Bei unseren bisherigen Erörterungen zum Vertretungsrecht haben wir der spannenden Frage, welche Rechtsfolgen das Fehlen einer oder gar mehrerer Voraussetzungen des § 164 auslöst, noch keine eingehende Betrachtung gewidmet. Bevor wir die Frage beantworten, wollen wir die Ergebnisse, die wir in den beiden vorgehenden Blogs bisher gefunden haben, noch einmal wiederholend zusammenstellen:
Handelt der Vertreter im fremden Namen mit Vertretungsmacht, so ist er Vertreter. Er führt ein fremdes Geschäft, nämlich das des Vertretenen. So § 164 Abs. 1!
Handelt der „Vertreter“ im eigenen Namen mit Vertretungsmacht, so ist er kein Vertreter. Er führt ein eigenes Geschäft. So § 164 Abs. 2!
Handelt nun der „Vertreter“ im fremden Namen ohne Vertretungsmacht, was dann? – Diese Frage ist noch offen und wir wollen uns im Folgenden näher mit ihr beschäftigen.
Zu einer fehlenden Vertretungsmacht kann es aufgrund mehrerer Umstände kommen:
Zum einen ist es möglich, dass der Vertreter ohne jeden Kontakt mit dem angeblichen Geschäftsherrn rechtsgeschäftliche Erklärungen für diesen abgibt.
Eine weitere Möglichkeit kann darin liegen, dass zwar Vertretungsmacht erteilt worden ist, diese Vollmachterteilung aber wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit des Geschäftsherrn nichtig ist.
Fehlende Vertretungsmacht liegt schließlich auch dann vor, wenn die Vollmacht nach § 168 in dem Zeitpunkt bereits wieder erloschen ist, in dem das Vertretergeschäft vorgenommen wird, und die §§ 170-173 nicht eingreifen.
Darüber hinaus ist von fehlender Vertretungsmacht aber auch dann auszugehen, wenn dem Vertreter zwar Vollmacht erteilt worden ist, er sich beim Geschäftsabschluss aber nicht an die Grenzen der ihm erteilten Vollmacht gehalten hat, also nicht „innerhalb“ der Vertretungsmacht tätig wird (§ 164 Abs. 1).
Später kommt schließlich noch der Fall des § 181 hinzu.
In allen diesen Fällen, in denen es an der für den Abschluss des konkreten Geschäftes erforderlichen Vertretungsmacht fehlt, handelt die Mittelsperson als sog. Vertreter ohne Vertretungsmacht (falsus procurator). Mit einem solchen Falsus procurator haben wir es also nur dann zu tun, wenn sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen einer wirksamen Stellvertretung aus § 164 Abs. 1 vorliegen bis auf die Vertretungsmacht.
Die Frage ist nun, welche rechtlichen Folgen das Gesetz an das Auftreten eines Vertreters ohne Vertretungsmacht knüpft. Klar ist, dass es kein fremdes Geschäft des Vertretenen ist, da der „Vertreter“ ja ohne Vertretungsmacht gehandelt hat. Ebenso klar ist, dass es kein eigenes Geschäft des „Vertreters“ ist, da er ja im fremden Namen abschließt.
Die gesetzliche Lösung dieses Interessenkonfliktes findet sich, soweit es um den Abschluss von Verträgen geht, in § 177. In § 177 Abs. 1 ist der Ihnen bereits aus dem Recht der Minderjährigen aus § 108 Abs. 1 bekannte Grundsatz wieder aufgegriffen worden, dass Verträge, die ohne die erforderliche Mitwirkung einer dritten Person (bei § 108 ohne die Eltern) geschlossen werden, schwebend unwirksam sind, bis der Dritte (Eltern) den Vertrag genehmigt oder die Genehmigung verweigert. Tritt nun ein Vertreter ohne Vertretungsmacht auf, so erinnert sich der Gesetzgeber an die Rechtsfolge des § 108 Abs. 1 und lässt die Wirksamkeit des Vertrages gegen den Geschäftsherrn von dessen Genehmigung abhängig sein. Diese Genehmigung als nachträgliche Zustimmung (§§ 184, 182) ersetzt die fehlende Vertretungsmacht. Verweigert der Vertretene die Genehmigung, so wird der Vertrag endgültig unwirksam; eine Verpflichtung des Geschäftsherrn entsteht dann also nicht.
