Hier nun einige hoffentlich hilfreiche Prüfungsschemata für Ihre Klausuren.
Schemata sind durch so viele Fälle durchgelaufen, dass sie keine Bindungen mehr zum Einzelfall haben. Sie sind entstanden durch das „Ausfällen“ von Gemeinsamkeiten aus dem Gemisch der Einzelfälle. Nur diese Gemeinsamkeiten habe ich in die Schemata eingestellt – das macht sie zu sturmerprobten Hilfen. Allerdings brauchen die Schemata immer ihr Gegenüber: den Fall. Sie sind kein Selbstzweck, lediglich ständiger Fallbegleiter.
Die Verschiedenheit der strafrechtlichen Fälle hebt die Einheit unserer Schemata nicht auf, sondern ihre Einheit behauptet sich in der Verschiedenheit der Fälle.
1. Das vollendete vorsätzliche Begehungsdelikt
I. Tatbestand
1. Tathandlung (ggf. Abgrenzung: aktives Tun/Unterlassen)
2. Eintritt des Erfolges bei Erfolgsdelikten
3. Kausalität zwischen Handlung und Erfolg nach der Äquivalenztheorie
4. Geschriebene TBMs des Straftatbestandes (§§ 223, 242, 263, 211, 212 etc.)
Ggf.: Besondere Absichten (z.B. Zueignungsabsicht in § 242; Bereicherungsabsicht in §§ 263, 253; Täuschungsabsicht in § 267)
Ggf.: Rechtswidrigkeit als Attribut eines einzelnen TBM (z.B. §§ 242, 253, 263)
Ggf.: Tatbestandsausschließende Einwilligung (Einverständnis)
Ggf.: Besondere täterschaftliche Merkmale des Täters (z.B. „Amtsträger“ § 331, § 11; „Arzt“ in § 203; „Richter“ in § 339)
II. Rechtswidrigkeit
Unwerturteil über die Tat. Die Tatbestandserfüllung indiziert die Rechtswidrigkeit, es sei denn, es greift ein Rechtfertigungsgrund ein (Regel-Ausnahme-Verhältnis).
1. Notwehr gem. § 32 Abs. 1, Abs. 2 StGB
Angriff
Gegenwärtig
Rechtswidrig
Erforderlichkeit
Verteidigungswille
Kein Rechtsmissbrauch
2. Notstand gem. § 34 StGB
Gefahr
Gegenwärtig
Für irgendein Rechtsgut
Kollisionslage zwischen zwei Interessen
Erhaltungsgut (Rechtsgut) feststellen
Eingriffsgut (Rechtsgut) feststellen
Gesamtabwägung treffen, ob Erhaltungsgut Eingriffsgut wesentlich
überwiegt
Gefahr nicht anders abwendbar als durch die Notstandshandlung
Rettungswille
Tat muss nach § 34 S. 2 StGB ein angemessenes Mittel sein
3. Spezialnotstände bei Sachbeschädigungen
Notstand gem. § 228 BGB
Drohende Gefahr durch eine Sache (Tier)
Einwirkung auf („schuldige“) Sache objektiv erforderlich
Güter- und Interessenabwägung
Rettungswille
Notstand gem. § 904 BGB
Gegenwärtige Gefahr
Einwirkung auf („unschuldige“) Sache objektiv erforderlich
Güter- und Interessenabwägung
Rettungswille
4. Einwilligung gem. § 228 StGB für Körperverletzungen; § 228 StGB analog (oder Gewohnheitsrecht) bei anderen Rechtsgutverletzungen
Einwilligung vor der Tat ausdrücklich oder konkludent vom Rechtsgutträger erteilt
Einwilligung rechtlich zulässig
Bei Individualrechtsgütern grundsätzlich zulässig
Bei Universalrechtsgütern nicht zulässig
Auch nicht bei Individualrechtsgütern zulässig
– Leben: § 216 StGB
– Körper: § 228 StGB
Einwilligungsfähigkeit (auch bei Eigentum!)
