergessen des juristisch Gelernten in der „Absicht“, durch das Rausschmeißen der Voraussetzungen des „Zustandekommens eines Vertrages“ oder der „Notwehr“ Platz zu schaffen für die „Anfechtung dieses Vertrages“ oder den „Notstand“. Sie sehen: Was Sie als Autofahrer davor bewahrt, gegen den Baum zu fahren, führt bei Ihnen als Student dazu, dass Sie gegen den Baum fahren: Der Baum heißt in unserem Zusammenhang: Misserfolg in Klausur und Examen durch Vergessen!

Das Kurzzeitgedächtnis braucht nun Zeit, um zu prüfen, ob z.B. die Ausführungen Ihres Dozenten in der Vorlesung wichtig, also weiterleitungswürdig sind, oder ob sie unterbelichtet bleiben und dem Vergessen anheim fallen sollen. Von einer festen und dauerhaften Fixierung im Langzeitgedächtnis kann während dieser Prüfungsphase keine Rede sein. Der Dozent redet ganz einfach am Gedächtnis seiner Studenten vorbei! Hüten Sie sich also vor dozentischen „Schnellfeuergewehren“, bei denen immer der nächste Satz den vorherigen auffrisst und die Ihr Kurzzeitgedächtnis total überfordern: Es bleibt nichts hängen!

Eine erste, kurze Antwort auf die Frage „Wie kommt Jura ins Gedächtnis?“ lautet also:
Die Infos müssen aus den Tiefen des Ultrakurzzeitgedächtnisses über das Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis kommen, indem sie ausgewählt, das heißt, mit aktueller Aufmerksamkeit bedacht und nicht von vornherein „weggefiltert“ werden.

Ein kleines Beispiel für die gnadenlose Selektion Ihres Kurzzeitgedächtnisses: Schauen Sie jetzt nicht auf Ihren „Schönfelderdeckel“ und beantworten Sie nur die Frage: Was steht auf dem Einbanddeckel? Haben Sie Schwierigkeiten mit der Beantwortung der Frage, obwohl Sie schon hundertmal darauf geschaut haben? Inzwischen haben Sie sicherlich nachgeschaut, wie der Einbanddeckel gestaltet ist. Noch eine Frage – wieder ohne hinzuschauen: Wie viele Farben prangen auf dem Umschlag? Möglicherweise haben Sie bei dem Blick nach der Beschriftung die Farben des Einbanddeckels nicht registriert. Eselsbrücke: „Man bemerkt nur, was einen aktuell interessiert“. Ja! Gnadenlos, dieses UKZG!!

Die große Frage ist aber: Wie geschieht das?

Erster Trick: Durch assoziatives Lernen. Es gibt juristische Infos von außen, die sind neu. Man erhält sie über die Kurzzeitgedächtnisse aus dem Hörsaal oder aus dem Lehrbuch zugespielt. Und es gibt Daten von innen, die sind alt. Diese kann man aus den Tiefen seines Langzeitgedächtnisspeichers als juristische Gedächtnisinhalte zum intuitiven Andocken für die neu eintreffenden juristischen Informationen aktualisieren und nutzen.
Sie müssen sich das so vorstellen, dass sich Ihr Denken im Zusammenspiel zweier mentaler Systeme vollzieht. Das erste agiert stets im Modus des Altbekannten, einer „inneren Stimme“, das zweite hingegen in der Arbeitsweise der Reflexion, einer „äußeren Stimme“, im Modus des Nachdenkens über das Neue. Diese beiden geistigen Systeme müssen Sie in Einklang bringen, so dass sie reibungslos wie zwei Zahnräder ineinander greifen.

Sie können viel dafür tun, dass Ihre zwei mentalen Systeme und Ihre Gedächtnisspeicher als Team optimal zusammenspielen und wichtige Informationen nicht dem „ewigen“ Vergessen anheim fallen.