Der Gesetzgeber übertrug die „Silbertablett-Lösung“ des § 108 Abs. 1 auf § 177 Abs. 1. „Bitte schön ‚Vertretener‘: Gefällt es dir oder nicht? Dann genehmige oder lass‘ es! Ganz nach Deinem Belieben!“
Im Hinblick auf die Einzelheiten der Genehmigung bzw. ihrer Verweigerung gelten auch hier die §§ 182, 184. Auch im Falle eines Vertragsschlusses durch einen vollmachtlosen Vertreter hat die Genehmigung rückwirkende Kraft, so dass der Vertrag nach Erteilung der Genehmigung vom Zeitpunkt seines Abschlusses an voll wirksam wird. Ebenso hat der Geschäftsherr nach § 182 Abs. 1 die Möglichkeit, die Genehmigung sowohl gegenüber dem „Vertreter“ als auch gegenüber dem Geschäftsgegner zu erklären.
Wie bei § 108 Abs. 1 ist auch im Fall des § 177 Abs. 1 der Zeitraum zwischen dem Vertragsschluss und der späteren Genehmigung des Vertrages (oder der Verweigerung einer solchen) von der schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages geprägt. Im Minderjährigenrecht haben wir die Bestimmungen der §§ 108 Abs. 2 und 109 Abs. 1 kennen gelernt, die dem Vertragspartner Möglichkeiten an die Hand geben, diesen für ihn unerwünschten Schwebezustand durch Aufforderung oder Widerruf zu beenden. Im Vertretungsrecht hat der Gesetzgeber sich zu gleichen Regelungen entschlossen. So gewährt § 178 dem Geschäftsgegner, solange die Genehmigung nicht erteilt ist, ebenfalls die Möglichkeit, seine Vertragserklärung zu widerrufen und so den Vertrag endgültig zu Fall zu bringen. Entsprechend der Vorschrift des § 109 Abs. 2 stellt jedoch auch § 178 wegen mangelnder Schutzwürdigkeit des Vertragspartners die Widerrufsmöglichkeit dann nicht zur Verfügung, wenn der Vertragspartner vom Mangel der Vertretungsmacht positiv Kenntnis gehabt hat.
Will sich dagegen der Vertragspartner nicht vom Vertrage lösen, sondern nur den optimalen Schwebezustand beenden, so eröffnet ihm das Gesetz parallel zu § 108 Abs. 2 in § 177 Abs. 2 die Möglichkeit, den Geschäftsherrn zu einer Erklärung über die Genehmigung des Vertrages aufzufordern. Auch im Falle des § 177 Abs. 2 hat diese Aufforderung zwei Wirkungen: Die vor der Aufforderung gegenüber dem Vertreter erklärte Genehmigung oder Verweigerung der Genehmigung werden nachträglich unwirksam; eine demnach erforderliche erneute Genehmigung kann nur binnen zwei Wochen gegenüber dem Geschäftsgegner erklärt werden und gilt als verweigert, wenn sie nicht binnen dieser Frist erfolgt. All das hatten wir schon in § 108 Abs. 2. Der Gesetzgeber geht eben wie die Evolution vor: Was sich bewährt hat im Kampf der Paragraphen, behält er bei!
Nach § 182 Abs. 2 kann die Genehmigung formfrei erklärt werden; auch kann sie in einem schlüssigen Verhalten zu erblicken sein. Voraussetzung ist aber, dass sich der Geschäftsherr bewusst ist, dass das Rechtsgeschäft schwebend unwirksam ist und seiner Genehmigung zur Gültigkeit bedarf.