Einwilligung frei von Willensmängeln
Handeln in Kenntnis der Einwilligung
5. Festnahmerecht gem. § 127 StPO
Betreffen auf frischer Tat (Straftat)
Fluchtgefahr oder die Unmöglichkeit der sofortigen Identitätsfeststellung
Verhältnismäßigkeit
Absicht, den Täter der Strafverfolgung zuzuführen
III. Schuld
Unwerturteil über (Tat-)Täter(-Beziehung)
1. Schuldfähigkeit
Verantwortlichkeit gem. §§ 19, 20 StGB; §§ 3, 105 JGG
Verantwortlichkeit nach Grundsätzen der Actio libera in causa (vorsätzlich herbeigeführte Schuldunfähigkeit)
2. Schuldformen
Direkter Vorsatz („Dolus directus“)
Eventualvorsatz („Dolus eventualis“)
Entfällt gem. § 16 Abs. 1 (Vorsatzwegfall)
bei Nichtwissen oder Verkennen eines Tatbestandsmerkmals (Tatbestandsirrtum)
bei der irrigen Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes (§ 16 Abs. 1 analog bei Erlaubnistatbestandsirrtum)
3. Nichtvorliegen von Entschuldigungsgründen
Notwehrexzess gem. § 33 StGB
Notwehrüberschreitung bez. des Merkmals der Erforderlichkeit der Verteidigung
Beruhen auf Verwirrung, Furcht oder Schrecken
Entschuldigender Notstand gem. § 35 StGB
Gegenwärtige Gefahr
Für Leben, Leib oder Freiheit
Gefahr droht Täter selbst, einem Angehörigen gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB
oder nahestehender Person
Gefahr nicht anders abwendbar
Hinnahme der Gefahr nicht zumutbar (§ 35 Abs. 1 S. 2 StGB)
4. Unrechtsbewusstsein
Wissen des Täters, dass er gegen die Verbote des Strafrechts verstößt (Einsichtsmöglichkeit in das Unrecht)
Entfällt gem. § 17 (Unrechtsbewusstseinswegfall)
bei Fehlvorstellung über das Verbotensein der Tat (Verbotsirrtum)
bei Verkennen der rechtlichen Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes
2. Das Fahrlässigkeitsdelikt
I. Tatbestand
1. Handlung
2. Erfolgseintritt
3. Kausalität
4. Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
5. Objektive Vorhersehbarkeit
6. Zurechnungszusammenhang zwischen Erfolg und Sorgfaltspflichtverletzung
7. Schutzzweck der Norm
II. Rechtswidrigkeit
III. Schuld
1. Schuldfähigkeit
2. Rest der Fahrlässigkeit
Subjektive Sorgfaltspflichtverletzung
Subjektive Vorhersehbarkeit
3. Nichtvorliegen von Entschuldigungsgründen
4. Zumutbarkeit normgerechten Verhaltens
5. Unrechtsbewusstsein
3. Das versuchte Begehungsdelikt
I. Vorüberlegungen zum Versuch
1. Nichtvollendung der Tat
2. Strafbarkeit des Versuchs
§ 23 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 bei Verbrechen
§ 23 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 i.V.m. Norm des besonderen Teils bei Vergehen
II. Tatbestand
1. Tatentschluss, d.h. Vorsatz bzgl. aller TBMs
2. Ggf. Absichten des Tatbestandes
3. Anfang der Ausführungen, d.h. unmittelbares Ansetzen („Jetzt geht’s los!“)
III. Rechtswidrigkeit
IV. Schuld (Restschuld ohne Vorsatz)
1. Schuldfähigkeit
2. Nichtvorliegen von Entschuldigungsgründen
3. Unrechtsbewusstsein
V. Rücktritt vom Versuch gem. § 24
1. Kein fehlgeschlagener Versuch
2. Freiwilliger Rücktritt
Unbeendeter Versuch; § 24 Abs. 1 S. 1 1.Alt.
Vollständiges und endgültiges Aufgeben des Tatentschlusses
Freiwilligkeit
Passives Verhalten reicht aus! Gegenentschluss notwendig!
Beendeter Versuch; § 24 Abs. 1 S. 1 2.Alt.
Verhinderung des Taterfolges
Durch eigenes Zutun des Täters
Freiwilligkeit
Aktives Verhalten geboten! Gegenaktivität notwendig!
Nichtvollendung ohne Zutun des Täters; § 24 Abs. 1 S. 2
Nichtvollendung der Tat
Ernsthaftes Bemühen um eine Verhinderung der Vollendung
Freiwilligkeit
Beim gemeinschaftlichen Versuch; § 24 Abs. 2
Verhinderung der Vollendung
Freiwilligkeit bzw. ernsthaftes Bemühen
4. Das vollendete vorsätzliche unechte Unterlassungsdelikt
I. Tatbestand
1. Eintritt eines tatbestandlichen Erfolges einer Verbotsnorm
2. Nichtvornahme des erforderlichen Tuns (Abgrenzung Tun/Unterlassen)
3. Kausalität (hypothetische Kausalität)
4. Möglichkeit der Erfolgsabwendung
5. Zumutbarkeit der Erfolgsabwendung
6. Garantenstellung aus:
Gesetz/Rechtsvorschrift
Vertrag/tatsächlicher Gewährsübernahme
Ingerenz (vorangegangenes gefährdendes rechtswidriges Tun)
konkreten Lebensbeziehungen (enge Gemeinschaften)
7. Ganz selten: Entsprechungsklausel
II. Rechtswidrigkeit
Es liegen weder allgemeine Rechtfertigungsgründe noch eine (nur hier geltende) Pflichtenkollision vor
III. Schuld
1. Schuldfähigkeit
2. Schuldformen
Direkter Vorsatz
Eventualvorsatz
Vorsatz muss hinsichtlich aller TBMs – einschließlich der die Garantenstellung begründenden tatsächlichen Umstände vorliegen
Vorsatz entfällt gem. § 16 Abs. 1
3. Nichtvorliegen von allgemeinen Entschuldigungsgründen und von der für Unterlassungsdelikte speziellen entschuldigenden Pflichtenkollision
4. Unrechtsbewusstsein
Wissen des Täters, dass er gegen die Gebote des Strafrechts verstößt aufgrund einer rechtlich bestehenden Garantenpflicht
Entfällt gem. § 17 (Gebotsirrtum) u.a. bei Irrtum des Täters über das Bestehen seiner Garantenpflicht
5. Täterschaft und Teilnahme gem. §§ 25, 26, 27 StGB
1. Täterschaft
Alleintäterschaft gem. § 25 Abs. 1 1. Alt. StGB
Mittelbare Täterschaft gem. § 25 Abs. 1 2. Alt. StGB
Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB
2. Teilnahme
Anstiftung gem. § 26 StGB
Tatbestand
Fremde Haupttat
Tatbestand
Rechtswidrigkeit
Vorsatz (nur!!)