Ihr juristisches Lernen ist ein kontinuierlicher Prozess. Es ist wie jedes Lernen ein Prinzip der Erzeugung immer neueren, breiteren, verbesserten und tieferen Wissens. Das ist sein Mehrwert. Sie erweitern Ihren Wissensbestand ständig, aber nicht nur durch additives Hinzufügen (das auch!), sondern vornehmlich durch einsichtsvolle, verständige, kognitive Verknüpfungen Ihres systematisch geordneten juristischen Altbestandes mit dem juristischen Neubestand. Schon Gelerntes begegnet noch Ungelerntem, durchdringt und verändert sich. Sie gehen vor wie die Evolution: Was Sie einmal als gut erkannt haben und was sich im harten Selektionsprozess der juristischen Nachrichtenaufnahme in Ihrem Gedächtnis bewährt hat, behalten Sie bei und nehmen es mit. Sie bauen darauf auf und heben das Erreichte durch mutierende Veränderung seitens Ihres Verstandes auf eine neue, bessere Systemstufe. Deshalb sind die Grundlagen im 1. Semester ja so unendlich wichtig! Das neu erworbene Wissen ist mit Hilfe Ihres Lernens der erststufige Vorläufer des zukünftigen zweitstufigen Wissens und so fort. Sie lernen nicht ziellos ein Gesangbuch auswendig oder rezitieren Schillers „Glocke“, sondern erlernen den Gutachtenstil und die Subsumtionstechnik, das Zustandekommen eines Vertrages und die Merkmale der Anfechtung, den Deliktsaufbau im StGB sowie die Tatbestandsmerkmale der Notwehr, die Grundrechte des Grundgesetzes ziel- und zweckgerichtet, also final, um diese Institute zu be„greifen“, sie als Einzelteile „greifen“ zu können, um sie Ihrer bisherigen Lernstruktur assoziativ (lat.: ad, zu; socius, Gefährte) als „Gefährten“ einzugliedern. Zu einem künftigen Zeitpunkt steht Ihnen diese Struktur „griffbereit“ für juristische Problemlösungen in Ihrer Klausur zur Verfügung. Methode, Wissen, Verstand und assoziatives Gedächtnis reichen sich in der Klausur immer die Hand.
Ich offenbare Ihnen jetzt einen Kunstgriff, der Ihr intelligentes Lernen entscheidend fördern wird: Die Lerntechnik der assoziativen Verbindung. Diese „Lern-Technik der assoziativen Verbindungen“ ist die große Chance, sich schon ganz am Anfang seines Studiums ein grundsätzliches, für das gesamte juristische Studium geltendes Lernverhalten zu erwerben. Ein wichtiges Mittel für das dauerhafte Behalten ist die Herstellung von Assoziationen. Assoziation bedeutet hier die Verknüpfung neuer juristischer Inhalte mit bereits vorhandenem Jurawissen. Zu einem neuen juristischen Bewusstseinsinhalt wird spontan ein schon vorhandener Bewusstseinsinhalt aus dem assoziierenden Gedächtnis reproduziert. Dazu müssen Sie für den neu zu lernenden Stoff Querverbindungen und Ankopplungsmöglichkeiten zu dem alten Stoff in diesem Gedächtnisteil schaffen, was wiederum nur gelingt, wenn Sie vorher klare und einfache Anknüpfungspunkte beim alten Stoff (interne Daten) für den neuen Stoff (externe Daten) entwickelt haben. Ihr Gehirn produziert aus den juristischen Informationen, die es von außen bekommt, Ihr persönliches juristisches Wissen, indem es die neuen Informationen an die bereits früher gespeicherten alten Inhalten andockt. Die neuen Infos müssen auf „gedächtnisinterne Gegenliebe“ stoßen. Sie müssen die neuen juristischen Gegenstände in Ihre eigenen Wissensstrukturen überführen.

Die Technik der „assoziativen Verbindung“ beruht auf der auch von Ihnen schon oft gemachten Alltagserfahrung, dass man sich leichter an Informationen erinnern kann, wenn sie mit bekannten Infos verknüpft sind. Dem Jura lernenden Menschen ist, wie jedem anderen Menschen auch, am Wiedererkennen gelegen. Auch er ist grundsätzlich ein kognitiver Faulenzer: Er möchte im juristisch Neuen das juristisch Alte wiederfinden und das Individuelle im Generellen. Darauf beruht die „Vertraulichkeit“, das „Heimischwerden“ im juristischen Lernen. Sie würden nur erschrecken und verwirrt sein, wenn Sie ständig immer wieder vollkommen Neues, Sensationelles, Einmaliges, Individuelles, Losgelöstes dargestellt bekämen, ohne dass sich Ihnen die Möglichkeit böte, halb Vertrautes darin wiederzuentdecken. Durch das Alte legitimiert sich das Neue, weist sich als echt, als richtig aus – als richtig im Sinne des „Wie ich es schon gelernt und verstanden habe.“ – „Wie ich es kenne.“ Für das Behalten und damit das Nichtvergessen ist es äußerst wichtig, dass die juristischen Informationen aufeinander bezogen sind, d.h., dass sie eine Netz-Struktur bekommen in einem beweglichen Netz, das Sie geknüpft haben und in das Sie immer neu einknüpfen.