Wenn der Vertreter ohne Vertretungsmacht dagegen ein einseitiges Rechtsgeschäft tätigt, so greift § 180 ein. Danach ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das der vollmachtlose Vertreter vornimmt, grundsätzlich unzulässig, also nichtig. Gemäß § 180 S. 2 gelten jedoch die Regeln über Verträge entsprechend, wenn der Vertreter die Vertretungsmacht behauptet und der Erklärungsempfänger diese nicht beanstandet hat, oder wenn der Erklärungsempfänger mit der Vornahme des einseitigen Rechtsgeschäfts ohne Vertretungsmacht einverstanden gewesen ist. In diesem Fall, in dem er sich auf das Fehlen einer Vertretungsmacht quasi einlässt, ist er im Hinblick auf die dadurch ausgelöste Unsicherheit über die Wirksamkeit des einseitigen Rechtsgeschäftes weniger schutzbedürftig, so dass es ihm zuzumuten ist, hinsichtlich der Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes die Genehmigung des Geschäftsherrn abzuwarten oder diesen nach § 177 Abs. 2 zur Erklärung über die Genehmigung mit den sich daran knüpfenden Folgen aufzufordern. Gleiches gilt nach § 180 S. 3, wenn der vollmachtlose Vertreter als Empfänger einer einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärung auftritt.
Aufbaufragen zur Stellvertretung
Wie Sie es bereits aus den vorangegangenen Blogs gewöhnt sind, sollen auch hier Hinweise zum Aufbau einer Falllösung mit Stellvertreterschwerpunkt erfolgen. Beim Fallaufbau von Vertretungsfällen besteht die Schwierigkeit darin, die normalen Vertragsvoraussetzungen (6-Säulen) richtig mit den Fragen der Vertretung (Handeln in fremdem Namen, Vertretungsmacht) zu vernetzen und diese beiden Module zu einem Ganzen zu verbinden. Dazu nun die folgenden Schemata, die irgendwann mit Sicherheit ihr Gegenüber – den Fall in der Klausur – treffen werden.
Das Grundschema eines Vertretungsfalles sieht z.B. zum Eingangsfall d. folgendermaßen aus:
C gegen A aus § 433 Abs. 2 auf Kaufpreis i.H.v. 17.000 €?
Vertrag zwischen C und A?
A. Angebot
B. Wirksamwerden bei C über § 130
C. Annahme des Angebotes durch C
D. Wirksamwerden bei A über B gem. §§ 130, 164 Abs. 3
E. Inhaltliche und zeitliche Deckungsgleichheit
Häufig liegt der Fall aber so, dass zwar beim Vertragsschluss ein Vertreter gehandelt hat, dass aber die Mitwirkung des Vertreters völlig unproblematisch ist; erörterungsbedürftige Probleme ergeben sich lediglich bei den normalen Voraussetzungen des Vertragsschlusses.
Dann empfiehlt sich folgender Aufbau:
Vertrag zwischen A und B?
A. Angebot nicht durch A selbst abgegeben. Für ihn hat B als Vertreter mit Vertretungsmacht gehandelt (§ 164 Abs. 1) – kurze Darstellungen der Voraussetzungen Willenserklärung, Offenkundigkeit und Vertretungsmacht im Feststellungsstil.
Hat B wirksam ein Angebot abgegeben?
Angebot auf Wirksamkeit checken!
B. Zugang usw. …
C. Annahme durch B
D. … usw. …
Der Fall kann jedoch auch genau umgekehrt liegen: Die Problematik liegt ausschließlich im Vertretungsrecht, während die normalen Vertragsvoraussetzungen keine Schwierigkeiten machen.
Dann empfiehlt sich der folgende, häufig auftauchende Aufbau:
A. Vertragsschluss zwischen A und C? A und C haben selbst nicht die notwendigen Vertragserklärungen ausgetauscht. Vertreter B hat mit C die zum Zustandekommen des Vertrages erforderliche Einigung erzielt (knappe Feststellungen: Vertreter B hat sich mit C darüber geeinigt, dass das Fahrzeug Marke Porsche zum Preise von 25.000 € verkauft werden soll).
B. Diese Einigung wirkt aber für und gegen A, wenn die Voraussetzungen für eine wirksame Vertretung des A durch B gem. § 164 Abs. 1, Abs. 3 vorliegen:
I. Willenserklärung des Vertreters – evtl. Botenproblematik
II. Offenkundigkeit
III. Vertretungsmacht
… (weiter wie beim Aufbauschema 1.)