Bestimmen
Rechtswidrigkeit
Schuld
Schuldfähigkeit
Doppelter Anstiftervorsatz
gerichtet auf Vollendung der fremden Haupttat
gerichtet auf Bestimmen
Beihilfe gem. § 27 StGB wie Anstiftung; statt „Bestimmen“, „Hilfeleistung“; statt „Doppelter Anstiftervorsatz“ „Doppelter Gehilfenvorsatz“
3. Abgrenzung
Täter ist, wer die Tat als eigene will (animus auctoris)
Teilnehmer ist, wer die Tat als fremde will (animus socii)
6. Irrtum
1. Irrtum über den Tatbestand (Tatbestandsirrtum) (auf Ebene des Vorsatzes zu erörtern für uns Kausalisten)
Täter kennt ein Tatbestandsmerkmal überhaupt nicht. Folgen ergeben sich
aus § 16 Abs. 1 StGB! Vorsatz entfällt gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB.
Täter irrt, weil er nicht richtig unter ein deskriptives Tatbestandsmerkmal subsumiert (z.B. Sache) („Ich wusste nicht, dass ein Tier eine Sache ist“): Sog. Subsumtionsirrtum ist unbeachtlich, da die richtige Subsumtion nicht Aufgabe des Täters ist. Kein Vorsatzausschluss!
Täter irrt, weil er nicht richtig unter ein normatives Tatbestandsmerkmal subsumiert (z.B. Urkunde) („Ich wusste nicht, dass ein Bierdeckel eine Urkunde ist“). Kein Vorsatzausschluss gem. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB bei Kenntnis der Tatsachen, die unter normatives Merkmal subsumiert werden und Kenntnis des rechtlichen Gehalts des normativen Merkmals aufgrund einer Parallelwertung in der Laiensphäre.
Täter irrt über den Kausalverlauf.
Täter irrt gar nicht, sondern verwechselt nur die Personen oder Objekte (error in persona/objecto). Kein Irrtum!
2. Irrtum über die Rechtswidrigkeit (Verbotsirrtum) (auf Ebene des Unrechtsbewusstseins zu erörtern für Kausalisten wie Finalisten)
Direkter Verbotsirrtum, d.h., Täter erkennt überhaupt nicht, dass seine Tat verboten und daher Unrecht ist. Ihm fehlt die Vorstellung, Unrecht zu tun.
Irrtum unvermeidbar: Unrechtsbewusstsein entfällt gem. § 17 S. 1 StGB:
Bestrafung entfällt
Irrtum vermeidbar: Unrechtsbewusstsein entfällt nicht gem. § 17 S. 2
StGB: Bestrafung erfolgt aus Vorsatzdelikt mit Milderungsmöglichkeit
Indirekter Verbotsirrtum, d.h., Täter weiß, dass Tat verboten und daher
grundsätzlich Unrecht ist, glaubt aber, im konkreten Fall ausnahmsweise
gerechtfertigt zu sein
Er irrt über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes, den es nicht gibt
(Erlaubnisirrtum; Lösung über § 17 StGB).
Er irrt über die Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes
(Erlaubnisirrtum; Lösung über § 17 StGB).
Er irrt weder über die Existenz eines nicht anerkannten, noch über die
Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes; er nimmt irrig die
Existenz eines rechtfertigenden Sachverhalts an, bei dessen Vorliegen
ein Rechtfertigungsgrund eingriffe (Erlaubnistatbestandsirrtum; Lösung
über § 16 StGB analog).
3. Irrtum über die Schuld
Irrtum über Schuldfähigkeit (§§ 19, 20 StGB): unbeachtlich
Irrtum über Voraussetzungen des entschuldigenden Notstandes: § 35 Abs. 2
StGB regelt die Frage speziell in Anlehnung an § 17 StGB
Man muss eine gewisse „Achtung“ vor der Struktur dieser Schemata entwickeln, vor dem Ineinanderpassen und Ineinanderfassen ihrer Einzelelemente. Sie sollten als anschauliche, vereinfachende Darstellungen, Übersichten, Rahmen, Muster oder Modelle dienen. Wenden Sie sie an! Aber niemals gedankenlos nach Schema F!