Je enger nun Ihr Netzwerk mit Ankopplungsadressen geknüpft ist, desto leichter wird Ihnen das Ankopplungsmanöver gelingen. Dann fügt sich nahtlos
juristisch Neues an juristisch Altes,
Nichtwissen an Wissen,
Nichtkönnen an Können,
Ungelerntes an Gelerntes,
Unfertigkeit an Fertigkeit,
Unsystematisches an Systematisches und
Klausurerfolg an Klausurerfolg.
Diese Assoziationstechnik ermöglicht es, über die Herstellung solcher Assoziationsketten die Elemente exakt in der vorgegebenen Reihenfolge zu reproduzieren. Wird die neue juristische Wahrnehmung als wichtig erkannt und mit einer bereits vorhandenen, im Langzeitgedächtnis kreisenden juristischen Information gekoppelt (assoziiert), so ist sie verankert und erinnerbar. Das blitzschnelle Anklicken der im LZG gespeicherten Ketten fällt Ihnen umso leichter, je besser Sie darin trainiert sind.

In drei Schritten wird juristisches Wissen assoziativ gelernt: Machen Sie einfach einmal mit! Es ist ein Verhaltensprogramm, mit dessen Hilfe man die Assoziationstechnik automatisiert: Alles baut aufeinander auf und alles wird mit allem vernetzt.

Wir bleiben beim Vertrag.

 Erster Schritt: Die neue Information strömt in das Kurzzeitgedächtnis. Findet das in Ihrem Arbeitsspeicher zur Prüfung bereitliegende reflektierte externe Datum „Vertrag“ („äußere Stimme“) mangels interner Daten („innere Stimme“) Ihre aktuelle Aufmerksamkeit nicht, dann wird es von anderen Inhalten verdrängt, die neu zum Arbeitsspeicher Zugang finden, nachdem sie am Wächter „UKZG“ vorbeigesegelt sind. Der „Vertrag“ wird nicht weiter im LZG gespeichert. – Er fand hier keine interne „Gegenliebe“, er ist nach spätestens einer halben Stunde nicht mehr verfügbar – und zwar für immer. Es muss ein neues Andockmanöver gestartet werden.
Die in Ihrem Kurzzeitgedächtnis anlandende externe Vorlesungs-Information „Ein Vertrag besteht aus Angebot und Annahme“ würde also nach wenigen Sekunden der Reflexion, also des prüfenden Nachdenkens, verlöschen, wenn sie nicht sehr schnell auf eine in Ihrem assoziativen Langzeitgedächtnis kreisende interne Information stoßen würde. Der „Vertrag“ muss als Suchhinweis im KZG für etwas Folgendes im LZG den Reflex darstellen. Diese folgenden – alten – gespeicherten Informationen, die nunmehr auf den Abrufreiz „Vertrag“ intuitiv reagieren, müssten die Informationen „Rechtsgeschäft“ und „Willenserklärung“ sein. Diese Begriffe müssen als erste Elemente „fest gemauert“ im LZG verankert sein, um als Urglieder für Ihre Assoziationskette dienen zu können. Das Urglied muss immer sofort reproduzierbar sein. Im BGB beginnt die Assoziationskette „Vertrag“ mit den ersten Gliedern: „Rechtsgeschäft“ und „Willenserklärung“. Mit irgend einem Abrufadressaten muss man beginnen, da hilft Ihnen niemand!

 Zweiter Schritt: Die neue Information „Vertrag“ trifft im Arbeitsspeicher auf eine alte interne Information aus dem Langzeitgedächtnis und sucht nach „Andockstellen“.
Der Suchhinweis „Vertrag“ im KZG reizt die im LZG bereits vorhandenen Assoziationsglieder und „überlegt“ anzukoppeln:

 „Rechtsgeschäft“? – Ein Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand aus einer oder mehreren Willenserklärungen, an den die Rechtsordnung einen bestimmten Rechtserfolg knüpft, weil er so gewollt ist. Klar!

 „Willenserklärung“? – Sie ist die Äußerung eines rechtsgeschäftlichen Willens, um eine Rechtsfolge auszulösen. Auch klar!

 Ankopplungsmanöver: Vertrag ist also ein aus zwei solchen Willenserklärungen – Angebot und Annahme ‑ bestehendes Rechtsgeschäft, das einen bestimmten Rechtserfolg herbeiführen soll.

Die neue Info („äußere Stimme“) „Vertrag“ ist auf Gegenliebe gestoßen und hat sich zu den Infos „Rechtsgeschäft“ und „Willenserklärung“ („innere Stimme“) gesellt.

 Dritter Schritt: Die neue Information V dockt fest an die alten Infos R und W an. Die neue Info begegnet den Ankerpunkten. Neue Verknüpfung: Der Vertrag ist ein Rechtsgeschäft und besteht aus zwei (oder mehr) Willenserklärungen, nämlich Angebot und Annahme, und soll einen gewollten Rechtserfolg (den die Rechtsordnung akzeptiert) herbeiführen. Nach der Verknüpfung entsteht eine Assoziationskette, in der die Erinnerung (Reproduktion) eines Elements automatisch die Erinnerung an die anderen Elemente hervorruft. Ein Teil einer Erinnerung reaktiviert die ganze Erinnerung. Eine Ausnahme ist notgedrungen das allererste Element, das deshalb naturgemäß nicht vergessen werden darf. Wenn der erste Begriff nicht reproduziert werden kann, steht er auch als interner Abrufadressat im assoziativen Gedächtnis für den zweiten, den externen Abrufreiz, nicht zur Verfügung. Also müssen das erste „Rechtsgeschäft“ und die erste „Willenserklärung“, denen Sie in Ihrem Juraleben begegnen, fest „fixiert“ werden, wahrscheinlich ist es das „Angebot“ oder die „Zustimmung“.
Immer, wenn ab jetzt das Wort „Vertrag“ bei Ihnen ankommt, läuft das Assoziationsprogramm ab. Je mehr Fortschritte Sie machen, desto mehr werden neue Tatbestandsmerkmale oder Rechtsinstitute bei Ihnen Assoziationen freisetzen, die wiederum neue Gedankenketten gebären.

Mal ist die Assoziationskette so und mal eben anders. Das Programm läuft aber immer mit derselben Technik und Taktik ab. Solche Programme wie die Stufentechnik (alles baut aufeinander auf) und die Assoziationstechnik (alles wird mit allem vernetzt) bilden ein Repertoire von Aktions- und Handlungsanweisungen, letztlich Fertigkeiten, die man sehr gut beherrschen kann und die einem im LZG dann langfristig zur Verfügung stehen.

Ein zweites Beispiel soll Ihnen genau verdeutlichen, was ich meine.

Im BGB spielt die Übertragung von Rechten immer wieder eine wichtige Rolle – etwa beim Eigentum an beweglichen (§ 929 BGB) und unbeweglichen Sachen (§§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB) sowie bei der Inhaberschaft von Forderungen und anderen Rechten (§§ 398, 413 BGB). Die Aufschrift über Ihrer zu bauenden „Assoziations-Kommode“ lautet also: „Übertragung von Rechten“. Nunmehr wird die erste Schublade beschriftet und beschickt: „Übereignung beweglicher Sachen (Waren)“ – mit irgendeiner Schublade muss man den Lernvorgang eben beginnen. Sie füllen diese Schublade mit den dem Text des § 929 S. 1 BGB entnommenen Strukturelementen:
 Einigung (Willensmoment)
 Übergabe (Vollzugsmoment)
 Einigsein zum Zeitpunkt der Übergabe
 Berechtigung, d.h. der Übereignende muss verfügungsbefugter Eigentümer sein

§ 929 S. 1 BGB ist ab jetzt Ihr Abrufadressat für die nachfolgenden Abrufreize Ihrer Assoziationsketten. § 929 S. 1 BGB muss deshalb sitzen! (Weswegen der Dozent in der Vorlesung ja so entscheidenden Wert darauf legen muss.)

Gelangen Sie im Stoff nunmehr zu den neuen externen Abrufreiz-Informationen der §§ 873, 925 BGB, also zu der Übereignung einer unbeweglichen Sache, so fahnden Sie in Ihrem Langzeitgedächtnis nach internen Abrufadressaten, nämlich nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu den alten Informationen. Sie stoßen auf die Kommode „Übertragung von Rechten“, öffnen die erste Schublade „Übereignung beweglicher Sachen gem. § 929 S. 1 BGB“ und nehmen die Einzelteile in die Hand, legen sie also auf Ihren Arbeitsspeicher. Nach kürzester Zeit haben Sie dem Gesetzestext des § 873 Abs. 1 BGB Ankoppelungsmöglichkeiten in Form der Gemeinsamkeiten des Willensmomentes (Einigung), des Einigseins und der Berechtigung entnommen und in Form der Unterschiede, nämlich beim Vollzugsmoment statt „Übergabe“ „Eintragung“ im Grundbuch und das zusätzliche Erfordernis der Einigung vor einem Notar, § 925 BGB (nennt man übrigens „Auflassung“), entdeckt. Jetzt können Sie die zweite Schublade beschriften: „Übereignung einer unbeweglichen Sache“. Sie füllen diese Schublade mit den dem Text der §§ 873 Abs. 1, 925 BGB entnommenen Bausteinen:
 Einigung in Form der Auflassung
 Eintragung im Grundbuch
 Einigsein (vgl. § 873 Abs. 2)
 Berechtigung, d.h. verfügungsbefugter Eigentümer

Haben Sie es bemerkt? Sie haben sich Querverbindungen und Ankopplungen geschaffen, die viel besser im LZG haften als Einzelvermittlungen. Schnell haben Sie dann auch den entsprechenden Baukasten Ihrer Kommode „Übertragung von Rechten“ auf ein Papier skizziert, der die Parallelen und Unterschiede verdeutlicht:

Wer im juristischen abstrakten Denken schon weit genug ist, kann die gemeinsamen, von den konkreten TBM des § 929 und § 873 BGB abgezogenen Abstrakta ausfällen, nämlich: Willensmoment  Vollzugsmoment  Deckung der beiden Willens- und Vollzugsmomente  Berechtigung.

Kommen Sie nunmehr im Laufe Ihres weiteren Lernens zu § 398 S. 1 BGB, also der externen Information „Übereignung einer Forderung“, die man traditionell nun einmal „Übertragung einer Forderung“ nennt (eben: juristisches Fachvokabular), so koppeln Sie wiederum an intern Bekanntes an.
Sie beschriften die dritte Schublade: „Übertragung von Forderungen“ Ihrer Kommode „Übertragung von Rechten“. Das ist Ihr Suchhinweis. Dann kramen Sie zunächst in Ihren vertrauten abgespeicherten Schubladen zu § 929 BGB und §§ 873 I, 925 BGB im LZG und zerlegen jetzt § 398 S. 1 BGB in seine Tatbestandselemente. Mit einem kleinen Scherz: „Der Gesetzgeber lässt aber auch keine Chance aus, die Studenten zu verwirren“, deuten Sie das Wort „Vertrag“ in „Einigung“ um und schon schaffen Sie sich die Querverbindungen und Ankoppelungsmöglichkeiten. Sie machen sich klar, dass es bei Forderungen als vergeistigten abstrakten Gebilden kein Vollzugsmoment in Form einer Übergabe geben kann, und der Gesetzgeber Gott sei Dank auf ein „Forderungsbuch“ (analog Grundbuch) verzichtet hat und stellen weiter fest, dass das Merkmal „Berechtigung“ im Wort „Gläubiger“ versteckt ist. Ihre detektivische Suche hatte Erfolg. Die neue Information „Übertragung von Forderungen“ trifft auf die alten Schubladen-Informationen der §§ 929, 873 Abs. 1, 925 BGB im LZG. Es bildet sich eine Assoziationskette, in der die Erinnerung an Schublade 1: § 929 BGB die Erinnerung an Schublade 2: §§ 873 Abs. 1, 925 BGB und dann die Erinnerung an Schublade 3: § 398 BGB hervorruft.
Sie füllen die dritte Schublade auf mit den Tatbestandselementen des § 398 S. 1 BGB:
 Einigung (Vertrag)
 Berechtigung (Gläubiger)

Sie werden die Assoziationskette mit den Gliedern 1, 2 und 3 oder die Kommode mit den Schubladen 1, 2 und 3 nie mehr vergessen – sie stehen unverrückbar in Ihrem LZG.

Jetzt stellen die einzelnen gesetzlichen Bauelemente der „Übertragung von Rechten“ in den §§ 929, 873 I, 925, 398 S. 1 BGB keine ungeordnete Menge von Einzelmerkmalen mehr dar, wie die 999.999 Teile im ungeordneten Supermarkt. Sie sind vielmehr ein aufeinander bezogenes Assoziationssystem mit Aufschriften, wie die einzelnen Glieder oder Schubladen miteinander verbunden sind. Sie haben bald eine Art Kommodenplan im Kopf, wo etwas aufbewahrt ist und aufgefunden werden kann. Kommt nun neues externes Wissen hinzu (z.B. gibt es bei der Übertragung von Rechten und Forderungen ein letztes Merkmal, nämlich das „Nichtvorliegen von Abtretungsverboten“, vgl. § 399 BGB), so legen Sie dieses Merkmal nicht irgendwo unsystematisch ab, sondern betten die neue Information in Ihren vorhandenen Speicherschrank.
 Also: Kommode „Übertragung von Rechten“ (s. §§ 929; 873 Abs. 1, 925; 398) anklicken!
 Hier: „Übertragung von Forderungen“. Schublade 3 öffnen!
 Neue Info: „kein Abtretungsverbot (s. § 399)“!
 Schublade 3 beschicken: „kein Abtretungsverbot!!“
 Neuer Inhalt Schublade 3: „Einigung – Berechtigung – kein Abtretungsverbot“
 Schublade schließen!
 Fixiert!

Das Assoziations-Modell „Übertragung von Rechten“ können Sie getrost auf sämtliche Rechtsfiguren „übertragen“. Es funktioniert immer!

Die Kenntnis der „verknüpfenden“ Ordnung der gesetzlichen Gesamt- und Einzelbaupläne mit ihren Tatbestands-Bauelementen, die nie einzeln stehen, sondern immer in funktionelle Wechselabhängigkeiten treten, sich vernetzen, ankoppeln oder andocken, muss Ihnen zwangsläufig die entscheidenden Vorteile in Ihrem Lernen bringen. Und wird, wie zu erwarten, die Verflechtung dieser Bauplan-Wechselwirkungen, der Assoziationsketten und Kommodensysteme sehr umfangreich, dann wird auch die Aussicht auf Entflechtung ohne Kenntnis des flechtenden Netzwerkes, des Kommodengesamtplans, verschwindend gering.
Mit dieser Assoziationstechnik bauen Sie sich nach und nach ein in Ihrem Kopf verdrahtetes, schon bald perfektes Expertenwissen auf. Die Gedanken Ihrer in dieser Technik nicht geübten Kommilitonen verheddern sich dagegen in unzähligen (999.999) Einzelschritten. Sie aber jonglieren mit vorgefertigten „Rechtsinstitutspaketen“, „Tatbestandskommoden“, Paragraphenassoziationsketten“, „Gesetzespuzzlespielen“, die Sie gebündelt und verschaltet in Ihrem Gedächtnis haben.
Ich behaupte nicht, dass die gesamte Rechtswissenschaft in solche assoziative Kommoden und Wissensspeicher eingespeist und das Neue immer im Alten, das Spezielle immer im Generellen gefunden werden kann, dazu sind die Wirklichkeit und das Gesetz, die wir in der Juristerei immer wieder sich paarend zusammenbringen müssen, zu kompliziert. Aber für das Lernen ist das Anlegen solcher Ordnungen und Systeme unumgänglich. Das blitzschnelle Anklicken der Schubladen fällt Ihnen umso leichter, je besser Sie darin trainiert sind. Die detektivische Suche nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden, Querverbindungen und Ankopplungen lohnt sich – Sie behalten besser!

So kommt Jura ins Gedächtnis! Und vor allem: So bleibt Jura im Gedächtnis!

Den zweiten Behaltenstrick zeige ich Ihnen im nächsten Beitrag.